# taz.de -- Mafia in Italien: „Sandokan“ will reden
       
       > Wegen etlicher Morde sitzt Francesco Schiavone seit 1998 im
       > Hochsicherheitsgefängnis. Nun will der berüchtigte Kopf der Camorra mit
       > der Justiz kooperieren.
       
 (IMG) Bild: Wird er auspacken? Francesco Schiavone bei seiner Festnahme 1998
       
       ROM taz | „Sandokan“ wird Francesco Schiavone seit jeher von allen genannt
       – ein mehr als freundlicher Spitzname. Sandokan ist der edle Held aus
       diversen in Indien und Malaysia angesiedelten Romanen Emilio Salgaris, der
       vor gut 100 Jahren – ähnlich wie seinerzeit Karl May in Deutschland – seine
       italienische Leserschaft in exotische Gefilde entführte.
       
       Doch nichts ist edel an Francesco Schiavone, Boss der Camorra aus dem
       Städtchen Casal di Principe. Der heute 70-Jährige sitzt seit 1998 im
       Hochsicherheitsgefängnis, wegen etlicher Morde ist er zu 14-mal
       „lebenslänglich“ verurteilt worden. Bis eben sprach alles dafür, dass er in
       Haft auch eines Tages sterben würde. Wie es sich für [1][einen Boss der
       Bosse gehört], wie es etwa die Sizilianer Totò Riina und Bernardo
       Provenzano vorgemacht haben.
       
       Nun aber gab Sandokan seinem Leben noch einmal eine überraschende Wende,
       mit seiner kürzlichen Mitteilung an die Staatsanwaltschaft, er wolle
       auspacken, sich als „Pentito“, als „Reuiger“ – so werden in Italien die
       Kronzeugen genannt –, der Justiz zur Verfügung stellen.
       
       Zu erzählen hätte Schiavone viel. Mit gerade einmal 18 kam er das erste Mal
       in den Knast, wegen illegalen Waffenbesitzes. Er war schnell wieder
       draußen. Und schnell startete er durch in seiner kriminellen Karriere,
       arbeitete sich hoch zu einem der Bosse, die den „Clan der Casalesi“
       anführten. Den Namen verdankt der Clan seiner Heimatstadt Casal di
       Principe, einem 20.000-Einwohner-Ort in Kampanien, 30 Kilometer nördlich
       von Neapel. So klein der Herkunftsort ist, so groß war das Rad, das
       Sandokan und drei weitere Bosse an der „Casalesi“-Spitze drehten. Bestens
       vernetzt war Sandokan, nicht nur in der Region: Er gehörte nicht nur der
       Camorra an, sondern auch der sizilianischen Cosa Nostra.
       
       ## „Gomorrha“-Autor Saviano ist skeptisch
       
       Tätig war er [2][auf den üblichen Geschäftsfeldern], dem Drogenhandel, den
       per Gewalt durchgesetzten Monopolen bei der Belieferung der örtlichen
       Supermärkte oder dem Geschäft mit Zement für die Baustellen in der
       Umgebung. Zu einer Spitzenposition mit verheerenden Folgen für das Umland
       von Casal di Principe brachten es Schiavone und Konsorten jedoch in einem
       weiteren Business: der illegalen „Entsorgung“ von Giftmüll jeglicher Art –
       Müll, der schlicht in der Erde vergraben wurde, der den Landstrich
       verseuchte und die Menschen vergiftete.
       
       Schiavone könnte jetzt auspacken. Erzählen, wo die Abermillionen geblieben
       sind, der angehäufte „Schatz der Casalesi“. Berichten könnte er auch über
       jene ganz legalen, ehrbaren Unternehmer, die mit der Camorra ihre Geschäfte
       machten, ebenso wie über jene Politiker, die ihnen Protektion gewährten.
       
       Doch Roberto Saviano, der aus Casal di Principe stammende Autor des Buches
       „Gomorrha“, hat seine Zweifel, ob Sandokan wirklich reinen Tisch machen
       wird. Saviano selbst steht seit 2006 unter Polizeischutz, weil er nicht nur
       in seinen Texten, sondern auch bei öffentlichen Auftritten in seiner
       Heimatstadt Schiavone und dessen Kumpane als Feiglinge schmähte. Jetzt
       fürchten er und viele andere, dass Schiavone „ein bisschen Kleingeld“ auf
       den Tisch legt, um Hafterleichterungen zu erhalten, dass er aber die großen
       Geheimnisse ebenso wie die großen Reichtümer weiter hütet.
       
       Schon bald wird sich zeigen, ob Savianos Skepsis berechtigt ist. Das Gesetz
       gibt Schiavone maximal sechs Monate Zeit, um komplett auszupacken. Dann
       wird die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob seine Reue echt ist und er in
       den Genuss von Hafterleichterungen und später gar der Haftentlassung kommen
       kann.
       
       3 Apr 2024
       
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