# taz.de -- Krieg in der Ukraine: Putins Feind ist die Nato
       
       > Die Außenpolitik des Westens verlässt sich auf die magische Funktion von
       > Worten: etwas zu sagen ersetzt die Notwendigkeit, etwas zu tun.
       
 (IMG) Bild: Norwegische Soldaten beim Nato-Mannöver „Cold Response 2022“ am Nördlichen Polarkreis am 24. März
       
       August 2013. Die [1][Assad-Diktatur in Syrien beschießt die eigene
       Bevölkerung mit chemischen Waffen]. Über 2000 Menschen sterben.
       US-Präsident Barack Obama hat zuvor einen C-Waffen-Einsatz in Syrien als
       „rote Linie“ bezeichnet. Und doch gibt es keine Konsequenzen.
       
       Sechs Monate später überfällt [2][Russland die Ukraine und annektiert die
       Krim].
       
       August 2021. [3][Afghanistans Taliban] stoßen auf Kabul vor. Die USA,
       vertragliche Schutzmacht der Regierung, ziehen hastig ab und überlassen
       ihre Verbündeten sich selbst. Die Taliban übernehmen kampflos die Macht.
       
       Sechs Monate später [4][überfällt Russland die Ukraine] und bombardiert
       Kiew.
       
       Zwei Dinge lassen sich daraus schließen: Erstens: Der Westen hält sich
       nicht an das, was er sagt. Zweitens: Putin nutzt das aus, um seinen
       Ukraine-Komplex zu befriedigen.
       
       ## Versprechen blieben unerfüllt
       
       Westliche Außenpolitik trägt gern Werte vor in der Hoffnung, dass dies
       Handlungen ersetzt. Man sagt etwas, statt es zu tun. Man schreibt Worten
       eine abschreckende, ja magische Funktion zu: die verbale Drohung genügt, um
       sie nicht umsetzen zu müssen.
       
       Putin hat das längst durchschaut. Schon 2008 sollten die Ukraine und
       Georgien Nato-Mitglieder werden. Deutschland und Frankreich waren dagegen.
       Also gab es nur die theoretische Zusage, aber keinen Beitrittsprozess. Vier
       Monate später verleibte sich Russland Teile von Georgien ein.
       
       Wäre die Nato-Osterweiterung 2008 vollendet worden, wäre Assad 2013 in die
       Schranken gewiesen worden, wäre Kabul 2021 verteidigt worden – die Welt
       wäre heute eine friedlichere. Das verbrannte Trümmerfeld namens Mariupol
       wird in die Geschichte als Putins Vermächtnis eingehen, aber auch als
       Mahnmal für ein westliches Politikverständnis, das nicht begriffen hat, wie
       viele Menschenleben es kostet, markige Worte in Nichtstun münden zu lassen.
       
       Der russische Präsident hat aus seinen Ambitionen, die Ukraine zu
       zerschlagen, nie einen Hehl gemacht. Aber hier hielt man das für ebenso
       leere Rhetorik wie die eigene. Natürlich ist auch Putin ein Meister der
       Lüge. Er lügt nur so offen, dass der Westen auch das wieder nicht ernst
       nimmt. In den laufenden Friedensgesprächen mit Kiew fordert Moskau eine
       neutrale, demilitarisierte Ukraine. Das ist Unsinn.
       
       Ein neutraler Staat kann nicht demilitarisiert sein, er hat ja keine
       Verbündeten. Im realen Leben sind neutrale Staaten hochgradig abwehrbereit.
       Man blicke auf die Schweiz, auf Finnland, auf Schweden. Auf so eine
       Neutralität könnte sich Kiew einlassen: eine starke, wehrhafte Ukraine, die
       Russland in Schach hält und dafür die Nato nicht braucht.
       
       ## Entweder neutral oder demilitarisiert
       
       Aber das will Russland natürlich nicht. Neutral soll nicht die Ukraine
       werden, sondern die Nato. Sie soll stillhalten, während die Ukraine
       vernichtet wird. Wenn Russland Neutralität und Demilitarisierung sagt,
       meint es nicht die Ukraine, sondern den Westen. In Moskau wird das offen
       gesagt. Der Ukrainekrieg ist da der Anfang des großen Feldzugs gegen die
       dekadente westliche Liberalität. Es wird diskutiert, dass man in 30
       Sekunden Warschau auslöschen könnte und dass es an der Zeit sei, einen
       Landkorridor nach Kaliningrad zu schaffen.
       
       Für Putin ist längst die Nato der Kriegsgegner. Ist die Nato bereit, diese
       Rolle anzunehmen? Was wäre, wenn russische Raketen in Polen einschlagen
       oder russische Soldaten einen Streifen von Litauen okkupieren? Gilt dann
       die Nato-Beistandsverpflichtung wirklich ohne Wenn und Aber?
       
       Zweifel sind angebracht. Eine [5][Flugverbotszone über der Ukraine lehnt
       die Nato ab], weil sie zum Atomkrieg mit Russland führen könnte. Aber wenn
       die Angst vor dem Atomkrieg eine Flugverbotszone verhindert, verhindert sie
       im Ernstfall nicht auch den Nato-Beistand an der Ostflanke? Mariupol darf
       verrecken, aber für Vilnius riskiert man alles? Wirklich? Das ist noch
       unglaubwürdiger als Obamas „rote Linie“ in Syrien oder die
       US-Schutzgarantie für Afghanistan.
       
       Wenn Russland mit seinem Krieg auf den Westen zielt, ist die Ukraine der
       Ernstfall. Dann kann man nicht für Warschau kämpfen wollen, aber Kiew
       allein lassen. Man kann nicht einen Kriegseinsatz gegen Russland in der
       Ukraine ausschließen, zu dem man sich im Baltikum verpflichtet. Es ist Zeit
       für Ehrlichkeit in der Außenpolitik.
       
       25 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
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