# taz.de -- Großbritanniens Ruanda-Deal: Abschieben, aber rechtssicher
       
       > Ein Vertrag zwischen Großbritannien und Ruanda soll die juristischen
       > Hürden gegen Deportationen von Asylsuchenden überwinden. Aber der Streit
       > bleibt.
       
 (IMG) Bild: Innenminister James Cleverly in der Gedenkstätte für den Völkermord an Ruandas Tutsi 1994 in Kigali
       
       LONDON/BERLIN taz | Großbritannien hat einen neuen Vertrag mit Ruanda
       geschlossen, der [1][Ruandas Status als sicheres Drittland für
       Asylsuchende] garantieren soll. Mit der Unterzeichnung durch Innenminister
       James Cleverly, der dafür am Dienstag eigens nach Kigali reiste, will die
       britische Regierung den vom Supreme Court als rechtswidrig verworfenen Plan
       wiederbeleben, aus Frankreich eingereiste Bootsflüchtlinge ohne Erlaubnis
       nach Ruanda zu fliegen, statt sie Asyl in Großbritannien beantragen zu
       lassen.
       
       Der Vertrag beinhaltet neue Garantien Ruandas: Berufungsinstanzen für
       Asylverfahren, denen internationale Rechtsexpert:innen beisitzen; eine
       unabhängige Stelle, die alle Verfahren und das Wohl der Abgeschobenen
       überwachen; ein absolutes permanentes Bleiberecht in Ruanda für
       Schutzbedürftige, egal ob ihr Antrag auf Asyl dort erfolgreich ist oder
       nicht – für andere wäre nur eine eventuelle Rückführung nach Großbritannien
       möglich, keine Rückführung in ihr Heimatland.
       
       Hintergrund ist, dass der konservative Premierminister Rishi Sunak in
       London seine Glaubwürdigkeit bei der eigenen Basis an das Versprechen
       geknüpft hat, die Einwanderung nach Großbritannien zu senken und
       insbesondere den Zustrom von Bootsflüchtlingen zu stoppen.
       
       Die legale Einwanderung liegt auf Rekordniveau, mit einer Nettozuwanderung
       von 745.000 Menschen im Jahr 2022, 139.000 mehr als im Vorjahr. Was die
       nicht erlaubte Einreise betrifft, überquerten 2022 45.755 Personen mit
       Booten den Ärmelkanal, um in England Asyl zu beantragen.
       
       ## Stopp per einstweiliger Verfügung
       
       Verschärfte Kontrollen an der französischen Küste und ein Abkommen mit
       Albanien sollen dieses Jahr zu einem geschätzten Rückgang der Überquerungen
       um ein Drittel führen, aber dennoch bleibt der Druck groß. Selbst die
       Labour-Opposition spricht inzwischen laut darüber, wie sie die
       Einwanderungszahlen mit der ganzen Macht von Polizei und
       Nachrichtendiensten viel effektiver senken wolle als die Konservativen,
       deren Ruanda-Modell sie ablehnt.
       
       Aus Sicht der Regierung soll das Vorhaben, Asylsuchende sofort nach Ruanda
       zu fliegen, die Bootsreisen unattraktiv machen und somit das
       Geschäftsmodell von Schleusern zerstören. Eine erste entsprechende
       Vereinbarung trafen die beiden Regierungen im April 2022.
       
       Den ersten britischen Deportationsflug nach Ruanda stoppte aber im Juni
       2022 der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in letzter Minute per
       einstweiliger Verfügung, was ein Verfahren durch das gesamte britische
       Rechtssystem bis hinauf zum Obersten Gericht nach sich zog.
       
       Vor wenigen Wochen [2][bestätigte schließlich der Supreme Court, dass
       Ruanda für Asylsuchende kein sicherer Drittstaat sei], da das Land nicht
       garantieren könne, dass die Asylsuchenden von dort nicht in ihre
       Herkunftsländer zurückgeschickt würden. Auch generell gebe es Mängel beim
       Schutz der Menschenrechte und im ruandischen Asylrechtssystem.
       
       ## Übernahme sämtlicher Kosten
       
       Diese Mängel schaffe der neue Vertrag aus der Welt, behauptet Innenminister
       Cleverly. Neben Ruandas Garantien bezüglich Asylverfahren und Bleiberecht
       sei geregelt, dass sogar spätere Straftäter:innen, die ihr Bleiberecht in
       Ruanda verspielen, allerhöchstens zurück ins Vereinigte Königreich geflogen
       werden, auf Kosten der britischen Regierung. Ruanda hat auch das Recht,
       manche Leute gar nicht erst anzunehmen. Wer in Ruanda landet, hat die
       Freiheit, das Land zu verlassen.
       
       Die britische Regierung übernimmt sämtliche Kosten in Ruanda für alle
       Verfahren, Ausbildungen und Unterbringung für mindestens fünf Jahre, danach
       müsste der Vertrag erneuert werden. Bisher hat die britische Regierung
       Ruanda 140 Millionen Pfund (160 Mio. Euro) für die Asylkooperation gezahlt.
       Weitere Summen stehen nun in Aussicht.
       
       Bemerkenswert: Darüber hinaus verpflichtet sich die britische Regierung, im
       Gegenzug Flüchtlinge aus Ruanda aufzunehmen – das Land nimmt regelmäßig
       Schutzsuchende aus anderen afrikanischen Ländern auf, die das UNHCR aus
       Lagern in Libyen ausfliegt. Rechte Kritiker in Großbritannien höhnen
       bereits, am Ende würden mehr Flüchtlinge von Ruanda nach Großbritannien
       reisen als umgekehrt.
       
       Ruanda hat wiederholt unter Verweis auf seine Zusammenarbeit mit dem UNHCR
       die britische Kritik an seinen Asylverfahren zurückgewiesen und auch
       moniert, dass das UNHCR einerseits Flüchtlinge aus Libyen nach Ruanda
       bringt, andererseits vor britischen Gerichten Ruanda als untauglich
       bezeichnet hat.
       
       ## Eilverfahren im Parlament
       
       Ruandas Regierung lobte den neuen Vertrag und sagte, damit würden bisherige
       Zusagen „verbindlich erneuert“. Regierungssprecherin Yolande Makolo
       erklärte: „Jeder, der unter diesem Abkommen nach Ruanda kommt, wird
       willkommen geheißen und erhält die nötige Sicherheit und Unterstützung, um
       in unserem Land ein neues Leben aufzubauen“.
       
       Wie der Vertrag nun umgesetzt wird, ist nicht klar. Die britische Regierung
       könnte ein Gesetz im Eilverfahren ins Parlament einbringen, das die
       Gerichte zwingt, Ruanda jetzt doch als sicheren Drittstaat anzuerkennen,
       oder die Anwendung bestimmter Klauseln der Europäischen
       Menschenrechtskonvention oder der UN-Flüchtlingskonvention auf den
       Ruanda-Deal aussetzt, damit er nicht juristisch gekippt werden kann. Das
       könnte noch an diesem Donnerstag geschehen.
       
       Berichten zufolge stößt dieser Plan aber auf massive juristische Bedenken
       und politischen Widerstand – zahlreiche konservative Abgeordnete würden
       dagegen stimmen, im Oberhaus käme er erst recht nicht durch und auch
       mehrere Ministerrücktritte stehen im Raum.
       
       Wahrscheinlicher ist deshalb, dass das Parlament einfach eine Erklärung
       verabschiedet, wonach Ruanda als sicherer Drittstaat anzuerkennen sei. Doch
       dies wäre für den rechten Parteiflügel nicht hart genug. Die Polarisierung,
       die an den Streit um den Brexit erinnert, könnte sogar das vorzeitige Ende
       von Rishi Sunak als Premierminister bedeuten, spekulieren manche Analysten.
       
       6 Dec 2023
       
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