# taz.de -- Finanzierung der Krankenkassen: Lauterbach für Beitragserhöhung
       
       > Der Bundestag debattiert über die Geldnot der Krankenkassen. Der
       > Gesundheitsminister will die Versicherten mehr zahlen lassen.
       
 (IMG) Bild: Will die Beitragszahler stärker belasten: Karl Lauterbach
       
       BERLIN taz | Die Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) stehen vor einem
       finanziellen Loch: Sie erwarten ein Minus von 17 Milliarden Euro im
       kommenden Jahr. „Historisch“ nannte das Bundesgesundheitsminister Karl
       Lauterbach (SPD) am Freitag im Bundestag – und verteidigte seine Pläne zur
       Stabilisierung der GKV-Finanzen. Der Gesetzentwurf, [1][den das Kabinett
       bereits gebilligt hat], verteile die Lasten gerecht.
       
       Demnach soll der Bund einen zusätzlichen Zuschuss von zwei Milliarden Euro
       leisten. Die Krankenkassen selbst müssten einen sogenannten
       „Solidarbeitrag“ von vier Milliarden Euro aus ihren Reserven beisteuern.
       Auch die Pharma-Industrie soll zur Entlastung beitragen, indem der
       Herstellerrabatt für patentgeschützte Medikamente vorübergehend angehoben
       wird.
       
       In der Kritik steht aber vor allem die geplante Erhöhung des
       durchschnittlichen Zusatzbeitrags. Er soll um 0,3 Prozentpunkte steigen auf
       insgesamt 1,6 Prozent. Das hieße, dass in Zukunft 16,2 Prozent und damit so
       viel wie noch nie vom Bruttolohn für die Krankenversicherung abgezogen
       würden. Bislang waren es 15,9 Prozent.
       
       ## Leistungskürzungen „nicht vermittelbar“
       
       Lauterbach sagte nun bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs im Bundestag,
       die Anhebung des Zusatzbeitrages mache bloß ein Zehntel des Gesamtvolumens
       seines Pakets aus. Damit werde der mit Abstand größte Teil nicht von der
       Arbeitnehmerseite bezahlt. Er wies zudem darauf hin, dass sich die 0,3
       Prozent noch einmal auf Arbeitgeber und Versicherte aufteilen.
       
       Für ihn stehe an erster Stelle, dass es keine Leistungskürzungen für
       Versicherte geben werde. Die seien „in einer solchen Zeit nicht
       vermittelbar“. Stattdessen sollten sogenannte Effizienzreserven – also
       Einsparpotenziale – in den Blick genommen werden. Lauterbach betonte etwa,
       dass in manchen Kassen „die Vorstände deutlich mehr verdienen als der
       Bundeskanzler“. Einzigartig in Deutschland sei auch der lange Zeitraum,
       über den die Pharmaindustrie hohe Preise für neue Medikamente verlangen
       kann. Der soll nun verkürzt werden.
       
       ## Union befürchtet „Kassen-Crash“
       
       Für die Unionsfraktion sprach der bayerische Gesundheitsminister Klaus
       Holetschek. Der CSU-Politiker kritisierte die Pläne als
       „Versorgungs-Destabilisierungsgesetz“. Deutschland steuere auf einen
       „Kassen-Crash“ zu, wenn es so weitergehe, warnte Holetschek. Es sei
       kontraproduktiv, die Reserven der Krankenkassen abzuschöpfen. Auf der
       anderen Seite falle der Zuschuss des Bundes viel zu niedrig aus.
       
       Steigende Beiträge seien kein gutes Signal an die Bevölkerung vor dem
       Hintergrund von Energiekrise und Inflation. Holetschek warf Lauterbach
       außerdem vor, der Entwurf trage die Handschrift des Finanz- und
       Justizministeriums und sprach von einer „Kapitulation, wenn
       Gesundheitspolitik nicht mehr von den Gesundheitspolitikern“ gemacht wird.
       
       ## Ampel stellt Strukturreform in Aussicht
       
       Die Grünen-Abgeordnete Maria Klein-Schmeink räumte zwar ein, dass die
       Reform nur eine Übergangslösung sein könne. Die Kritik von CDU und CSU wies
       sie aber entschieden zurück: Die Liste der Defizite sei ein
       „Offenbarungseid für 16 Jahre Unions-Gesundheitspolitik“. Das Finanzloch
       habe die Bundesregierung von ihrer Vorgängerin geerbt.
       
       Es brauche eine umfassende Strukturreform, so Klein-Schmenk, denn auf die
       Reserven der Kassen könne man nur ein einziges Mal zugreifen. Unter anderem
       die Reform der Krankenhausfinanzierung stehe nun auf der Agenda.
       
       ## Linke: Die Regierung verschätzt sich
       
       Die Linksfraktion befürchtet, dass die Regierung die Größe des Finanzlochs
       bei den Gesetzlichen Krankenkassen unterschätzt. Statt der 17 Milliarden
       Euro handele es sich nach Darstellung mancher Fachleute vielmehr um fast 25
       Milliarden Euro, erklärte der Linken-Abgeordnete Ates Gürpinar. Außerdem
       sei der Anteil, den die Beitragszahlerinnen und -zahler für die finanzielle
       Stablisierung der Kassen leisteten, von der Regierung schön- und
       heruntergerechnet worden.
       
       Denn auch die Reserven der Krankenkassen seien mit den Beiträgen der
       Versicherten aufgebaut worden. Gürpinar spricht von insgesamt 11 der 17
       Milliarden Euro, die nach alternativen Berechnungen eigentlich von den
       Versicherten kämen.
       
       ## AfD sorgt für Empörung
       
       Für einen Eklat sorgte der AfD-Abgeordnete Martin Sichert. Er
       schwadronierte von „ukrainischen Nobelkarossen“ vor deutschen
       Zahnarztpraxen, wo sich „Ukrainer auf Kosten der deutschen Beitragszahler
       die Zähne richten lassen“ würden, während viele Deutsche nicht mehr
       wüssten, wie sie ihre Grundnahrungsmittel bezahlen sollten.
       Bundesgesundheitsminister Lauterbach [2][reagierte auf Twitter] und nannte
       Sicherts Statement „abstoßend“. „Genau so haben Nazis hier im Haus über
       Juden gesprochen“, schrieb Lauterbach.
       
       Im Anschluss an die Plenardebatte wurde der Gesetzentwurf zur weiteren
       Beratung an den Gesundheitsausschuss überwiesen. Die Oppositionsfraktionen
       von Linkspartei und AfD brachten außerdem insgesamt sechs eigene Anträge
       zum Thema ein. Auch die gehen nun in den federführenden
       Gesundheitsausschuss.
       
       23 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Gesetzliche-Krankenkassen-in-Geldnot/!5867571
 (DIR) [2] https://twitter.com/Karl_Lauterbach/status/1573214668604194825
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hanno Fleckenstein
       
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