# taz.de -- Kulturkampf in Spaniens Hauptstadt: „Es sterbe die Intelligenz!“
       
       > In Madrid regiert eine rechtslastige Stadtregierung. Sie sorgt dafür,
       > dass demokratische und republikanische Denkmäler demontiert und zerstört
       > werden.
       
 (IMG) Bild: Femen gegen Faschismus: Protest gegen die totalitäre Rechte in Madrid am 28.März 2021
       
       „Hauptstadt der extremen Rechten“, nannte El Plural unlängst Madrid. Die
       Online-Zeitung beschäftigte sich mit dem Umgang des seit zwei Jahren
       regierenden Bürgermeisters Madrids José Luis Martínez-Almeida mit der
       spanischen Vergangenheit.
       
       Der Politiker aus den Reihen der konservativen Partido Popular (PP), der
       mit der Unterstützung der rechtsliberalen Ciudadanos und den Stimmen der
       rechtsextremen Vox die Geschicke der spanischen Hauptstadt lenkt, schickte
       vergangenen Herbst städtische Angestellte mit Hammer und Meißel los, um
       eine Tafel zu Ehren des ehemaligen Premierministers der spanischen
       Republik, des Sozialisten und Gewerkschafters Francisco Largo Caballero
       (1869–1946) zu entfernen. Zurück blieben Trümmer.
       
       Den Steintafeln mit 3.000 Namen von standrechtlich Erschossenen aus den
       ersten Jahren der Franco-Diktatur, die eine Gedenkstätte auf dem
       hauptstädtischen Friedhof zieren sollten, erging es ähnlich. Verse des
       Dichters Miguel Hernández, der in einem faschistischen Gefängnis verstarb,
       wurden ebenfalls entfernt.
       
       Es ist eine 180-Grad-Wende in der Politik des Erinnerns. Almeidas
       Vorgängerin, die linksalternative [1][Manuela Carmena nutzte das Gesetz zum
       historischen Erinnern] aus dem Jahr 2007, um 52 Straßen, die Namen von
       Persönlichkeiten oder Institutionen der Diktatur trugen, gegen
       demokratische auszutauschen. Kläger dagegen bekamen teilweise recht.
       
       ## Faschistische Straßennamen
       
       Almeida nutzt das Urteil jetzt, um sechs Straßen wieder ihre alten,
       franquistischen Namen zurückzugeben. So wird etwa die Straße „Barco
       Sinaia“, benannt nach dem Schiff, das am Ende des spanischen Bürgerkriegs
       republikanische Flüchtlinge ins Exil nach Mexiko brachte, künftig wieder
       „Crucero Baleares“ heißen. Der Kreuzer bombardierte 1937 die
       Zivilbevölkerung in Málaga.
       
       Und die Straße, die nach der Lehrerin Justa Freire, pädagogische
       Erneuererin aus den Jahren der Republik, benannt wurde, trägt erneut den
       Namen des faschistischen Generals Millán Astray. Dieser wurde durch den Ruf
       „Es sterbe die Intelligenz! Es lebe der Tod“ während eines Vortrags des
       Philosophen Miguel de Unamuno an der Universität in Salamanca bekannt.
       
       „Namen schaffen Bewusstsein“, sagt die Historikern María del Mar del Pozo.
       „Jeder weiß, wie seine Schule oder die Straße hieß, in der er oder sie
       aufgewachsen ist. Es macht einen Unterschied, ob sie den Namen einer
       Lehrerin oder den eines faschistischen Generals trägt“, so die Professorin
       von der Universität Alcalá. Sie ist Autorin mehrerer Studien und Bücher
       über die pädagogische Reformbewegung in den Jahren der frühen Republik.
       „Justa Freire glaubte fest daran, dass der Zugang zu Bildung die soziale
       Lage der Kinder aus armen Verhältnissen verbessern könne.“
       
       Und was macht Bürgermeister Almeida? Er will jetzt gar eine sechs Meter
       hohe Soldatenstatue errichten lassen. [2][Sie soll an die Spanischen Legion
       erinnern.] 1920 als Fremdenlegion gegründet, gelangte die Legión Española
       vor allem durch Kriegsverbrechen in Nordafrika und während des spanischen
       Bürgerkrieges zu Berühmtheit. Das Denkmal soll ausgerechnet auf dem Platz
       vor dem Königlichen Palast in Madrid stehen. Dort also, wo Diktator
       Francisco Franco (1892–1975) gerne seine Ansprachen an die Massen hielt.
       
       ## Wappen am Ministerium
       
       [3][Die Symbole der Diktatur sind in der Hauptstadt heute nach wie vor sehr
       präsent.] Am Verteidigungsministerium prangen die Wappen der Diktatur. Auf
       dem Uni-Campus steht eine Büste des Ministers, der die demokratischen
       Akademiker verfolgen ließ. In einem der städtischen Parks steht ein Denkmal
       für die Putschisten von 1936. Und den Eingang der Stadt vom Nordwesten her
       ziert ein Triumphbogen zu Ehren des Sieges der Faschisten über die
       Demokratie im Jahre 1939.
       
       „Der Regierungspalast ist nur wenige Meter entfernt. Alle Regierungschefs,
       egal welcher Couleur, fuhren dort täglich vorbei. Gestört hat es scheinbar
       keinen“, beschwert sich Emilio Silva, Vorsitzender und Gründer der
       Vereinigung zur Wiedererlangung der historischen Erinnerung (ARMH). Er
       streitet seit Jahren für Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für die Opfer
       der Diktatur. Für ihn ist die Politik von Bürgermeister Almeida „eine
       neuerliche Erniedrigung der damaligen Opfer“. Die Überreste von 100.000 von
       ihnen liegen bis heute in Spanien irgendwo in anonymen Massengräbern
       verscharrt.
       
       Almeida führt, so Silva, einen „Krieg um die Deutung der Geschichte und um
       den Begriffe der Freiheit“ fort, den die Rechte vor Jahren bereits unter
       dem einstigen spanischen Ministerpräsidenten José María Aznar begann.
       
       „Die PP hat Bürgerkrieg und Diktatur nie verurteilt. Anders als in
       Deutschland hat die spanische Rechte nie ganz mit dem faschistischen Erbe,
       dem Franquismus gebrochen“, meint auch Clara Ramas San Miguel. Für die
       Philosophieprofessorin von der hauptstädtischen Universität Complutense hat
       die PP zwei Seelen: „Eine staatstragende, die regiert und verwaltet, und
       eine ideologische“. Mit der neuen Generation rund um den jungen Parteichef
       Pablo Casado sei die ideologische Rechte am Drücker.
       
       ## Generation Schlussstrich
       
       Casado diskreditiert den Antifaschismus mit Behauptungen wie: „Links sein
       kann nicht modern sein. Sie sind Ewiggestrige, die den ganzen Tag von
       Großvaters Krieg und von den Massengräbern von was weiß ich wem reden.“
       Almeida ist einer seiner engsten Vertrauten, Sprecher des Parteivorstandes.
       
       „Die rechtsextreme Vox treibt die PP vor sich her“, sagt Professorin Ramas.
       Die PP dominierte jahrzehntelang das gesamte rechte Spektrum. Dann brach
       Vox die Hegemonie vom rechten Rand her auf. Die von Ex-PPlern gegründete
       Partei wurde bei den letzten spanischen Parlamentswahlen 2019 auf Anhieb
       drittstärkste Kraft.
       
       Für Vox steht neben der nationalen Einheit Spaniens die Ablehnung der
       „Genderdiktatur“ ganz oben auf der Liste ihrer Themen. Feminismus ist das
       Feindbild schlechthin. „Almeida ist auf die Unterstützung von Vox im
       Rathaus angewiesen. Deshalb geht er immer wieder auf deren Forderungen
       ein“, sagt Ramas. So etwa, als die Rechtsextremen die Entfernung einer
       großflächigen feministischen Wandmalerei verlangten.
       
       Es zeigt herausragende Persönlichkeiten wie Rosa Parks, Angela Davis,
       Rigoberta Menchu, Emma Goldman oder Frida Kahlo. Almeida nahm schließlich
       von dem Vorhaben Abstand. Das Gemälde blieb, wurde aber kurz darauf
       geschändet. Den Frauen wurden Fadenkreuze auf die Stirn gesprüht.
       
       ## Kulturelle Hegemonie
       
       „Almeida versucht, der Linken die Interpretation der Geschichte der letzten
       100 Jahre in Spanien streitig zu machen, sie neu zu definieren“, sagt
       Guillermo Fernández. Die Strategie des Bürgermeisters sei eine der
       extremen Rechten weltweit, erklärt der Dozent an der Madrider Universität
       Carlos III. „Die Rechte beklagt, dass die Linke eine vermeintliche
       kulturelle Hegemonie besitze“, sagt Fernández, der über die europäische
       radikale Rechte forscht.
       
       „Deshalb gestalten sie den politischen Kampf nicht nur in Parlamenten, oder
       auf den Straßen und in sozialen Bewegungen. Sie kämpfen auch um die Kultur
       und die Weltbilder.“ Der „metapolitische Kampf“ richte sich gegen die
       vermeintliche intellektuelle Vorherrschaft des fortschrittlichen Lagers,
       gegen eine demokratisch orientierte Erinnerungspolitik, gegen Feminismus
       und gegen eine Toleranz für verschiedene Lebensformen.
       
       Jorge Lago, Verleger und Politikdozent an der gleichen Universität wie
       Fernández, benennt noch einen weiteren Aspekt. „Almeida spielt mit der
       Linken. In dem die Linke gezwungen wird, Symbole und Name aus der
       Vergangenheit zu verteidigen, erscheint sie linker als sie ist. Die Linke
       verliert so die Initiative, sie reagiert nur noch“, so Lago. „Das
       hinterlässt bei vielen den Eindruck: Die Linke handelt nicht aus einem
       gesunden Menschenverstand der Gegenwart, sondern sie ist parteiisch und
       nostalgisch und kümmert sich nur um rückwärtsgewandte Themen und um
       bestimmte Minderheiten.“
       
       Selbst die sozialdemokratische PSOE, die wirtschaftspolitisch längst so
       neoliberal sei wie die PP, werde in diesen Debatten um Vergangenheit und
       Werte zur Linken alten Stiles deklariert. Während sich die PP gleichzeitig
       als Partei der Zukunft inszeniert, die sich auf gutes Verwalten und
       erfolgreiche Wirtschaftspolitik verstehe. „Eine intelligente Strategie. Die
       Rechte drängt die Linke dorthin, wo sie nur verlieren kann“, schlussfolgert
       der Spezialist für politische Diskurse.
       
       1 Oct 2021
       
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