# taz.de -- Gesetzliche Krankenkassen in Geldnot: Die Finanzlücke stopfen
       
       > Um die Kassen finanziell zu stabilisieren, erhöht die Ampel die Beiträge
       > und verpflichtet Pharma-Firmen zu Extra-Abgaben. Es gibt scharfe Kritik.
       
 (IMG) Bild: Künftig werden 16,2 Prozent des Bruttolohns für die Krankenversicherung abgegeben
       
       BERLIN taz | Den Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) fehlt viel Geld. Im
       kommenden Jahr wird ein Minus von 17 Milliarden Euro erwartet. Um dieses
       Loch zu füllen wurde am Mittwoch der von Gesundheitsminister Karl
       Lauterbach (SPD) eingebrachte Gesetzentwurf für höhere Zusatzbeiträge sowie
       einer Extra-Abgabe der Pharmaindustrie im Kabinett gebilligt. Der Plan war
       schon [1][seit mehreren Wochen bekannt.] Der durchschnittliche
       Zusatzbeitrag für rund 57 Millionen Menschen, die gesetzlich versichert
       sind, soll um 0,3 Prozentpunkte steigen auf insgesamt 1,6 Prozent. Das
       bedeutet, dass künftig nicht mehr 15,9 Prozent des Bruttolohns für die
       Krankenversicherung abgegeben wird, sondern 16,2 Prozent. Das ist so viel
       wie noch nie.
       
       Das [2][hohe Defizit der GVK] liegt nach Aussage Lauterbachs bei der
       Vorstellung des Gesetzes einerseits an den nicht stark gestiegenen
       Einnahmen aufgrund der Pandemie, am demografischen Wandel in der
       Bevölkerung und an mehr Kosten durch technischen Fortschritt in der
       Medizin. Außerdem sei eine Abnahme in den Beitragszahlungen an die GVK zu
       erwarten, weil die Anzahl der Beschäftigten zurückgehe. Außerdem falle nun
       der außerordentliche Steuerzuschuss von 14 Milliarden Euro weg, der als
       Pandemieentlastung gezahlt wurde.
       
       Bei der Vorstellung des Gesetzes sagte Lauterbach, dass die Versicherten
       bei der Erhöhung der Zusatzbeiträge nur die Hälfte des vorgesehenen Betrags
       zahlen müssen. Leistungskürzungen solle es nicht geben. Die Erhöhung
       benannte er als „sehr maßvoll“.
       
       Etwa eine Milliarde Euro Einsparungen sollen aus der Pharmaindustrie
       kommen. Der Gesetzentwurf schreibt fest, dass der Herstellerrabatt, den die
       Pharmaunternehmen den gesetzlichen Kassen für patentgeschützte Medikamente
       gewähren müssen, für ein Jahr von sieben auf zwölf Prozent erhöht wird.
       Dafür rückte Lauterbach von seinen Plänen ab, die Unternehmen [3][einen
       Solidarbeitrag zahlen zu lassen].
       
       ## Kritik von allen Seiten
       
       Der Gesetzesbeschluss wird von allen Seiten scharf kritisiert. Insbesondere
       aufgrund der auch ansonsten steigenden Lebenskosten sorgen sich
       Vertreter*innen aus Politik und Wirtschaft.
       
       Die Anhebung der Zusatzbeiträge sei für Geringerverdiener*innen
       „unzumutbar“ sagt die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele:
       „Wieder einmal müssen die Bürgerinnen und Bürger eine [4][seit Jahren
       fehlgeleitete Politik] ausbaden.“ Erneut fordert Bentele die Abschaffung
       der Unterteilung in private und gesetzliche Krankenversicherung. Eine
       zusammengelegte Krankenversicherung würde besonders Menschen mit geringem
       Einkommen entlasten.
       
       Die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, Kathrin Vogler
       kritisiert: „Lauterbachs Rechnung, dass die Beitragszahler nur 15 Prozent
       der Einsparungen zahlen, ist eine bewusste Irreführung. Tatsache ist: Das
       Loch in den Kassenfinanzen sollen mal wieder hauptsächlich die
       Beitragszahler und Versicherten stopfen. Zu Inflation und Energiekrise
       kommt jetzt auch noch diese Zusatzbelastung – das ist nicht gerecht.“ Auch
       der CSU-Gesundheitsexperte Stephan Pilsinger beschreibt die Maßnahmen als
       „konfus“, sie würden seiner Meinung nach [5][den „Beitrags-Tsunami“] nicht
       aufhalten können. Eine „nachhaltige Strukturreform“ würde so von der
       Ampel-Koalition verschleppt werden.
       
       Lauterbachs Koalitionspartner die Grünen nannten das Gesetz zur
       Stabilisierung der Krankenkasse eine kurzfristige Lösung. „Eine
       langfristige Lösung für eine nachhaltige und gerechte Finanzierung ist er
       noch nicht“, so die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Maria
       Klein-Schmeink.
       
       Harsche Kritik kommt auch von der Kassenätzlichen Bundesvereinigung (KBV).
       Der Vorstandsvorsitzende Andreas Gassen nannte das Gesetz einen „Schlag ins
       Gesicht der Patientinnen und Patienten in Deutschland“ und monierte, dass
       das Gesetz die Vereinbarung im Koalitionsvertrag untergrabe, nach der die
       ambulante Versorgung gestärkt werden soll. Abgeschafft wird mit dem Gesetz
       nämlich auch die bisherige Extra-Vergütung, die Ärzt*innen für
       Neupatient*innen erhalten, die von den Terminservicestellen vermittelt
       werden.
       
       ## Apotheken müssen höheren Abschlag zahlen
       
       Darüber ist auch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin empört, die
       die Neupatient*innenregelung als „wichtiges Instrument“
       bezeichnete. Die Regelung sah seit September 2019 vor, dass Praxen für
       jede*n Neupatient*in ein Extrabudget in voller Höhe der Behandlungen
       vergütet bekommen. Damit sollte erreicht werden, dass gesetzlich
       Versicherte schneller einen Arzttermin bekommen, etwa im Rahmen von offenen
       Sprechstunden, Ärzt*innen dafür aber auch mehr Zeit aufwenden müssen.
       
       Die Berliner KV kündigte für den 7. September einen Aktionstag gegen gegen
       die Streichung der Neupatientenregelung an. Lauterbach sagte zu der
       Neupatient*innenregelung, dass diese sich nicht bewährt hätte und nicht zu
       überprüfen sei. Das wies die Berliner KV entschieden zurück.
       
       Ebenfalls unzufrieden äußerte sich die Bundesvereinigung des Deutschen
       Apothekerverbandes. Die Apotheken sind durch das neue Gesetz mit einer
       vorgesehenen Erhöhung des Abgabezuschlags um 13 Prozent konfrontiert. Sie
       fordern Planungssicherheit und eine angemessene Vergütungsanpassung
       aufgrund gestiegener Kosten.
       
       Laut Gesetzentwurf soll der höhere Abschlag der Apotheken in den Jahren
       2023 und 2024 rund 170 Millionen einsparen. Die Bundesvereinigung Deutscher
       Apothekerverbände (ABDA) geht allerdings davon aus, dass sich die Sparsumme
       auf netto 240 Millionen belaufen wird. „Für alle Apothekerinnen und
       Apotheker, gerade auch für den dringend benötigten Nachwuchs, ist das eine
       schallende Ohrfeige“, so Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der ABDA.
       Sie kritisiert die Pläne als „patientenfeindlich“. (mit Agenturen)
       
       28 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) Linda Gerner
       
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