# taz.de -- Mailänder Museo delle Culture eröffnet: Wir sind nicht allein
       
       > Die Ausstellung „A Beautiful Confluence“ zeigt das Werk der
       > Bauhaus-Künstler Anni und Josef Albers im Kontext ihrer Reisen durch
       > Lateinamerika.
       
 (IMG) Bild: Ausschnitt aus „Studie zu Camino Real“ von Anni Albers (Gouache auf Blaupausenpapier, 1967)
       
       Im Innenhof der ehemaligen Lokomotivwerke Ansaldo und in unmittelbarer Nähe
       zu den Werkstätten der berühmten Mailänder Scala wurde nach
       fünfzehnjähriger Planung nun das Museum der Kulturen (Museo delle Culture,
       MUDEC) in der norditalienischen Wirtschaftsmetropole fertiggestellt.
       
       Entworfen hat den sachlichen Museumsneubau, dessen Verkleidung aus
       Titanzink die industrielle Vergangenheit des Standorts aufgreift, der
       britische Stararchitekt David Chipperfield. Hinter den grau schimmernden
       Kuben ragt zentral platziert ein geschwungenen Glaskörper hervor, der im
       Inneren einen spektakulären Lichthof entstehen lässt. Über den erreicht man
       im oberen Stock die verschiedenen Ausstellungsbereiche des Hauses.
       
       „A Beautiful Confluence: Anni e Josef Albers e l’America Latina“ ist eine
       von vier Ausstellungen, mit denen das MUDEC sein Auftaktprogramm als
       interdisziplinäres Zentrum für die vielfältigen Kulturen der Welt eröffnet.
       Zwischen den abstrakt geometrischen Arbeiten des Künstlerpaares und der
       Formsprache präkolumbianischer Artefakte entwickelt diese Schau über zwei
       Säle einen spannenden Dialog.
       
       ## Lehrer am neu gegründeten Black Mountain College
       
       Anni (1899–1994) und Josef Albers (1888–1976) lernten sich Anfang der
       1920er Jahre am Bauhaus in Weimar kennen. Josef Albers, der in Bottrop
       geborene Maler und Kunstpädagoge, war Leiter der Werkstatt für Glasmalerei
       am Bauhaus und unterrichtete dort zusammen mit Moholy-Nagy den Vorkurs für
       Design und Materialkunde. Anni Albers, geborene Fleischmann, stammte aus
       einer großbürgerlichen jüdischen Familie in Berlin.
       
       Sie kam 1922 nach Weimar und besuchte dort nach dem Vorkurs die
       Weberklasse. Als Nachfolgerin von Gunta Stölzl leitete die Textilkünstlerin
       zeitweilig die Weberei des Bauhauses. Nach der Machtübernahme der
       Nationalsozialisten und der endgültigen Schließung des Bauhauses 1933
       nahmen Anni und Josef Albers die Einladung an, am neu gegründeten
       experimentellen „Black Mountain College“ in North Carolina zu lehren, und
       emigrierten in die USA.
       
       Schon bei Besuchen im damaligen „Museum für Völkerkunde“ in der
       Stresemannstraße in Berlin hatten Anni Albers die Muster und Strukturen der
       Textilien andiner Kulturen begeistert. Ende 1935 unternahmen Anni und Josef
       Albers im Auto von North Carolina aus ihre erste Reise nach Mexiko, der bis
       1967 zwölf weitere folgen sollten. Auch besuchten sie Kuba, Chile und Peru.
       
       ## Die Geometrie präkolumbianischer Architektur
       
       Fasziniert von der Geometrie präkolumbianischer Architektur und
       archäologischer Artefakte hielt Josef Albers die Besichtigungen der
       Ausgrabungsorte auf systematisch arrangierten Kontaktabzügen fest, die ihm
       als eine Art Skizzenbuch für eigene abstrakte Bildkompositionen dienten.
       Die fotografischen Kollagen sind nun mit einer Auswahl ab 1940 entstandener
       Gemälde sowie Webarbeiten und Grafiken von Anni Albers in Mailand zu sehen.
       
       Im Zusammenspiel mit präkolumbianischer Keramik-, Schmuck- und Webkunst der
       auf den Reisen von den Künstlern zusammengetragenen Sammlung und ergänzt
       durch herausragende Exponate aus der ethnologischen Sammlung des MUDEC hat
       der US-amerikanische Kurator der Ausstellung und Leiter der [1][Josef and
       Anni Albers Foundation in Conneticut], Nicholas Fox Weber, versucht, Albers
       Gedanken eines künstlerischen Universalismus, eines geteilten Interesses in
       unterschiedlichen Welten anschaulich zu machen. „Wir sind nicht allein!“,
       riefen Anni und Josef Albers bei ihrem Besuch im Museum für Archäologie
       1953 in Lima begeistert aus.
       
       Während des Presserundgangs bleibt der Kurator vor „Epitaph“ (1968), einer
       gold glänzenden Textilarbeit von Anni Albers stehen. In den
       präkolumbianischen Kulturen wurde Gold besonders wegen seiner Eigenschaft
       geschätzt Licht zu reflektieren, erläutert er und fügt hinzu „sie hat
       geschafft, mich das sehen zu lassen.“ Auch für Josef Albers künstlerisches
       Schaffen war das Thema Wahrnehmung zentral. So macht die in Mailand
       präsentierte „Variante“ (1948–1952) aus seiner Adobe-Serie in Dunkelrot,
       Orange und Rosa eindrücklich sichtbar, wie durch Farbe die Illusion
       ungleicher Flächenaufteilungen entstehen kann.
       
       ## Verzicht auf erläuternde Informationen
       
       Daneben zeigt eine Fotografie Josef Albers aus Oaxaca ein Fenster in einer
       Hausfassade, dessen Anordnung auf überraschende Weise mit dem benachbarten
       Adobe-Gemälde korrespondiert. Um Raum zu schaffen für solche und andere
       visuellen Erkundungen verzichtet „A Beautiful Confluence“ in den
       Ausstellungsräumen weitgehend auf erläuternde Informationen zu Kontext und
       Provenienz der Exponate.
       
       Leider erfährt man somit nur sehr wenig über die zahlreichen anregenden
       Künstlerkontakte, die Anni und Josef Albers in Lateinamerika knüpften –
       etwa zu der kubanischen Designerin Clara Porset, deren „Butaque“-Sessel
       Josef Albers zu dem in Mailand ebenfalls gezeigten „Mexican Chair B“ (1940)
       inspirierte.
       
       Doch besonders Anni Albers’ kleinformatige „Studie zu Camino Real“ (1967),
       ein Entwurf für einen 1968 realisierten Wandteppich im gleichnamigen Hotel
       in Mexiko-Stadt, zeigt im Museo delle Culture deutlich auf, wie gekonnt die
       Künstlerin das jahrhundertealte Wissen der andinen Weberinnen mit den
       Gestaltungsprinzipien ihres ehemaligen Bauhaus-Lehrers Paul Klee auf
       wunderbare Weise zu verbinden verstand – nicht zuletzt, weil sie deren
       Verwandtschaft erkannte.
       
       29 Oct 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.albersfoundation.org
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eva-Christina Meier
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kunst
 (DIR) Bolivien
 (DIR) Dada
 (DIR) Bauhaus
 (DIR) Krieg
 (DIR) Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2022
 (DIR) Kunstausstellung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Preisträgerin der Goethe-Medaille 2020: „Bolivien ist divers“
       
       In Deutschland geehrt, in Bolivien gefeuert. Die indigene Museumsdirektorin
       Elvira Espejo Ayca im taz-Gespräch über den Kulturkampf in Bolivien.
       
 (DIR) Dada, Pop, Punk und linker Aktivismus: Die Kunst der Revolution
       
       Von der Novemberrevolution bis heute, oder: Ohne Abweichung keine Freiheit.
       Warum sich die Kultur der Politik niemals unterordnen sollte.
       
 (DIR) Die moderne Frau und Künstlerin: Die Freiheit zwischen Kette und Schuss
       
       Frauen kamen in die „Frauenklasse“, auch am Bauhaus. Von den Hürden der
       Emanzipation erzählt die famose Retro über Anni Albers in Düsseldorf.
       
 (DIR) Ausstellung über Krieg: Was vom Gemetzel übrig bleibt
       
       Das Landesmuseum in Halle zeigt, was nach dem Kampf ist. „Krieg. Eine
       archäologische Spurensuche“ ist ein spannendes pazifistisches Manifest.
       
 (DIR) Argentinische Autorin über das Nationale: „Eine Art launisches Archiv“
       
       María Sonia Cristoff greift in ihrem neuen Roman „Lasst mich da raus“ die
       Idee des Nationalen an und erzählt, wozu Provinz gut sein kann.
       
 (DIR) Lateinamerikanische Kunst in Wolfsburg: Realitäten verhandeln
       
       Unter dem Titel „Dark Mirror“ zeigt das Kunstmuseum Wolfsburg Kunstwerke
       aus der Daros Latinamerica Collection.