# taz.de -- Gesellschaftsverändernde Ereignisse: Tschernobyl, Mauerfall, Corona
       
       > Es gibt Geschehnisse, die alles verändern. Das ist ganz sicher auch im
       > Fall von Corona so. Einiges wird aber doch bleiben. Rassismus zum
       > Beispiel.
       
 (IMG) Bild: Ein Mann geht über den leeren Bahnhofsvorplatz von Köln: Was wird in Zukunft sein?
       
       Tschernobyl. Der Fall der Mauer. Der 11. September. „Bis ans Ende unseres
       Lebens werden wir von Corona hören“, stöhnt die Tochter entnervt. Ja, so
       wird das sein. Komm klar. Keiner Generation sind Ereignisse erspart
       geblieben, die alle Sicherheiten in Frage stellten. Und die Gesellschaften
       von Grund auf veränderten. Zum Guten und zum Schlechten.
       
       Über die Frage, welches die einschneidenden, äußeren Geschehnisse in den
       jeweiligen Biografien waren, können sich Tischrunden zerstreiten – wenn es
       wieder Tischrunden gibt. Allen Zäsuren ist gemeinsam: Als sie passierten,
       konnte sich niemand vorstellen, wie die Welt nach dem ersten Schock
       aussehen würde.
       
       ## Was steht uns bevor, wenn die akute Krise vorbei ist?
       
       Das gilt auch für Corona. Was steht uns bevor, wenn die akute Krise vorbei
       ist? Das Ende der Globalisierung. Deren Anfang. Die Verödung der
       Innenstädte. Die Solidarisierung mit kleinen Geschäften. Der Siegeszug des
       Nationalen. Die Erkenntnis, dass kein Staat alleine überleben kann. Die
       Rückkehr der Religion in den Alltag. Die massenhafte Abkehr von Religionen.
       Die Stigmatisierung der Schwächsten. Der Kampf um und für alte Mütter.
       
       In wenigstens einer Frage herrscht weitgehend Einigkeit: Es wird einen
       Quantensprung im Bereich der Digitalisierung geben. Konkret? Der
       FDP-Vorsitzende Christian Lindner hat im Fernsehen angekündigt, dass
       Präsidiumssitzungen seiner Partei auch nach Corona per Video stattfinden
       sollen. Keine überflüssigen Dienstreisen mehr.
       
       Sehr gut, Christian, du bekommst ein Fleißkärtchen. Zumal du mit den
       anderen in deiner Klasse – also den übrigen Mitgliedern des Präsidiums –
       darüber nicht gesprochen hast, bevor du es in die Kamera getrötet hast.
       Ganz brav.
       
       Aber für Leute, die nicht nur Fleißkärtchen sammeln, fängt das Problem hier
       doch erst an. Home Office über Wochen hinweg macht vielen erst deutlich,
       dass persönliche Begegnungen unerlässlich sind. Gerade, wenn die
       Beteiligten viele Kilometer voneinander entfernt arbeiten.
       
       Dienstreisen versus Klimaschutz? Ja, vermutlich wird die Frage nach Corona
       anders gestellt werden als vorher. Aber es ist eben auch gut möglich, dass
       der persönliche Kontakt künftig an Bedeutung gewinnt. Wer kann das wissen?
       Außer Christian Lindner, natürlich.
       
       Manches scheint unveränderlich. Der AfD-Politiker Alexander Gauland freute
       sich am Beginn seiner Rede im Bundestag zum Rettungspaket der Regierung,
       dass endlich eine zentrale Forderung seiner Partei erfüllt wurde: die
       Schließung der Grenzen. So toll. Finden auch die Bauern, die gerade ohne
       Erntehelfer aus Osteuropa dastehen.
       
       Aber ihr solltet da nicht nachlassen, liebe AfD. Steigerungen sind möglich,
       ein Anfang ist gemacht. Zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Restdeutschland
       gibt es eine neue, innerdeutsche Grenze. Da geht doch noch was, AfD?
       Strengt Euch an!
       
       Ja, einiges wird bleiben. Rassismus zum Beispiel. Sechs Millionen
       Atemschutzmasken, bestimmt für Deutschland, seien auf [1][„einem Flughafen
       in Kenia“] verschwunden, so eine weithin verbreitete Meldung. Der Sprecher
       eines Ministeriums bestätigte das auf der Bundespressekonferenz. Die
       Kenianer sprachen von „Fake News“. Offenbar zu Recht. Irgendwann stellte
       die Deutsche Botschaft in Nairobi klar: Keine Vorwürfe gegen Kenia. Gar
       keine.
       
       Das schaffte es dann nicht mehr in die deutschen Nachrichten. Ein
       kenianischer Freund schreibt: „Kein Problem, wir sind daran gewöhnt, für
       Betrüger gehalten zu werden.“ Er schickt kein Smiley. Es klingt bitter.
       
       Warum genau halten sich selbst in Zeiten schlimmster Krisen ausgerechnet
       die widerlichsten Stereotype? Keine Ahnung. Aber es erschwert mir die
       optimistische Stimmung – gemeinsam schaffen wir das! –, die derzeit
       offenbar erste Bürgerpflicht ist.
       
       28 Mar 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.welt.de/politik/deutschland/article206762429/Corona-Sechs-Millionen-Schutzmasken-fuer-Deutschland-verschwunden.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Gaus
       
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