# taz.de -- Nahost-Konflikt im Berliner Clubleben: Ein Klima der Angst
       
       > Der Krieg in Nahost ist im Berliner Nachtleben viel diskutiert und
       > gleichzeitig beschwiegen. Auffällig wenig Stellung wird gegen den
       > Hamas-Terror bezogen.
       
 (IMG) Bild: Irgendwie gerade ein Tanzen auf Vorbehalt in den Berliner Clubs
       
       BERLIN taz | Der Terroranschlag und die Massaker der Hamas an Zivilisten in
       Israel, der zu einem Krieg in Nahost geführt hat, wirkt sich nun auch
       direkt auf den Berliner Clubbetrieb aus. So wurde vergangenen Freitag
       kurzfristig das AL.Festival im Festsaal Kreuzberg abgesagt, bei dem Acts
       aus dem arabischen Raum hätten auftreten sollen. Die genauen Gründe für die
       Absage bleiben in einer Erklärung der Veranstalter AL.Berlin auf [1][deren
       Homepage] etwas schwammig. Wegen des andauernden Krieges gegen Palästina,
       heißt es. Nebenbei wird in dem Text eine aufkommende Repression gegen
       „anti-israelische Stimmen“ in Berlin beklagt.
       
       DJ Ipek, mit der man kurz vor der Gayhane-Party im SO 36 vergangenen
       Samstag spricht, die sie mitorganisiert und die sich an ein queeres
       migrantisches Publikum richtet, sagt, sie könne es absolut verstehen, dass
       einem in diesen Zeiten nicht nach Feiern zumute ist. Hoffe aber, mit ihrer
       Party wenigstens für etwas Ablenkung sorgen zu können. Doch weiter möchte
       sie sich so ad hoc erst einmal nicht zu der Thematik äußern.
       
       Immerhin regt sich die Berliner Clubkultur nun, zeigt offen Emotionen und
       Empörung. Freilich tut sie das erst jetzt, als Israel im Begriff ist, wie
       angekündigt in nie vorher gesehener Weise gegen die Hamas vorzugehen und
       die humanitäre Lage in Gaza bereits katastrophal ist.
       
       ## Verdächtig still
       
       Kurz nach dem 7. Oktober, an dem Tag, als die Hamas-Terroristen ihre
       Untaten in Israel begingen, blieb es dagegen verdächtig still. Ganz anders
       als etwa beim Überfall Russlands auf die Ukraine, wo in der Clubszene
       schnell die ukrainischen Flaggen auf den Social-Media-Kanälen gehisst
       wurden. Dabei wurden von der Hamas nicht nur Kibbuzim überfallen, sondern
       auch auf einem Trance-Festival um die 260 Menschen ermordet. Der direkte
       Link zur Solidarität wäre also da gewesen: Die hedonistische Partykultur,
       für die man doch auch in Berlin so sehr einsteht, wurde von Gotteskriegern
       in brutalster Manier angegriffen.
       
       Aber nun, drei Wochen nach den Massakern, ist relativ klar, dass eine nicht
       geringe Zahl von Akteuren im Berliner Clubbetrieb der Meinung ist, Israel
       habe gar keine Solidarität verdient. Es gab sie, die
       Betroffenheitsbekundungen. Sie kamen vom Holzmarkt, vom Musikfestival CTM
       und vom Club About Blank.
       
       Aber als wirklicher Totalausfall erwies sich ausgerechnet die Berliner
       Clubcommission, die als erster Akteur des Berliner Clubbetriebs reagierte.
       Doch in derem Post fehlt jegliche Kontextualisierung. Die Begriffe Hamas
       und Antisemitismus tauchen erst gar nicht auf. Und am Ende wird für Spenden
       für diverse Organisationen aufgerufen, von denen zwei ausdrücklich für
       palästinensische Geflüchtete zuständig sind. Zumindest zu dem Zeitpunkt und
       bei dem Anlass gingen diese Aufrufe am Thema vorbei.
       
       Nach ein paar unwilligen Kommentaren auf Facebook antwortete die
       Clubcommission immerhin auf einen von diesen und schrieb, man sehe es
       „nicht als unsere Aufgabe, das generelle internationale politische
       Geschehen abseits des clubkulturellen Kontextes zu kommentieren“ und auch
       nicht als „Plattform für diese Diskussionen.“
       
       Diese Stellungnahme der Clubcommission bezog sich auf einen Post von Mo
       Loschelder. Die betrieb selbst einmal einen Club in Berlin, war
       Technoproduzentin und Labelinhaberin und hat heute eine Künstleragentur für
       Musiker und Musikerinnen aus dem Bereich der elektronischen Musik. Sie hebt
       die besondere Bedeutung und Verantwortung der Clubcommission hervor, nennt
       sie die „Vertretung für alle, die mit der Berliner Clubkultur zu tun haben,
       und eine Stimme, die sozusagen für uns alle spricht“. Deswegen sei sie auch
       so entsetzt über das „Wischiwaschi“-Posting. Sie verweist auf das Berliner
       Atonal-Festival, das in den letzten Wochen einen weiteren Aufreger
       innerhalb der Berliner Szene verursacht hat. Nachdem es sich zwei Wochen
       nach dem Massaker der Hamas einem Boykottaufruf in Berlin anschloss, der
       von mit Palästina solidarischen Gruppen initiiert wurde, empörte sich der
       Techno- und Soundart-Künstler Robert Henke mit der an das Festival
       gerichteten Frage: „Wo war dein Post, als die Hamas letzte Woche Hunderte
       von Menschen getötet, lebendig verbrannt, vergewaltigt, entführte? Wo
       bleibt euer Aufschrei, wenn hier in Berlin Molotow-Cocktails an jüdische
       Institutionen geworfen werden?“
       
       Diese Frage löste eine ausgiebige Diskussion auf Social-Media aus.
       Woraufhin die beiden Hauptorganisatoren des Festivals in einem weiteren
       Post klarstellten, nur Privatmeinungen zu äußern. Außerdem schafften sie es
       dann noch, den Hamas-Terror zu verurteilen.
       
       Es ist also auch auf Social Media möglich – auch wenn der Insta-Post des
       Atonal inzwischen ganz entfernt wurde – sich zu korrigieren. Aber ganz
       offensichtlich nicht der Clubcommission. „Erschreckend, dass sie so stur
       geblieben sind und nicht einmal sachliche Details in ihrem Post korrigiert
       haben“, so Loschelder, „Bockigkeit – anders kann ich mir das nicht
       erklären. Wir haben was geschrieben, das muss reichen. Basta.“
       
       Gerne hätte man von der Clubcommission selbst mehr dazu erfahren. Auf
       Anfrage schreibt deren Sprecher Lutz Leichsenring: „Das Thema ist gerade so
       aufgeheizt, dass wir uns aktuell nicht weiter äußern.“ Schiebt dann aber
       noch hinterher: „Wir werden versuchen, unsere Rolle hier bestmöglich als
       Brückenbauer einzunehmen.“ Marcel Weber, Geschäftsführer des queeren Clubs
       Schwuz und [2][Erster Vorsitzender der Clubcommission], gibt auf Anfrage
       an, zu dem Thema ebenfalls nichts weiter beitragen zu wollen.
       
       Sulu Martini vom About Blank, sagt, man habe versucht, sich mit der
       Clubcommission für ein gemeinsames Statement abzustimmen, sei dabei aber
       abgeblockt worden. Das About Blank positioniert sich schon seit Jahren
       ausdrücklich gegen eine eindeutige Parteinahme gegen Israel. Diese, so Sulu
       Martini, habe in den letzten Jahren massiv in der Szene um sich gegriffen.
       Die BDS-nahe Kampagne [3][DJs for Palestine], die Plattendreher dazu
       aufruft, nicht in Israel aufzutreten und sich für die Sache der
       Palästinenser einzusetzen, habe sich auch in die Berliner Szene gefressen.
       
       ## Ein Insta-Aktivismus
       
       Sulu Martini spricht von einem „Insta-Aktivismus“, der bei dieser
       einseitigen Positionierung zum Nahostkonflikt zu beobachten sei. Gegen
       Israel, den angeblichen Apartheidstaat, zu sein, ist dann schnell
       dahingepostet und man bekommt die begehrten Likes.
       
       Gegen dieses schablonenhafte Denken anzugehen und sich vielleicht so zu
       positionieren wie Robert Henke, sei da viel schwieriger, glaubt Loschelder.
       „Die meisten Leute haben Angst, sich überhaupt zu äußern. Weil der
       Themenbereich so komplex ist und wahrscheinlich relativ wenige sich mit dem
       Konflikt beschäftigt haben. Man hat die totale Panik davor, sich in ein
       Fettnäpfchen zu setzen, und Angst vor einem Islamophobievorwurf.“
       
       Das wäre immerhin eine Erklärung dafür, warum die Berliner Clubcommission
       aktuell lieber nichts mehr sagen will: Angst.
       
       Aber noch nicht dafür, warum Lewamm Ghebremariam aus deren Vorstand,
       Diversity-Beraterin und Awareness-Spezialistin, einen Post geliked hat, in
       dem das Massaker der Hamas als Akt des Widerstands gegen den
       „Apartheidstaat“ Israel verklärt wurde.
       
       29 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://alberlin.com/event/al-festival-2023/
 (DIR) [2] https://www.clubcommission.de/clubcommission-waehlt-neuen-vorstand/
 (DIR) [3] /DJ-Boykott-in-Clubszene/!5535187
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Hartmann
       
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