# taz.de -- Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit: Spritpreis ist sozialer als sein Image > Der CO2-Preis hat einen schlechten Ruf, was seine sozialen Folgen angeht. > Aber wenn man das Geld zur Umverteilung nutzt, könnten viele profitieren. (IMG) Bild: Wer zapft, muss zahlen – und das könnte gerechter sein als gedacht BERLIN taz | Bei manch einem steigt der Puls mit dem [1][Benzinpreis]. Und so war der bisher größte klimapolitische Zank im Wahlkampf: Wie schnell soll der erst in diesem Jahr eingeführte CO2-Preis erhöht werden, was sich unmittelbar an der Tankstelle bemerkbar machen würde? Die Linken wollen ihn möglichst gar nicht anheben – um der Gerechtigkeit willen. Eine Gruppe von Wissenschaftler:innen vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin kam Mitte Juni zu einem überraschenden Fazit. Der CO2-Preis sei sogar das gerechteste Klimaschutzinstrument im Verkehrswesen, wenn man ihn nur mit der richtigen Sozialpolitik kombiniere, [2][ermittelten sie in ihrer neuen Studie]. „Ein CO2-Preis als Aufschlag auf den Spritpreis, bei dem die kompletten Einnahmen in eine einheitliche Pro-Kopf-Rückerstattung fließen, ist mit Abstand die fairste Form von Klimaschutz im Verkehrssektor“, sagt Studienautor Nicolas Koch. Seine Forschungsgruppe hat die Verteilungswirkungen von mehreren Klimaschutzinstrumenten geprüft. Dazu rechnete sie deren Folgen für 156.000 repräsentativ ausgewählte Haushalte durch, über die dank der Umfrage „Mobilität in Deutschland 2017“ des Bundesverkehrsministeriums anonymisierte Daten zu Einkommen, Pkw-Ausstattung und zurückgelegten Verkehrswegen vorliegen. ## Konflikt zwischen Stadt und Vorort Als ordnungsrechtliche Maßnahme untersuchten die Wissenschaftler:innen etwa ein Fahrverbot für Verbrennerautos in Metropolregionen. Im Szenario gehen sie davon aus, dass ein Verbot den Wechsel auf den öffentlichen Nahverkehr zur Folge hat. Die Konfliktlinie verläuft zwischen Stadt und Vorort – wer auf dem Land lebt, bräuchte in vielen Fällen plötzlich deutlich länger für seine Wege. Weil Zeit hier der entscheidende Faktor ist, haben die Wissenschaftler:innen sie in Geld umgerechnet, um eine Vergleichbarkeit zum CO2-Preis herzustellen. Das Ergebnis: Unterschiede zwischen Arm und Reich gibt es kaum. Zeitliche Verluste haben alle, umgerechnet in der Regel zwischen ein und zwei Prozent des Einkommens. Nur wer im Zentrum von Großstädten lebt, hat etwas weniger Einbußen. Wie die Linken attestiert auch das Forscherteam dem CO2-Preis großes soziales Konfliktpotenzial. Sprit- und Heizrechnungen machen generell einen höheren Anteil an niedrigeren Gehältern aus als an hohen. Ein Aufschlag fürs Klima verstärkt das Problem noch. Deswegen enthält die von den Wissenschaftler:innen als fairste Variante empfohlene Option einen Sozialausgleich pro Kopf: Die kompletten erhobenen CO2-Abgaben würde jedes Jahr gleichmäßig auf alle Menschen aufgeteilt. Ein solches Energiegeld hätte den Berechnungen nach zur Folge, dass nur das reichste Fünftel überhaupt draufzahlt. Alle anderen würden statistisch gesehen genauso viel zurückbekommen, wie sie das Jahr über für CO2 gezahlt haben, oder sogar mehr. ## CO2-Preis verteilt Lebensqualität ungerecht Das Argument, Vorgaben und Verbote seien zwar weniger effizient, [3][aber sozial gerechter] als der CO2-Preis, sehen die Wissenschaftler:innen damit als widerlegt. Allerdings: Auch wenn sie beim Verbrenner-Fahrverbot die Zeit in ein Geldäquivalent umgerechnet haben, geht es hier eben nicht um Kosten, die real gezahlt werden müssten. Und wenn man beim Fahrverbot für Verbrenner Zeit in die Verteilungsrechnung einpreist – müsste man dann nicht auch andere nicht-monetäre Verteilungsfolgen beim CO2-Preis bedenken? Die gibt es mit Sicherheit. Denn die Berechnungen beziehen sich auf die Wirkung für den Durchschnitt der Bevölkerung. Zwar steigt der CO2-Fußabdruck generell mit dem Einkommen, weil mehr konsumiert wird. Aber wer zum Beispiel weit zu seinem Job pendeln muss, hat beim derzeitigen öffentlichen Verkehrssystem vielleicht nicht die Möglichkeit, auf den CO2-Preis mit weniger Autofahren zu reagieren. Auch Personen, die nicht dem obersten Einkommensfünftel angehören, könnten dann trotz Ausgleich draufzahlen – weil sie wegen ihres Arbeitswegs einen für ihre Einkommensklasse untypisch hohen CO2-Fußabdruck haben. Ist das Geld knapp, muss man stattdessen möglicherweise auf die gewünschte Urlaubsreise verzichten oder an anderen Stellen zusätzlich sparen. Man könnte also sagen: Der CO2-Preis verteilt Lebensqualität ungerecht. Das in eine Studie zu integrieren ist natürlich schwierig. Was Lebensqualität schafft, ist sehr individuell. Dennoch hinkt der Vergleich zwischen Zeit- und Geldkosten. Das sieht auch Nicolas Koch vom MCC so. „Es ging uns vor allem darum zu zeigen: Jede Maßnahme hat Verteilungseffekte, auch wenn man sie nicht auf den ersten Blick sieht“, sagt Koch. „Der große Vorteil beim CO2-Preis ist es, dass er Einnahmen erzielt, die man zur progressiven Umverteilung nutzen kann.“ ## Keine Sorge um Pendler:innen Grundsätzlich muss man sich Ökonom:innen zufolge nicht allzu sehr um die Pendler:innen sorgen, obwohl sie in der politischen Debatte oft zu Gallionsfiguren aller Argumente gegen den CO2-Preis gemacht werden. Der Anteil der Erwerbstätigen, die mehr als 20 Kilometer weit zur Arbeit fahren müssen, ist mit rund 30 Prozent laut Institut für Arbeits- und Berufsforschung zwar recht groß – aber meist handele es sich dabei um Besserverdienende, erklärt die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Dass die Bundesregierung zur Einführung des CO2-Preises die Pendlerpauschale erhöht hat, kommt denen, die wirklich mit höheren Spritpreisen zu kämpfen haben, also eher nicht zugute. „Die Bundesregierung hat sich dagegen entschieden, einkommensschwache Haushalte zu entlasten – durch eine Pro-Kopf-Klimaprämie, wie auch wir sie gefordert hatten“, meint Kemfert. „Natürlich gibt es Ausnahmen“, sagt Nicolas Koch, „aber um die Finanzlage der geringverdienenden Pflegekraft mit Auto-Pendelstrecke zu verbessern, sind andere sozialpolitische Mittel relevanter.“ Anders gesagt: Klimapolitik kann nicht alle sozialen Ungerechtigkeiten lösen, die es schon vorher gab. 27 Jun 2021 ## LINKS (DIR) [1] /Streit-ueber-Benzinpreis-Erhoehung/!5776408 (DIR) [2] https://www.ifo.de/DocDL/sd-2021-06-loeschel-etal-klimapolitik-verteilungswirkungen.pdf (DIR) [3] /Debatte-ueber-hoehere-Benzinpreise/!5776095 ## AUTOREN (DIR) Susanne Schwarz ## TAGS (DIR) Schwerpunkt Klimawandel (DIR) Mobilität (DIR) grüne Mobilität (DIR) Verkehr (DIR) CO2-Preis (DIR) GNS (DIR) klimataz (DIR) Podcast „Vorgelesen“ (DIR) Schwerpunkt Klimawandel (DIR) Pendlerpauschale (DIR) Schwerpunkt Klimawandel (DIR) Schwerpunkt Klimawandel (DIR) Schwerpunkt Klimawandel (DIR) Schwerpunkt Klimawandel (DIR) Schwerpunkt Klimawandel (DIR) Schwerpunkt Klimawandel (DIR) Schwerpunkt Klimawandel ## ARTIKEL ZUM THEMA (DIR) Caritas-Expertin über Konsum: „Klimaschutz hilft gegen Armut“ Wer Klimaschutz verhindern will, schiebt oft die Armen vor, kritisiert Astrid Schaffert von der Caritas. Doch CO2-Reduktion geht sozial. (DIR) Klimapolitik und die soziale Frage: Die Armen dürfen zahlen Klimaschutz ist nötig, aber die Unterschichten werden am stärksten belastet. Dabei stoßen sie eher wenig CO2 aus – anders als viele Umweltbewusste. (DIR) Soziale Gerechtigkeit bei Klimaschutz: Wir fahren zusammen Klimaschutz und gute Arbeitsbedingungen können zusammen durchgesetzt werden – wenn die Richtigen zur Kasse gebeten werden. (DIR) Beschäftigte in der Automobilindustrie: Die Karre begeistert nicht mehr Laut einer Umfrage sind Beschäftigte in der Autobranche enttäuscht von „ihren“ Konzernen. Auch E-Mobilitätsstrategien überzeugen sie nicht. (DIR) Ticketloser Nahverkehr für alle: Einfach einsteigen, bitte! In Bremen drängen eine Initiative und die SPD auf ticketlosen Nahverkehr und legen Pläne vor. Auch andere Städte diskutieren die Idee. (DIR) Grüner Politiker über Straßenneubau: „Wir wollen auf die Bremse treten“ Deutschland hat genug Straßen, sagt der grüne Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel. Alle Projekte sollen auf Klimaverträglichkeit überprüft werden. (DIR) Fortschritte bei E-Autos: Die erste Million ist die schwerste Endlich boomen die E-Autos. Das liegt nicht nur an EU-Vorgaben und Kaufprämien – die Stromer sind auch in vielen Belangen einfach besser. (DIR) VdK-Präsidentin über Mobilität: „Manche sind aufs Auto angewiesen“ Autoverkehr zu reduzieren geht nicht ohne Alternativen, sagt Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK. Barrierefreiheit sollte Ziel sein. (DIR) Bürger*innenbefragung an der Küste: Flensburg schafft Platz Gibt es zu viele Autos im Zentrum von Flensburg? Im Rahmen ihres „Masterplans Mobilität“ lässt die Stadt über die Nutzung von Straßen abstimmen.