# taz.de -- Nach Boris Johnsons Parlamentsrücktritt: Ein Spuk in London
       
       > Boris Johnson tritt aus dem Parlament zurück. Er kommt damit einer
       > Suspendierung zuvor – und sagt der Regierung den Kampf an.
       
 (IMG) Bild: Schnell als die Suspendierung: Boris Johnson ist als Abgeordneter zurückgetreten
       
       LONDON taz | Drei Rücktritte aus dem Parlament und drei Nachwahlen zum
       Unterhaus – das ist das Resultat des neuesten Aufstandes innerhalb der
       regierenden britischen Konservativen gegen Premierminister Rishi Sunak.
       Ausgelöst hat dies, so analysieren es manche, der Geist des Ex-Premiers
       Boris Johnson. Auch Johnson selber trat am Freitag von seinem
       Parlamentsmandat zurück.
       
       In einer 1.000-Worte-Attacke auf Sunak, seine Partei und die
       Labour-Opposition sprach Johnson am Freitagabend von einer undemokratischen
       „Hexenjagd“ gegen ihn.
       
       Die laufende parlamentarische Untersuchung darüber, ob er über seine Brüche
       der Coronaregeln während seiner Zeit als Premierminister das Parlament
       belogen habe, solle ihn einfach aus dem Parlament entfernen, als „ersten
       Schritt“ dazu, den Brexit rückgängig zu machen.
       
       [1][Johnson reagierte damit auf den bevorstehenden
       Partygate-Untersuchungsbericht] des „Privilege Committee“ – der
       Parlamentsausschuss, der Fehlverhalten von Abgeordneten untersucht und
       Strafmaßnahmen empfehlen kann. Bei einer im Parlament bestätigten
       Suspendierung eines Mandats von mehr als zehn Tagen kann per Volksbegehren
       eine Nachwahl erzwungen werden.
       
       ## Die Party war das Ende
       
       Eine solche Suspendierung hatte der Ausschuss nach eigenen Angaben
       einstimmig beschlossen – nun kam Boris Johnson den zu erwartenden Folgen
       mit seinem Rücktritt zuvor.
       
       Johnson war als Premierminister im vergangenen Juli zurückgetreten,
       [2][unter anderem wegen der Partygate-Vorwürfe gegen ihn]. Die
       parlamentarische Untersuchung darüber, ob er bei seinen Reaktionen darauf
       im Parlament bewusst gelogen hat, lief danach weiter. Johnson hatte von
       Anfang an erklärt, er werde eine Verurteilung nicht akzeptieren.
       
       Die Vorsitzende in seinem Fall ist die Labour-Abgeordnete Harriett Harman,
       doch im Komitee herrscht eine konservative Mehrheit. Laut Johnson sind die
       jedoch wohl keine richtigen Tories, sondern Teil eines Angriffs auf ihn,
       den bereits im Januar die hohe Beamte Sue Gray mit ihrer
       Partygate-Untersuchung geführt hatte. Gray trat im März zurück und wird
       Stabschefin von Labourchef Keir Starmer, was ihre Untersuchung ins
       Zwielicht rückt.
       
       Neue Enthüllungen, dass Johnson und seine Frau auf dem Landsitz britischer
       Premierministers Chequers während eines Lockdowns womöglich unerlaubten
       Besuch hatten, könnten Johnsons ohnehin prekäre Stellung weiter
       verschlechtert haben.
       
       Eine weitere Krise war über Johnsons Whatsapp-Nachrichten während der
       Pandemie entstanden. Es läuft nämlich eine öffentliche Untersuchung des
       staatlichen Umgangs mit der Pandemie, geleitet von der ehemaligen Richterin
       Baronin Heather Hallett. Als sie forderte, dass das Büro des
       Premierministers die Whatsapp-Nachrichten des Ex-Premiers offen und
       unverschlüsselt übergeben solle, stimmte Boris Johnson zu – nicht aber das
       Büro des Premierministers in 10 Downing Street, dem Johnson sein
       Diensttelefon übergeben hatte.
       
       Das letzte Zünglein auf der Waage war die „Honours List“, ein Privileg
       scheidender Premierminister:innen, um neue Abgeordnete des Oberhauses
       „House of Lords“ zu ernennen. Auf Johnsons Liste stehen Ex-Innenministerin
       Priti Patel und Ex-Kulturministerin Nadine Dorries, zwei von Boris Johnsons
       engsten ehemaligen Weggefährtinnen.
       
       ## Wahlkreise angeln
       
       Dorries wurde aber nach einer Überprüfung nicht zugelassen, und am
       Freitagnachmittag kündigte sie ihren Rücktritt aus dem Parlament an und
       brachte damit die Rücktrittslawine ins Rollen. Laut Sunday Times hatte
       Dorries nicht rechtzeitig die notwendige Erklärung abgegeben, dass sie als
       Unterhausabgeordnete binnen sechs Monaten zurücktreten werde.
       
       Damit verschob sich ihre Nominierung, aber Premierminister Sunak, der
       Johnsons Liste billigen muss, soll sich geweigert haben, eine Nominierung
       in der Zukunft zu garantieren. Das soll Johnson verärgert haben. Also trat
       auch er zurück. Am Samstag folgte auch der Johnson-Alliierte Nigel Adams.
       
       Was bedeutet das alles? Boris Johnson könnte sich, sofern das Privilege
       Committee und die konservative Parteiführung es zulassen, nun [3][einen der
       beiden freigewordenen Wahlkreise] angeln.
       
       Der durch Johnson ebenfalls ins Oberhaus beförderte Brexiteer Jacob
       Rees-Mogg prophezeite einen Bürgerkrieg innerhalb der Partei, sollte
       Johnson eine Kandidatur verwehrt werden. Doch andere forderten die Tories
       zum Zusammenhalt auf: Die Welt hätte sich seit Johnson weiterbewegt und
       keiner hätte Lust auf ein neues Johnson-Drama.
       
       11 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
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