# taz.de -- Klimaproteste und Verantwortung: Solange ihr blockt, blockieren wir
       
       > Ziviler Ungehorsam sei undemokratisch, sagen Politiker*innen. Unser*e
       > Autor*in findet: Undemokratisch ist, wenn die Regierung Klimagesetze
       > bricht.
       
 (IMG) Bild: Halten zusammen: Klimaaktivst:innen bei einer Sitzblockade vor dem Berliner Hauptbahnhof im Dezember
       
       Als wir das letzte Mal versuchten, ganz Berlin lahmzulegen, um auf den
       Klimanotstand hinzuweisen, [1][kettete ich mich an eine Leitplanke]. Das
       war 2019, [2][Extinction Rebellion blockierte über eine Woche verteilt
       Plätze, Straßen, Gebäude und Brücken]. Polizisten mussten die Leitplanke
       auseinanderschrauben, um uns Aktivist*innen abzuführen.
       
       Aktionen wie diese [3][stehen nun wieder an] und mehr denn je werden
       Klimaaktivist*innen wie ich dafür getadelt, gegen Gesetze zu
       verstoßen, wenn sie sich zum Beispiel an die Straße kleben. Das Absurde
       daran ist: Während Politiker*innen so etwas sagen, bricht die
       Bundesregierung genau jene Gesetze, die die Einhaltung der Verpflichtungen
       im Klimaschutz sicherstellen sollen. Aber wir jungen Menschen sollen
       Vertrauen in das Versprechen von Rechtsstaat und Demokratie haben?
       
       Was mir mit Blick auf die Klimakrise am meisten zusetzt, ist nicht die
       Enttäuschung darüber, dass die Ampel hinter ihrem Klimaversprechen
       zurückbleibt, [4][wie es der Klimaexpert*innenrat nun wieder erklärt
       hat]. Dass die Politik nicht tut, was sie tun müsste, ist bitter – aber auf
       traurige Weise auch Normalität geworden. Niemand, den ich kenne, erwartet
       eine energiepolitische Kehrtwende, weil die [5][SPD Plakate mit Slogans wie
       „Klimakanzler“ druckt].
       
       Was aber schmerzt, ist, wenn das Gefühl entsteht, es ginge nicht nur
       langsam vorwärts, sondern eigentlich rückwärts. Und diesen Eindruck habe
       nicht nur ich, sondern viele junge Menschen um mich herum.
       
       Erst kürzlich wurde das eigentlich [6][schon beschlossene Verbrenner-Aus ab
       2035 aufgeweicht] – damit die E-Fuels auch noch irgendwie vorkommen. Dass
       es in absehbarer Zeit keinen relevanten Markt dafür geben wird? Dass die
       Physik klare Grenzen hat, was den Wirkungsgrad dieser Technologien angeht?
       Völlig egal.
       
       ## Phantasielösungen für eine Wunschwirklichkeit
       
       Es geht in dieser Debatte schon lange nicht mehr um tatsächliche Lösungen
       für die Klimakrise unter den Parametern der Wirklichkeit, sondern um
       abstrakte Lösungen, die innerhalb von Wunschparametern in einer
       Wunschwirklichkeit funktionieren. All das konnte man noch als Kränkung
       dieser Menschen von der Wirklichkeit abtun – und die daraus entstehenden
       Zaubertechnologien als Versuch einer Befriedung jener Kränkung.
       
       Was nun aber im Verkehrsministerium passiert, ist nicht mehr bloß der Kampf
       von Wirklichkeitsgekränkten. Es macht mich wütend. [7][Das
       Klimaschutzgesetz wird so geändert, dass die einzelnen Sektoren keine
       eigenen Klimaziele mehr haben.] Frei nach dem Motto: Wir können die
       Klimaziele nicht verfehlen, wenn es keine Ziele gibt. [8][Und als Krönung
       soll sogar rückwirkend das Verkehrsministerium von Volker Wissing von
       Anforderungen befreit werden, die das geltende Klimaschutzgesetz vorsieht].
       Wie bitte?
       
       Und das in einer Zeit, in der Aktivist*innen bei zivilem Ungehorsam der
       mahnende Zeigefinger vorgehalten wird! Der Tenor lautet dann: Wir, die
       Demokratie, sind auf solche Protestmittel nicht angewiesen. Wir haben
       andere Wege: Regeln und Gesetze.
       
       Ich bin Teil dieser parlamentarischen Demokratie und engagiere mich
       kommunalpolitisch. Ich habe immer geglaubt, dass es sich lohnt, für Recht
       und Gesetz beim Klimaschutz zu streiten. Aber wie sollen junge Menschen
       davon überzeugt werden, sich nicht auf die Straße zu kleben, wenn
       Politiker*innen parallel sagen: Sorry, das Klimaschutzgesetz gilt jetzt
       nicht mehr, weil sonst würde der Volker ja dagegen verstoßen. Das ist
       Arbeitsverweigerung. Und solange ihr blockiert, blockieren wir deswegen
       auch.
       
       21 Apr 2023
       
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