# taz.de -- Konsequenzen aus den Bauernprotesten: Süßes Gift Subvention
       
       > Die Bauern müssen sich öffnen für mehr Umweltschutz. Sonst werden sie
       > viel mehr Subventionen verlieren als die für Agrardiesel, die kaum Höfe
       > retten.
       
       Die meisten Bauern in Deutschland sind Agrarsubventionsritter. Im Schnitt
       bekommen sie rund 50 Prozent ihres Einkommens vom Staat. Wenn es jemand
       wagt, ihnen diese Pfründe auch nur teilweise zu streichen, gehen sie auf
       die Barrikaden. So wie in diesen Tagen. Dabei haben es sich die Wutbauern
       auch selbst zuzuschreiben, dass ihre Branche den Rabatt bei der
       Energiesteuer auf Agrardiesel gerade komplett verliert. Denn sie haben
       berechtigte Forderungen nach einer Reform dieser klimaschädlichen
       Subvention jahrzehntelang ignoriert. So lange, bis es angesichts des akuten
       Sparzwangs infolge des Verfassungsgerichtsurteils zur Schuldenbremse keine
       Reform, sondern eine radikale Streichung gab. Das kann auch bei viel
       wichtigeren Agrarsubventionen als dem Spritsteuerzuschuss passieren.
       
       Schon 2008 kritisierte das [1][Umweltbundesamt] die teilweise
       Steuererstattung beim Agrardiesel. Bereits damals war klar: Je billiger der
       fossile Kraftstoff ist, desto weniger Anreiz haben Landwirtschaft und
       Landtechnikbranche, den Dieselverbrauch zu reduzieren – zum Beispiel durch
       die Entwicklung sauberer Antriebe, eine weniger intensive Bearbeitung der
       Böden oder eine [2][sparsamere Fahrweise]. Seit Jahren empfiehlt die
       Behörde, mit dem Geld lieber eine umweltfreundlichere Landwirtschaft zu
       fördern. Doch die Subventionsritter ließen alle Klimaschutzargumente an
       sich abprallen.
       
       Diese Verweigerungshaltung fällt den AgrarunternehmerInnen nun auf die
       Füße. Wegen des Urteils des Verfassungsgerichts zum Bundeshaushalt riss
       plötzlich ein Milliardenloch auf. Da die Regierungspartei FDP sich partout
       weigert, die Schuldenbremse auszusetzen oder etwa eine Vermögensabgabe für
       Reiche zu erheben, muss nun auch in der Landwirtschaft gespart werden.
       Jetzt sollen die zuletzt 440 Millionen Euro Dieselsteuererstattung nicht
       innerhalb der Branche umverteilt, sondern ihr ganz gestrichen werden.
       
       Diese Niederlage sollte den Bauern und ihren Verbänden eine Warnung sein.
       Denn auch der weitaus größte Teil der Subventionen für ihre Branche ist
       umstritten: die jährlich rund [3][6,2 Milliarden Euro] aus den Agrarfonds
       der EU. Sie werden weitgehend nach Fläche verteilt: Wer mehr Land hat,
       bekommt mehr Geld vom Staat – weitgehend egal, wie umweltfreundlich oder
       -schädlich er wirtschaftet.
       
       Ob WissenschaftlerInnen, der EU-Rechnungshof oder UmweltschützerInnen –
       alle halten die Agrarsubventionen für stark reformbedürftig. Denn die
       Landwirtschaft ernährt uns zwar. Aber sie verursacht auch viele Probleme:
       Sie trägt maßgeblich dazu bei, dass immer mehr Pflanzen- und Tierarten
       aussterben sowie das Grundwasser verschmutzt wird. 14 Prozent der deutschen
       Treibhausgase kommen laut Umweltbundesamt aus der Branche, inklusive der
       Emissionen aus Agrarböden. Viele Nutztiere werden unter ethisch nicht
       vertretbaren Bedingungen gehalten.
       
       Deshalb fordern Umweltorganisationen schon seit Langem, die EU-Milliarden
       nur noch für konkrete Leistungen der Landwirte etwa im Interesse der Natur
       zu zahlen. Die Bauern würden also kein Geld mehr einfach nur dafür
       bekommen, dass sie Bauern sind. Aber sehr wohl dafür, dass sie dabei Raum
       für Vögel und Insekten lassen, auf chemisch-synthetische Pestizide
       verzichten oder Tiere nicht nur im Stall, sondern vor allem auf der Weide
       halten.
       
       Die EU-Kommission hat mehrmals Verordnungen vorgelegt, die in diese
       Richtung gehen. Doch immer wieder sind sie vor allem von den Regierungen
       der Mitgliedstaaten weichgespült oder gleich entkernt worden. Am Ende blieb
       im Wesentlichen alles beim Alten. Das geht schon so seit Jahrzehnten.
       
       Dass die EU-Regierungen Agrarreformen regelmäßig sabotieren, geht meist auf
       das Konto der Landwirtschaftsorganisationen, allen voran des Deutschen
       Bauernverbands. Er ist gut vernetzt mit dem Bundesagrarministerium – und
       besonders gut mit CDU, CSU und FDP. Also mit den Parteien, die seit
       Gründung der Bundesrepublik mit wenigen Unterbrechungen das Ministerium
       geführt haben. Es sind die Parteien, die auch mehrheitlich von den Bauern
       gewählt werden.
       
       Die Spitze des Bauernverbands hat sich folglich keinesfalls gegen die
       kleinen Höfe verschworen, wie oft von linker Seite kolportiert wird. Der
       Bauernverband ist ja auch demokratisch organisiert, vom Ortsverband bis zur
       Bundesorganisation. Wer mit Landwirten spricht und Social-Media-Beiträge
       von Bauern liest, erkennt schnell, dass sich die Basis mit der Spitze im
       Großen und Ganzen einig ist.
       
       Die Argumente sind immer die gleichen: Wenn die Bauern mehr für die Umwelt
       tun müssten, würden ihre Kosten steigen und die Höfe weniger verdienen.
       Besonders kleine Höfe müssten aufgeben. Dann würde die EU mehr billigere
       Lebensmittel importieren, so die Lobby.
       
       Aber das stimmt nicht. Die Forderung war stets, den Umfang der
       Agrarsubventionen zu erhalten, sie aber innerhalb der Landwirtschaft
       umzuverteilen – hin zu den Betrieben, die ökologischer arbeiten. Und große
       Sprünge bei den Importen sind nicht möglich, weil die EU ihre Agrarmärkte
       stark abschottet gegenüber Drittstaaten. Richtig ist, dass von 2021 zu 2022
       in Deutschland laut Statistischem Bundesamt rund 500 der [4][259.200
       Agrarbetriebe] aufgaben. Gegenüber 2010 verschwanden etwa 13 Prozent von
       der Bildfläche.
       
       Doch das bedeutet keinesfalls, dass die Landwirtschaft hierzulande
       aussterben würde. Schließlich bleibt die Agrarfläche ungefähr gleich: rund
       16 Millionen Hektar. Die aufgegebenen Höfe werden also nicht durch Betriebe
       im Ausland ersetzt – sondern durch ihre Nachbarn.
       
       Höfesterben ist vor allem das Ergebnis eines erbitterten Konkurrenzkampfs
       der deutschen Landwirte untereinander. Sie werden dank beispielsweise immer
       ausgeklügelterer Maschinen und Chemikalien immer produktiver. So erzeugen
       sie mehr Lebensmittel, als die VerbraucherInnen essen können. Deshalb sind
       die Preise ihrer Produkte langfristig gesunken. Um trotzdem noch etwas zu
       verdienen, senken viele Landwirte ihre Stückkosten, indem sie noch mehr
       produzieren. Betriebe, die da nicht mithalten können, geben auf – und
       werden von Konkurrenten geschluckt.
       
       ## Politik kann Höfesterben kaum bremsen
       
       So eine „Konsolidierung“ ist normal für eine Branche im Kapitalismus. Die
       Zahl der Bankfilialen etwa verringerte sich 2022 um 6 Prozent, im Jahr
       davor sogar um 10 Prozent, berichtet die [5][Bundesbank]. Auch hier ist der
       Hauptgrund die technische Entwicklung: Immer mehr Bankkunden nutzen jetzt
       Online-Banking.
       
       Wie wenig Einfluss die Agrarpolitik auf das Höfesterben hat, belegt
       eindrücklich ein [6][Diagramm] mit der Zahl der Höfe im Zeitverlauf. Die
       Kurve zeigt seit 1950 im weitgehend gleichen, sehr steilen Winkel nach
       unten. Egal, wer regiert hat.
       
       Für einen minimalen Einfluss der Politik spricht auch, dass die Entwicklung
       fast überall auf der Welt ähnlich ist: in der EU sowieso, in den USA, in
       Australien, in Japan, selbst in Staaten wie Norwegen oder der Schweiz, die
       ihre Landwirtschaft besonders stark abschotten und subventionieren.
       Betriebsschließungen haben also – anders als viele Bauern behaupten – wenig
       mit angeblich immer strengeren Umwelt- und Tierschutzgesetzen zu tun. In
       den vergangenen beiden Jahren sowieso nicht. Bundesagrarminister Cem
       Özdemir ist zwar von den Grünen, aber er hat [7][kaum strengere
       Umweltregeln] durchgesetzt.
       
       Fast gar keinen Einfluss wird es haben, dass der Rabatt auf die
       Agrardieselsteuer wegfällt. Die 155.000 Betriebe, die laut Özdemirs
       Ministerium einen Antrag auf Agrardieselbeihilfe stellen, bekommen im
       Durchschnitt knapp 2.800 Euro im Jahr. Bei zuletzt im Schnitt 115.000 Euro
       Gewinn der Haupterwerbsbetriebe steht fest: Diese kleine Einbuße wird
       keinen Hof in die Pleite treiben. Auch nicht die Klein- und
       Nebenerwerbsbetriebe, denn sie bekamen im Wirtschaftsjahr 2021 rund [8][900
       Euro] – bei 17.000 Euro Gewinn. Übrigens: Rund 100.000 Betriebe – 40
       Prozent – erhalten keinen Cent dieser Subvention, verlieren jetzt also
       nichts.
       
       ## Unvollständige Einkommensstatistik
       
       Den Bauern geht es im Schnitt auch nicht so schlecht, wie sie behaupten.
       Wer mit 250.000 Euro teuren Traktoren vor das Brandenburger Tor fahren kann
       und viele Hektar Land sein Eigentum nennt, gehört gewiss nicht zu den Armen
       der Republik. Auch nicht, wessen Betrieb im Schnitt 115.000 Euro Gewinn im
       vergangenen Wirtschaftsjahr und [9][79.000 oder 54.000 Euro] in den beiden
       Jahren davor eingefahren hat. Und diese Statistiken erfassen oft noch nicht
       einmal alle Einkommensquellen einer Bauernfamilie. Die erheblichen
       Einnahmen aus Photovoltaikanlagen etwa sind regelmäßig nicht dabei.
       
       Die wenigen Supermarktketten, die den Einzelhandel beherrschen, haben kaum
       Schuld, dass manche Höfe schließen müssen. Die Konzerne kaufen in der Regel
       gar nicht bei Bauern, sondern bei Schlachthöfen, Molkereien oder
       Lebensmittelherstellern, die die Produkte der Bauern verarbeiten. Und dabei
       tun die Ketten, was sie tun müssen, um im Kampf mit ihrer eigenen
       Konkurrenz zu überleben: Sie kaufen bei den Lieferanten, die die
       Lebensmittel am billigsten anbieten. Die Verarbeiter geben natürlich den
       Preisdruck der Ketten an die Bauern weiter, aber das funktioniert nur, weil
       sie eben immer genug Landwirte finden, die zu den gewünschten Kosten
       liefern. Das wäre nicht anders, wenn es mehr Supermarktketten gäbe.
       
       Die Konsequenz aus diesen Fakten muss sein, weniger Agrarsubventionen im
       aussichtslosen Kampf gegen das Höfesterben zu verpulvern. Stattdessen
       sollten die Landwirte mehr Geld für Umwelt- und Tierschutz bekommen. Dann
       können die Subventionsritter ihre Milliarden auch besser verteidigen gegen
       Angriffe in künftigen Sparschlachten.
       
       13 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/umweltschaedliche-subventionen-in-deutschland
 (DIR) [2] https://www.agrarheute.com/technik/traktoren/agrardiesel-sprit-sparen-beim-traktor-diesen-einfachen-tricks-591234
 (DIR) [3] https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/eu-agrarpolitik-und-foerderung/gap/gap-nationale-umsetzung.html
 (DIR) [4] https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/Landwirtschaftliche-Betriebe/Tabellen/betriebsgroessenstruktur-landwirtschaftliche-betriebe.html#fussnote-A-122912
 (DIR) [5] https://www.bundesbank.de/de/presse/pressenotizen/bankstellenentwicklung-im-jahr-2022-912656
 (DIR) [6] https://twitter.com/peter_breunig/status/1744319180084584840
 (DIR) [7] /Landwirtschaftsminister-auf-Kuschelkurs/!5979213
 (DIR) [8] https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/agrarbericht-2023.html
 (DIR) [9] https://www.situationsbericht.de/5/52-buchfuehrungsergebnisse
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jost Maurin
       
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