# taz.de -- Justizreform in Israel: Netanjahu gegen Herzogs Kompromiss
       
       > Präsident Yitzhak Herzog hat im Streit um die Justizreform einen
       > Kompromissvorschlag vorgelegt, doch umgehend eine Abfuhr der Regierung
       > bekommen.
       
 (IMG) Bild: Israels Präsident Yitzhak Herzog bei einer Pressekonferenz im letzten August
       
       TEL AVIV taz | Der israelische Präsident Yitzhak Herzog hat am
       Mittwochabend in einer Fernsehansprache einen Kompromissvorschlag in Sachen
       Justizreform vorgelegt. Gerade jetzt, da Israel am Rande eines
       Bürgerkrieges stünde, sei sein Kompromiss „ein goldener Weg“, der jeden und
       jede schützen würde, sagt er. Trotz seiner Sorgen betonte er auch die
       Chance des Augenblicks, Israel nun eine Verfassung zu geben.
       
       Israel hat seit Gründung des Staates keine Verfassung, sondern lediglich
       Grundgesetze mit Verfassungsrang. „Wir stehen an einem Scheideweg: eine
       historische Krise oder ein entscheidender konstitutioneller Moment“, sagte
       Herzog.
       
       Doch die Absage kam prompt: Wenige Minuten nach der Ansprache lehnte
       Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mitsamt seiner Regierung, an der
       rechtsextreme und ultraorthodoxe Parteien beteiligt sind, den Vorschlag ab.
       
       „Das, was der Präsident vorschlägt, wurde von der Koalition nicht
       gebilligt, und zentrale Elemente des von ihm unterbreiteten Vorschlags
       führen nur die bestehende Situation fort und bringen nicht das notwendige
       Gleichgewicht zwischen den Gewalten“, sagte Netanjahu am Mittwochabend,
       kurz bevor er seinen Flieger nach Berlin bestieg.
       
       ## „Einseitig, voreingenommen, inakzeptabel“
       
       „Einseitig, voreingenommen und inakzeptabel“ nannten die
       Fraktionsvorsitzenden der Regierungskoalition den Kompromissvorschlag in
       einer gemeinsamen Erklärung ebenfalls noch am Mittwochabend.
       
       Noch wurde kein Gesetz der sogenannten Justizreform verabschiedet – doch
       schon jetzt hat die geplante Reform der Regierung das Land in eine
       historische Krise geführt.
       
       [1][Seit Wochen finden auf den Straßen Massenproteste statt]. Eine
       ökonomische Krise droht angesichts der geplanten Veränderungen. Immer
       wieder schwebt mittlerweile gar die Frage im Raum, ob die Polizei und die
       Armee im Fall einer konstitutionellen Krise der Regierung oder dem Obersten
       Gericht folgen würden.
       
       Die Protestierenden sorgen sich, dass die Regierung mit der geplanten
       Justizreform Israel in eine Diktatur verwandelt. Rund zwei Drittel der
       Israelis wollen laut Umfragen, dass die Regierung die Pläne auf Eis legt.
       
       ## Kompromiss stärkt Regierung, entmachtet Richter aber nicht
       
       Das Ziel der sogenannten Justizreform ist unter anderem, das Oberste
       Gericht zu entmachten und der Regierung faktisch die Möglichkeit zu geben,
       Richter zu ernennen. Dies würde die Gewaltenteilung aufheben.
       
       Herzogs Kompromissvorschlag würde zwar das Oberste Gericht schwächen. Es
       bräuchte laut dem Vorschlag mehr Richter*innenstimmen als bisher, um
       ein Gesetz zu kippen. Die Regierung bekäme auch größeren Einfluss bei der
       Ernennung von Richter*innen. Sie könnte jedoch nicht, so wie sie es plant,
       alleinig darüber bestimmen.
       
       Die von der Regierung vorangetriebene und umstrittene Überstimmungsklausel
       ist im Kompromiss nicht mehr enthalten. Mit dieser Klausel sollen
       Entscheidungen des Obersten Gerichts mit einer einfachen Mehrheit des
       Parlaments außer Kraft gesetzt werden können.
       
       ## Angebot Herzogs an Ultraorthodoxe
       
       Wohl in dem Versuch, die ultraorthodoxen Parteien auf seine Seite zu
       bringen, hat Herzog im Kompromiss ein besonderes Schlupfloch geschaffen:
       Mit ihm blieben Ultraorthodoxe weiterhin qua Gesetz vom Militärdienst
       befreit und das Oberste Gericht könnte es nicht aushebeln– ein seit Jahren
       umkämpftes Vorhaben der ultraorthodoxen Parteien.
       
       Arnon Bar David, der Chef der Dachorganisation für die Gewerkschaften, die
       Histadrut, hatte sich Anfang der Woche für den Kompromiss Herzogs
       ausgesprochen und gewarnt, dass seine Organisation nicht „tatenlos zusehen“
       würde, wenn die Regierung daran scheitert, einen Kompromiss zu erzielen.
       
       Die Histadrut mit ihren rund 800.000 Mitgliedern hatte bislang nicht zu den
       Protesten gegen die Justizreform aufgerufen. Dies könnte sich nun ändern.
       In der Vergangenheit hatten Streiks der Histadrut tiefgreifende
       Auswirkungen auf das Land und seine Wirtschaft.
       
       16 Mar 2023
       
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