# taz.de -- Nahles und AKK: Bedenke das Ende
       
       > Mit den Krisen der Parteivorsitzenden von CDU und SPD bewegt sich das
       > Land auf einen weiteren Sommer des Streits zu. Am Ende könnten Neuwahlen
       > stehen.
       
 (IMG) Bild: Da waren sie noch nicht Parteivorsitzende: Andrea Nahles und Annegret Kramp-Karrenbauer, 2016
       
       Am Ende dieser bewegten Woche stehen zwei Frauen im Mittelpunkt der
       Aufmerksamkeit. Schon wird im politischen Berlin geraunt, die beiden seien
       so gut wie weg. Erledigt. Die eine, die Sozialdemokratin Andrea Nahles, hat
       ohne Not sich und ihren Posten als Fraktionschefin im Bundestag zur
       Abstimmung freigegeben. [1][Am kommenden Dienstag werden die Abgeordneten
       entscheiden], [2][ob Nahles sie weiter führen soll.]
       
       Die andere, die Christdemokratin Annegret Kramp-Karrenbauer, geht
       [3][schwer angeschlagen] in eine Klausur des CDU-Bundesvorstands. Am
       Sonntag und Montag will man miteinander über die Ergebnisse der Europawahl
       sprechen. Die waren in Deutschland bekanntlich nicht gut ausgefallen, die
       Union hat 6,4 Prozentpunkte der Stimmen verloren und kam mit unter 30
       Prozent ins Ziel. Es war die erste Wahl, die Kramp-Karrenbauer und ihr
       Generalsekretär Paul Ziemiak zu verantworten haben.
       
       Die Analyse der Vorsitzenden am zurückliegenden Montag endete bekanntlich
       in einem kommunikativen Desaster. Irritierend ungeordnet brachen aus
       Kramp-Karrenbauer Gedanken und Emotionen heraus. Ein Tiefpunkt war ihre
       Grundannahme, die CDU habe nicht wegen ihrer Politik verloren, sondern
       wegen der Kritik eines YouTubers und des verdrucksten Umgangs damit. Man
       wünschte sich augenblicklich Angela Merkel zurück in die Parteizentrale,
       die ihr Amt mit der häufig kritisierten Patina der Unangreifbarkeit
       versehen hatte: Niveau-Limbo war mit der Uckermärkerin nicht zu machen.
       
       Seit sechs Monaten führt nun Kramp-Karrenbauer die CDU. Und seltsam,
       nachdem die Saarländerin zu Beginn vieles richtig gemacht hatte, droht ihr
       diese rasch erworbene Stärke nun wieder zwischen den Fingern zu zerrinnen.
       Mit ihren dezidiert den konservativen Parteiflügel streichelnden Positionen
       – etwa zur Flüchtlingspolitik, zum Klima oder zu Genderthemen – verliert
       sie zusehends jene Getreuen in der CDU, die anpacken, statt zu meckern. In
       Politiker-Rankings steht die Vorsitzende weit hinter ihrer Vorgängerin
       Angela Merkel.
       
       ## Die Jungs fassen neuen Mut
       
       Erschwerend hinzu kommt Kramp-Karrenbauers Hang, ihr politisches Handeln
       wortreich zu erklären und dabei jede Menge Interpretationsspielraum zu
       schaffen. Wer wie sie auf der Pressekonferenz am vergangenen Montag
       anstehende Reformen als „keine einfache Operation“ ankündigt, inklusive
       „Veränderungen nicht nur an ein, zwei Stellen oder personell“, versetzt die
       eigenen Leute in Aufruhr. Das Selbstbewusstsein des Dickschiffs CDU zu
       beschädigen bleibt nicht ungestraft.
       
       Auch deshalb wird die Klausurtagung des Bundesvorstandes an diesem
       Wochenende unter noch genauerer Beobachtung stehen. Für den Montagmittag
       hat Annegret Kramp-Karrenbauers Pressestelle deshalb wieder zu einem
       Statement eingeladen. Wird sich die Vorsitzende erneut im Wortgestrüpp
       verlieren? Es könnte helfen, sich zuvor noch einmal vor Augen zu halten,
       was Angela Merkel gerade [4][vor Studierenden in Harvard] gesagt hat. Man
       solle, so die Kanzlerin, nicht immer „ersten Impulsen folgen, sondern
       zwischendurch einen Moment innehalten, schweigen, nachdenken, Pause
       machen“.
       
       Merkels Auftritt wirkte in Emotionalität und Präsenz wie eine
       Abschiedstournee. Aber so, wie es aktuell aussieht, wird sie entweder ihrer
       Wunschnachfolgerin fürs Kanzlerinnenamt [5][noch etwas mehr Zeit geben
       müssen]. Oder sie hat ihre Nachfolge demnächst gar nicht mehr selbst in der
       Hand.
       
       Die Jungs in CDU und CSU fassen gerade neuen Mut. Am Dienstag nach Annegret
       Kramp-Karrenbauers peinlicher Pressekonferenz twitterte der beim Hamburger
       Parteitag unterlegene Friedrich Merz, die Parteiführung habe die
       „strategische und kulturelle Kontrolle“ über das Thema Umwelt verloren.
       Auch der Merkel-Getreue Armin Laschet stichelte gegen Kramp-Karrenbauer:
       „Wir können über vieles diskutieren, aber nicht über Pressefreiheit.“
       
       Überall Heckenschützen 
       
       Selbst ihr Gewogene wiegen besorgt die Köpfe. Entweder „AKK“ steht diese
       Krise jetzt eisern durch, so wie Merkel es stets gehalten hat, ordnet ihre
       Agenda und regelt das Chaos in der Parteizentrale. Oder die CDU lässt sie
       noch bis nach den Landtagswahlen im Osten gewähren, bürdet ihr dann die
       erwartbar miesen Ergebnisse auf und bringt derweil für eine mögliche
       Neuwahl im Bund einen Nachfolger in Position. Schneller Personalwechsel –
       das wäre dann allerdings SPD-Niveau.
       
       Auch deren Vorsitzende Andrea Nahles hat viel falsch gemacht in den letzten
       Monaten. Das nimmt nicht Wunder. Schon bevor sie 2017 erst
       Fraktionsvorsitzende und 2018 gerade so Parteichefin wurde, war ihre SPD in
       einem beklagenswerten Zustand. Wahl um Wahl war verloren worden, während
       die Abgeordneten im Bund und in den Landesparlamenten so verzweifelt wie
       vergeblich gegen das Negativimage ihrer eigenen Partei ankämpften und
       trotzdem gravierende Fehler machten.
       
       Erinnert sei etwa an den Spitzenkandidaten der Brandenburger SPD zur
       Europawahl, der sich mit blumigen Versprechungen und einer manipulierten
       Biographie am Landesvorsitzenden und dessen Wunschkandidatin vorbeimogeln
       konnte. Oder an Sigmar Gabriel, der sich dank eines [6][gut dotierten
       Autorenvertrags] medial über die Fehler seiner ehemaligen Generalsekretärin
       auslassen kann. Gerade erst schrieb er im [7][Tagesspiegel], „alles und
       alle“ gehörten in der SPD „auf den Prüfstand“. Das Chaos bei den
       SozialdemokratInnen nutzen CDU und CSU derweil, um deren umwelt- und
       sozialpolitische Gesetzesvorhaben zu boykottieren.
       
       All dies, die Heckenschützen aus den eigenen Reihen, das Machtgehabe und
       Machotum, wird jetzt, im Moment von Nahles’ Schwäche, gern übersehen. Aber
       auch sie selbst macht gerade einen machttaktischen Fehler nach dem anderen.
       Gerade noch gelang es ihr knapp vor der Europawahl, einen Putsch gegen sich
       an der Fraktionsspitze zu unterbinden. Ausgerechnet der Wahlverlierer
       Martin Schulz soll sich berufen gefühlt haben. Doch gleich nachdem die
       GenossInnen im Parteivorstand nach hitziger Debatte verabredet hatten, jede
       weitere Personaldebatte zu unterbinden, verkündete Andrea Nahles am selben
       Abend im Fernsehen, die für September anstehende Wahl zum Fraktionsvorsitz
       auf den 4. Juni vorziehen zu wollen. Seitdem stehen ihre Chancen für eine
       Wiederwahl schlechter als zuvor.
       
       18 Jahre Merkel, 10 SPD-Vorsitzende 
       
       Ihre machttaktische Rochade könnte auch diese Parteivorsitzende ihr Amt
       kosten. Denn die GenossInnen sind richtig sauer. Es ist ja auch einfacher,
       die Verantwortung bei der Führung abzuladen – wozu hat man die schließlich
       gewählt. Eine außerordentliche Fraktionssitzung Mitte dieser Woche verlief
       ergebnislos, man fand keinen Frieden miteinander. Nahles’ Schachzug hat
       sich damit als erfolglos erwiesen.
       
       Selbst wenn die Abgeordneten sie am Dienstag kommender Woche erneut zu
       ihrer Fraktionsvorsitzenden wählen sollten, wäre damit kaum etwas gewonnen.
       Der tiefe Riss liegt ganz offen zutage. Gut möglich, dass Nahles im Fall
       einer Niederlage nicht nur das Amt in der Fraktion, sondern auch den
       Parteivorsitz verlöre. In den 18 Jahren von Angela Merkels CDU-Vorsitz
       haben sich die SozialdemokratInnen zehn Vorsitzende geleistet. Eine Nummer
       elf fiele wohl kaum noch ins Gewicht.
       
       All diese Vorgänge, die Streitigkeiten und Intrigen, der Machtverlust der
       einstigen Volksparteien und die Blockade der Regierungsarbeiten, lassen
       Böses für die kommenden Wochen erahnen. Vor einem Jahr war es die CSU, die
       ihre Schwesterpartei öffentlich bekämpft hatte. Der Sommer 2019 beginnt mit
       heftigen Streitigkeiten in CDU und SPD. Im September und Oktober wird in
       Ostdeutschland gewählt, es muss mit einem politischen Denkzettel für die
       Große Koalition gerechnet werden. Und dann wäre da noch die im
       Koalitionsvertrag verbriefte „Bestandsaufnahme“ zur Mitte der Legislatur.
       Ein Aufstand der SPD-Basis gegen die eigene Führung ist nicht
       ausgeschlossen. Doch auch ohne Rebellion wird es zusehends
       wahrscheinlicher, dass der kommende Herbst diese Regierung hinwegfegen
       könnte.
       
       31 May 2019
       
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