# taz.de -- Nach den Terroranschlägen in Brüssel: Sirenen, Stille, Sirenen
       
       > Unsere Autorin lebt in Brüssel. Am Dienstag nahm sie die Straßenbahn zur
       > Arbeit. Einen Moment lang war alles gut. Eine persönliche Schilderung.
       
 (IMG) Bild: Symbole der Trauer in Brüssel – auf der Flagge steht: „Wir sind Brüssel“
       
       Wie jeden Morgen bin ich am Dienstag im Buchladen um die Ecke, um mir
       Zeitungen zu kaufen. Noch war nichts passiert. Die Polizeisirenen waren
       nicht lauter als an anderen Tagen in den vergangenen Wochen. Und ich bin
       mittlerweile an laute Sirenen gewöhnt.
       
       Brüssel ist ein Dorf. Ich lebe in der Nähe eines verlassenen Hauses in
       Molenbeek, in dem die Polizei in der vergangenen Woche zufällig auf Salha
       Abdeslam traf. Ich kann nicht verhindern, dass ich darüber nachdenke, ob
       sich der mutmaßliche Attentäter von Paris die letzten vier Monate dort
       versteckt hat und was das bedeutet. Ich habe ihn vielleicht getroffen, im
       Laden an der Ecke, irgendwo auf der Straße?
       
       Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage, die sich so viele hier in Brüssel
       stellen. An einem Tag, an dem klar wird, dass unsere Gesellschaft gespalten
       ist. Dass es Menschen unter uns gibt, die wollen, dass andere Menschen
       leiden.
       
       Seit der Festnahme von Abdeslam hatte ich, hatten wir alle, ein wenig Ruhe.
       Die Sirenen waren verstummt. Es war Stille.
       
       Als ich am Dienstag in die Straßenbahn sprang, war also alles in Ordnung.
       Das einzig Außergewöhnliche war die Sonne, die das erste Mal seit Monaten
       hell und stark auf die Stadt schien. Die Bahn war voll, die Menschen
       beschäftigt, wie immer.
       
       Auch im Buchladen kein Anzeichen von Panik, die Verkäuferin gelangweilt wie
       immer. Das Radio ist zu leise, als dass ich es wirklich verstehen würde,
       nur Fetzen von den Nachrichten erreichen mich. Etwas über massive Staus auf
       dem Weg zum Flughafen. „Mal wieder diese nervigen, nie endenden
       Bauarbeiten, die die Stadt ruinieren“, denke ich noch. Trotzdem halte ich
       inne, bleibe im Laden, will die Nachrichten weiter hören. Doch der
       Verkäuferin passt es nicht, dass ich im Laden herumhänge, also trete ich
       auf die Straße, immer noch umgeben von glücklichen Menschen.
       
       Als ich endlich im Büro ankomme, werde ich hektisch und erleichtert von
       meiner Kollegin begrüßt, die mich fast erdrückt mit ihrer Sorge und
       Erleichterung: „Scheiße, ich dachte schon, du kommst nie. Ich dachte schon,
       du hast die Metro genommen. Bist du in Ordnung?“ Alle meine Freunde und
       Kollegen wissen, dass ich immer mit den Öffentlichen unterwegs bin, wie so
       viele Pendler.
       
       Dann die Nachrichten im Radio. Über die Bomben. Die Lage ist chaotisch. Und
       doch fühlt es sich an, als ob dieser Tag nur das Ende einer langen Zeit der
       Angst und Bedrückung markiert. Es fühlt sich an, als sei der Tag das Ende
       eines langen Thrillers, in dem wir in Brüssel und Belgien vier Monate lang
       die Protagonisten waren – mit Terrorwarnstufen, Razzien, Bedrohungen. Wir
       alle wussten, dass diese Anschläge nicht nur wahrscheinlich waren, sondern
       dass sie passieren würden. Irgendwann. Zynisch, aber wahr.
       
       Übersetzung: Rieke Havertz
       
       22 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Louise Culot
       
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