# taz.de -- Fischsterben in der Oder: 282 illegale Einleitungen
       
       > Tonnenweise toter Fisch trieb im August in der Oder. Am Donnerstag wird
       > der Expertenbericht zu den Ursachen veröffentlicht.
       
 (IMG) Bild: Ein toter Blei liegt liegt am 18. August im deutsch-polnischen Grenzfluss Oder
       
       CRIEWEN taz | Es sind an die hundert Kormorane, die sich auf einer Sandbank
       unterhalb des Stolper Bogens an der Oder drängen: Ihre schwarzen Flügel
       sind weit ausgebreitet und heben sich gut sichtbar auf dem hellen Strand
       ab. Kormorane sind sehr gute Taucher, sie haben – anders als andere
       Wasservögel – keine Luftkissen unter den Federn. Deshalb breiten sie ihre
       Flügel aus, um ihr Federkleid zu trocknen.
       
       „Ein gutes Zeichen“, sagt Dirk Treichel, Leiter des Nationalparks Unteres
       Odertal im Nordosten Deutschlands. Kormorane ernähren sich überwiegend von
       Fisch und ihre Anwesenheit bedeute, „dass es hier noch Fische gibt“,
       frohlockt Treichel. Im August hatten apokalyptische Bilder Entsetzen
       hervorgerufen, auf der Oder trieben [1][tonnenweise tote Fischkadaver], vom
       kleinen Steinbeißer über Döbel, Schlei, Zander oder Stör bis zum
       Zwei-Meter-Wels. Und weil es sehr heiß war in diesem Sommer, begann die
       tote Flussfracht schnell fürchterlich zu stinken.
       
       „Es sind aber nicht nur die Fische, die wir verloren haben“, sagt der
       Nationalparkleiter. Erste Untersuchungen ergaben, dass die Muschelbänke
       schwer geschädigt wurden, „im günstigsten Fall mit bis zu 40 Prozent toter
       Tiere, im ungünstigsten über 80 Prozent“. Treichel nennt Muscheln und
       Schnecken „die Lunge des Flusses“, sie würden die organischen Schwebteile –
       vor allem Algen und Bakterien – filtern und so das Wasser reinigen.
       
       Ihr Tod wird sich noch in Jahren bemerkbar machen, denn jetzt gelangt diese
       nährstoffreiche Fracht in die Ostsee und führt zu einer weiteren
       Eutrophierung. Das bedeutet: Das Algenwachstum wird stark ansteigen und
       dem Ostseewasser Sauerstoff entziehen, was dem schwer angeschlagenen
       Binnenmeer weiter zusetzen wird: In der Ostsee gibt es heute schon
       sauerstoffarme Totwassergebiete, dreimal so groß wie
       Mecklenburg-Vorpommern.
       
       ## Staat für Sanktionen zuständig
       
       Wer die Schuld an der Umweltkatastrophe trägt? „Es laufen
       Ermittlungsverfahren bei den zuständigen Strafverfolgungsbehörden in Polen
       und in Deutschland“, erklärt das Bundesumweltministerium. Falls man einen
       Verursacher feststelle, sei grundsätzlich der Staat, in dem der Verursacher
       sitzt, für Sanktionen verantwortlich. Heute nun soll der Bericht einer
       Expertenkommission vorgestellt werden, die die Ursache zu ermitteln
       versuchte.
       
       Ein Bericht, der bereits im Vorfeld für Verstimmung sorgt. „Die polnische
       Regierung hat sich bei der Ursachensuche früh festgelegt“, sagt Michael
       Tautenhahn, bei der Nationalparkverwaltung mit der Aufarbeitung
       beschäftigt. Präsident Andrzej Duda erklärte Ende August: „Die Katastrophe
       in der Oder wurde nicht von Menschen verursacht.“ Also kann auch niemand
       zur Verantwortung gezogen werden.
       
       Unstrittig ist, dass die Goldalge Prymnesium parvum Auslöser des
       Fischsterbens war. Diese eigentlich im salzigen Brackwasser beheimatete Art
       produziert ein Toxin, das die Kiemen wechselwarmer Tiere zerstört. „Zuerst
       dachten wir, wenn die ganzen Kormorane, Fischadler, Reiher, Fischotter oder
       Biber jetzt die Fischkadaver fressen, dann setzt sich das Tiersterben
       fort“, so Tautenhahn.
       
       Tatsächlich nämlich wurden in den Untersuchungslaboren auch Quecksilber,
       Rückstände von Lösungsmitteln und andere toxische Chemikalien gefunden. Die
       warmblütigen Fischfresser blieben jedoch unversehrt, weshalb die Alge als
       Ursache am wahrscheinlichsten ist.
       
       ## Umweltskandal im Wahlkampf
       
       Fragt sich, wie diese im Süßwasser der Oder gedeihen konnte. „Polnische
       Parlamentarier haben jetzt 282 illegale Einleitungen in die Oder
       dokumentiert, darunter auch Salzlaugen aus dem Bergbau“, sagt Tautenhahn –
       und zwar so viel, dass die Brandenburger Messstellen im August plötzlich
       eine stark ansteigende Salzkonzentration anzeigten. Die polnische
       Wasserverwaltungsbehörde „Wody Polskie“ gibt an, 500 Verfahren zur
       Überprüfung der Einleitungen eingeleitet zu haben. Die Zahl der Fälle, die
       der Polizei übergeben wurden, liegt aber bei nur 20.
       
       „In Polen gibt es noch mehr Angler als bei uns in Brandenburg“, sagt
       Michael Tautenhahn. Vermutlich deshalb ist der Expertenbericht auch so
       brisant. In Polen ist aktuell Wahlkampf, einige der in Verdacht geratenen
       Unternehmen seien Staatskonzerne, einen [2][Umweltskandal kann sich die
       regierende PiS-Partei nicht erlauben]. Deshalb scheint die Erzählung „von
       der natürlichen Alge“ für die PiS die günstigste.
       
       „Natürlich kann sich die Oder erholen, aber das wird seine Zeit brauchen“,
       sagt Nationalparkleiter Dirk Treichel. Normalerweise würden an der
       Sandbank unterhalb des Stolper Bogens die Fische nur so springen, aber
       jetzt liegt die Oder ruhig. „Und es darf nichts Schädliches mehr
       dazukommen“, ergänzt Michael Tautenhahn. Genau das aber passiere weiterhin:
       Trotz juristischer Auseinandersetzung gehen die [3][Flussbauten zur
       Vertiefung der Oder] weiter, derzeit etwa in Słubice gegenüber von
       Frankfurt (Oder).
       
       Tautenhahn vermutet, dass dadurch Chemikalien wie Quecksilber mobilisiert
       werden: „Wenn sich der Fluss tiefer eingräbt, gibt er jene Sedimente frei,
       die sich dort zu sozialistischen Zeiten ablagerten.“ Aber der polnische
       PiS-Abgeordnete Joachim Brudziński kontert jegliche Flussbaukritik aus
       Deutschland: „Ihr habt schon alle Flüsse in Westeuropa reguliert. Polen
       ist kein Freilichtmuseum.“
       
       29 Sep 2022
       
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 (DIR) Nick Reimer
       
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