# taz.de -- Finanzkrise vor 15 Jahren: „Die Lehren wurden wieder vergessen“
       
       > 2008 implodierte die US-Bank Lehman Brothers. Es folgten Schockwellen in
       > der Welt. Experte Gerhard Schick warnt: Die Finanzmärkte sind labil wie
       > damals.
       
 (IMG) Bild: Kann sich ein Chaos auf den Finanzmärkten wie 2008 heute wiederholen? Trader in New York
       
       taz: Herr Schick, haben Sie als Finanzexperte derzeit Angst um Ihr Geld? 
       
       Gerhard Schick: Nein.
       
       Ihre Initiative Finanzwende warnt aber anlässlich der sich am Freitag zum
       15. Mal jährenden Pleite der US-Bank Lehman Brothers, dass das Bankensystem
       derzeit genauso instabil sei wie zur Zeit der Finanzkrise. 
       
       Das ist richtig. Es gibt zwar keine unmittelbare Gefahr für die einzelnen
       Bank-Kund*innen, ihr Geld zu verlieren. Aber es besteht das Risiko, dass es
       erneut kräftig wackelt an den Finanzmärkten. Das bedeutet vielleicht nicht,
       dass das Geld auf dem Konto weg ist. Aber wenn die Finanzkrise auf die
       Realwirtschaft umschlägt, kann schnell der Arbeitsplatz in Gefahr geraten.
       Schließlich ging auch die letzte Finanzkrise mit massiven
       Konjunktureinbrüchen und Folgen für die Menschen einher. Und insofern ist
       es erschreckend, wie schnell die Erinnerung an die Finanzkrise 2007/2008
       verblasst ist. Denn seitdem gab es immer wieder kleinere und größere
       Turbulenzen.
       
       Stehen nach der Coronapandemie und den hohen Energiepreisen nicht gerade
       andere Krisen im Vordergrund? 
       
       Gerade in der Coronakrise hat sich gezeigt, wie anfällig das Finanzsystem
       ist. Die Notenbanken mussten am Anfang der Pandemie ein historisch
       einmaliges Programm zur Stabilisierung des Finanzsektors auflegen. Die
       Lehre daraus: Der heutige Finanzsektor puffert nicht Krisen ab, sondern
       verschärft sie.
       
       Vor Kurzem musste die [1][Credit Suisse] gerettet werden, auch gab es
       Pleiten bei US-Lokalbanken. Aktuell ist es wieder etwas ruhiger geworden.
       Sind diese Baustellen behoben? 
       
       Genau das Beispiel der Rettung der Credit Suisse zeigt, dass die Lehren aus
       der Finanzkrise wieder vergessen wurden. Damals wurde gewarnt, dass die
       Banken zu groß geworden seien, dass sie too big too fail seien, zu groß, um
       sie pleite gehen zu lassen. Und jetzt wurde mit der Übernahme der Credit
       Suisse durch die UBS eine Monsterbank geschaffen, die viel zu groß ist für
       die Schweiz. Es besteht das Risiko, dass das ganze Land ins Schlingern
       gerät, wenn diese Bank in Schieflage kommt.
       
       Der Bankenstresstest der Europäischen Zentralbank im Juli hat ergeben, dass
       die europäischen Banken locker eine schwere dreijährige Rezession
       durchstehen könnten. Beruhigt Sie das nicht? 
       
       Niemand kann wissen, woher die nächste Krise kommt und wie sie aussieht.
       Der jüngste Zinsanstieg war zum Beispiel schneller und höher als das
       entsprechende Stresstest-Szenario der Bundesbank. Entscheidend ist: Die
       Banken sind weiterhin viel zu stark schuldenfinanziert. Das macht sie
       anfällig.
       
       Ihre Organisation fordert für die Banken eine Eigenkapitalquote von 10
       Prozent. Die Deutsche Bank weist eine Quote von knapp 14 Prozent aus, bei
       der Commerzbank liegt sie sogar noch etwas drüber. Eigentlich müssten Sie
       damit doch zufrieden sein? 
       
       Diese Zahlen sind eigentlich nur ein Marketinggag. In keiner anderen
       Branche berechnet man das so. Denn es sind die sogenannten
       risikogewichteten Eigenkapitalquoten. Das heißt, die Kredite und
       Wertpapiere, die dem Eigenkapital in der Bilanz gegenübergestellt werden,
       gehen in die Berechnung der Quote nicht voll ein, sondern nur insofern man
       glaubt, dass von ihnen ein Ausfallrisiko ausgeht. Die Folge ist, dass die
       so berechneten Eigenkapitalquoten mindestens dreimal so groß sind wie die
       tatsächlichen Quoten. Diese liegen eher bei 4 bis 5 Prozent und sind damit
       deutlich zu niedrig, damit die Banken im Falle von Krisen stabil bleiben.
       Die Banken müssten also eigentlich deutlich mehr eigenes Kapital in ihren
       Bilanzen haben.
       
       Profitieren die Banken nicht von den steigenden Zinsen? 
       
       Sie profitieren davon, weil sie ihre Kund*innen nicht gut behandeln. Die
       steigenden Zinsen werden bei den Krediten weitaus schneller weitergegeben
       als bei den Sparguthaben. Und das ist auch nur eine Momentaufnahme. Der
       Finanzmarkt ist heute viel zu aufgebläht und ähnelt viel zu sehr dem
       Finanzmarkt, der 2008 gecrasht ist. Denn viele wichtige Maßnahmen, die
       damals gefordert wurden, sind nicht gekommen. Das Investmentbanking wurde
       nicht vom restlichen Bankensystem getrennt und auch die
       Finanztransaktionssteuer kam nicht, weil die Finanzlobby das alles
       ausgebremst hat.
       
       Aber seit 2014 gibt es die europäische Bankenunion. Das müsste doch die
       Bankenwelt sicherer gemacht haben? 
       
       Das ist eine der wenigen Sachen, die gut gelaufen sind. Die nationalen
       Behörden konnten von den global agierenden Banken locker ausgespielt
       werden. Insofern ist die gemeinsame europäische Aufsicht ein Fortschritt.
       Gleichzeitig ist es aber zum Beispiel nicht gelungen, Geldmarktfonds
       richtig zu regulieren. Diese dürfen noch immer so tun, als ob sie so sicher
       seien wie eine Sparkasse.
       
       Sie fordern auch die Begrenzung von Bonuszahlungen, weil diese vor allem
       kurzfristige Erfolge belohnen. Doch bei [2][Deutsche-Bank-Chef Christian
       Sewing] machen den Großteil seiner Vergütungen Boni aus, die erst bei einem
       langfristigen Erfolg gezahlt werden. Haben die Banken da nicht gelernt? 
       
       Nicht die Banken haben gelernt, sondern der Gesetzgeber, indem er die
       Regeln für Vorstandsvergütungen änderte. Doch es gelang den Lobbyisten,
       eine große Lücke in die Regeln einzubauen. Aber machen wir es konkret: Die
       Credit Suisse hatte seit 2013 rund 3,2 Milliarden Franken Verlust gemacht
       und im selben Zeitraum 32 Milliarden Franken an Boni ausgezahlt. Wenn diese
       Gelder nicht ausgezahlt, sondern zur Stärkung des Eigenkapitals verwendet
       worden wären, hätte man die Bank vielleicht nicht retten müssen.
       
       Sie fordern anlässlich des 15. Jahrestags der Lehman-Pleite eine Reihe von
       Maßnahmen. Was drängt am meisten? 
       
       Unsere Forderungen zielen darauf ab, dass das Finanzsystem wieder den
       Menschen dient. Der Finanzsektor greift auf Bereiche über, wo er nichts
       verloren hat. Fußball wird immer mehr von Finanzinvestoren bestimmt,
       Finanzinvestoren wollen 15 bis 20 Prozent Profit aus Pflegeheimen
       herausholen, auf dem Wohnungsmarkt treiben Anleger die Mieten hoch.
       Insofern geht es nicht um einzelne Maßnahmen, sondern darum, diese
       ausbeuterischen Geschäftspraktiken zu stoppen und sicherzustellen, dass der
       [3][Finanzsektor] Teil der Lösung wird und nicht Probleme verschärft.
       
       15 Sep 2023
       
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