# taz.de -- Kinostart „Oldboy“: Entgrenzte Körper
       
       > „Oldboy“ von Spike Lee beruht auf einem Rachedrama des koreanischen
       > Regisseurs Chan-wook. Zerstörungswut findet keine kathartische Auflösung.
       
 (IMG) Bild: Gibt den Widerling: Sharlto Copley in „Oldboy“.
       
       Spike Lee und Quentin Tarantino sind zwei meinungsstarke Reizfiguren im
       gegenwärtigen US-Kino. Beide Regisseure vertreten auch – vorsichtig
       formuliert – grundlegend konträre Vorstellungen von einem populären
       Unterhaltungskino mit politischem Anspruch.
       
       Für den ewigen Fanboy Tarantino hat sich diese Strategie als kluger
       Schachzug erwiesen. In der Medienöffentlichkeit generieren seine Filme
       heute genug Aufmerksamkeit, um sogar gesellschaftliche Debatten anzustoßen.
       Spike Lee hat sich in der Vergangenheit wiederholt als moralische Instanz
       speziell gegenüber dem Kino Tarantinos positioniert. Zuletzt hagelte es
       harsche Kritik an den revisionistischen Gewaltfantasien im
       Sklaven/Rächer-Western „Django Unchained“.
       
       Insofern entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet Spike
       Lee beim Remake von Park Chan-wooks Rachedrama „Oldboy“ die Regie
       übernommen hat. Parks Film wurde 2003 in Cannes, unter der Schirmherrschaft
       von Jury-Präsident Tarantino, mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet.
       
       Warum Tarantino den koreanischen Regisseur so vehement protegierte, ist
       offensichtlich. Das Schwelgen in comichaft stilisierter Gewalt und das
       wilde Pastiche aus ästhetischwertigem Kunstkino und greller pulp fiction
       gehören auch zu Tarantinos Stilmitteln. „Oldboy“, das grotesk hochgepitchte
       Mittelstück von Parks Rache-Trilogie, erlangte nicht zuletzt dank seines
       Zuspruchs unter Genrefans Kultstatus.
       
       ## Keine Vermittlung
       
       Was dagegen Spike Lee an der Geschichte eines Mannes, der nach zwanzig
       Jahren Gefangenschaft in einem fensterlosen Raum wieder auf die
       Gesellschaft losgelassen wird, interessiert haben mag, erschließt sich auf
       Anhieb nicht. Den blutigen Rachefeldzug in einer fremden, in ihren
       Grundfesten erschütterten Welt (von 9/11 und der Flutkatastrophe von New
       Orleans erfährt der Entführte nur aus dem Fernsehen, wie auch vom Mord an
       seiner Frau und der Adoption der Tochter) könnte man immerhin als starke
       Metapher für ein tief sitzendes gesellschaftliches Unbehagen deuten.
       
       Bei Park war dieser Aspekt etwas unterentwickelt, dafür war sein Film mit
       einem hysterischem Inzest-Subplot, seinem bedrohlich zum Camp neigenden
       Gefühlshaushalt und bizarren Gewaltexzessen noch zu sehr in den
       Phantasmagorien des Manga verwurzelt. Um ein durchschnittliches
       amerikanisches Mainstreampublikum zu erreichen, benötigte die Geschichte
       also dringend eine vermittelnde Instanz.
       
       Um Vermittlung ist Spike Lee in seiner Neuinterpretation, wie er das Remake
       bezeichnet, allerdings nicht bemüht. Auch sein Film blendet konsequent alle
       gesellschaftlichen Zusammenhänge aus. Lee arbeitet in „Oldboy“ häufig mit
       klaustrophobisch engen Einstellungen. Informationen bleiben auf die
       Bildkader beschränkt, Totalen gibt es kaum.
       
       ## Rustikales Männer-Ensemble
       
       So ist die Gewalt ähnlich wie bei Park allein aus den Figuren heraus
       motiviert. Ihre Obsessionen, ihre entgrenzten Körper und ihre
       Zerstörungswut fungieren als Triebfeder eines schicksalhaften, grandios
       überkandidelten Komplotts, hinter dem schließlich ein lächerlicher
       Widerling (Sharlto Copley) hervortritt, dessen effeminiertes Auftreten ihn
       unmissverständlich als Witzfigur kennzeichnet.
       
       Im Gegensatz dazu hat Lee die übrigen Figuren mit Alphamännchen-Qualitäten
       ausgestattet. Josh Brolin interpretiert seine Hauptfigur Joe Doucett als
       testosterongesteuerte Naturgewalt: ein aufgeblasenes Werber-Arschloch, dem
       es erst entschieden an Umgangsformen mangelt und das sich später in ein
       unzerstörbares Stehauf-Männchen verwandeln muss. In der berühmtesten Szene
       des Films schlägt er nur mit einem Hammer bewaffnet eine Schneise durch ein
       Heer von Gangsterschergen. Die Feuertaufe eines Antihelden.
       
       Samuel L. Jackson darf als Joes persönliche Nemesis zwar modisches
       Crossdressing betreiben (blonder Iro zum Lederkilt), variiert ansonsten
       aber nur den Stereotypus des sadistischen Psychopathen. Zur Strafe darf
       Brolin ihm dafür mit einem Teppichmesser die Halspartie perforieren. In
       diesem rustikalen Männer-Ensemble hat Elizabeth Olsen in der einzigen
       weiblichen Hauptrolle erwartungsgemäß wenig Entfaltungsspielraum. Als Joes
       einzige Verbündete wird sie ahnungslos in den perfiden Masterplan
       verstrickt.
       
       Man muss kein ausgesprochener Fan von Parks Film sein, um Lees Remake
       problematisch zu finden. Schon das fulminante Original war kein sonderlich
       einleuchtender Film, allenfalls eine Ansammlung genretauglicher Affekte
       ohne kathartische Auflösung. Auch Lee findet kein erzählerisches Mittel,
       diesen Triebstau zu kompensieren oder wenigstens in einen sinnfälligen
       gesellschaftlichen Konflikt umzuleiten. Stattdessen hält er sich
       großenteils an das Original, auch wenn dieser kulturelle Transfer
       zwangsläufig scheitern muss. Seine Interpretation von „Oldboy“ geht
       irgendwo auf halber Strecke lost in translation. Nicht auszudenken, was
       Quentin Tarantino aus diesem Stoff herausgeholt hätte.
       
       5 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Busche
       
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