# taz.de -- Nord Stream 2 in Bau: Für die Ostsee ein Strang
       
       > Ist die Gasleitung Nord Stream 2 nötig? Die Antworten sind
       > unterschiedlich. Klar aber ist: Für den Greifswalder Bodden ist der Bau
       > eine Belastung.
       
 (IMG) Bild: Das Verlegeschiff Castoro 10 im Greifswalder Bodden
       
       LUBMIN/BERLIN taz | Eben hat der Kutter vor der südöstlichen Küste Rügens
       abgedreht. Jetzt nimmt er Kurs auf das Festland, auf den kleinen Hafen von
       Lubmin, und die menschlichen Eingriffe in die Natur entfalten ihre ganze
       Hässlichkeit. Die Lagune der südlichen Ostsee, sie ist eine einzige
       Großbaustelle. Fällt vorn der Blick auf eine lange Wand aus acht
       Reaktorblöcken des stillgelegten Atomkraftwerks Lubmin, laufen hinten die
       Bauarbeiten zur Verlegung der Gaspipeline Nord Stream 2 mit mehreren
       Schiffen auf Hochbetrieb, Dazwischen finden im Wasser die letzten Arbeiten
       zur Verlegung der Seekabel vom Windpark Wikinger zum Umspannwerk an Land
       statt. Über allem plätschert die blaugraue See, so als wolle sie vielen
       Operationen am offenen Herzen vertuschen.
       
       Die Pipeline Nord Stream 2 soll Erdgas aus Nordsibirien durch die Ostsee
       nach Westeuropa leiten. Vom russischen Ust-Luga sollen die beiden Stränge
       auf einer Länge von 1.230 Kilometern die Seegebiete Schwedens, Finnlands
       und Dänemarks durchqueren, bevor das Gas in Lubmin an der Küste
       Mecklenburg-Vorpommerns anlandet. Ab Ende 2019 sollen 55 Milliarden
       Kubikmeter Gas pro Jahr fließen, zusätzlich zu der ähnlich hohen Kapazität
       der Leitung Nord Stream 1, deren Rohre weitestgehend parallel zu Nordstream
       2 verlaufen, und die 2011 in Betrieb ging. Hinter dem Vorhaben steht der
       weltweit größte Erdgasförderer, der russische Energiekonzern Gazprom.
       
       Anfang September sind bereits etwa 15 Kilometer des Doppelstrangs im
       Greifswalder Bodden verlegt. Dennoch bleibt der Bau umstritten.
       Umweltschützer befürchten irreparable Schäden in deutschen
       Meeresschutzgebieten, wie die Zerstörung von Mergelriffen und Seegraswiesen
       durch die Baggerarbeiten am Boden. Auf die Frage, ob das zusätzliche
       russische Erdgas auf dem europäischen Gasmarkt überhaupt gebraucht wird,
       gibt es unterschiedliche Antworten. Das Deutsche Institut für
       Wirtschaftsforschung (DIW) etwa hält den Bau für überflüssig.
       
       Anne Böhnke-Henrichs vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu) fallen auf
       Anhieb viele Gründe ein, die gegen die Verlegung der Gasleitung im
       Greifswalder Bodden und der Pommerschen Bucht sprechen. Besonders
       gravierend für das Ökosystem, sagt die Referentin für Meeresschutz, seien
       die mehr als 250 Tonnen Phosphor, die durch die Baggerarbeiten auf dem
       Meeresboden freigesetzt werden. Aufgrund des flachen Wassers müssen die
       Rohre auf den ersten 50 Kilometern eingegraben werden.
       
       ## Die Heringslarven sterben ab
       
       Dazu muss ein etwa drei Meter tiefer und 25 Meter breiter Graben ausgehoben
       werden. Laut Nabu ist die Rinne an manchen Stellen sogar bis zu 80 Meter
       breit. Einer Kettenreaktion gleich befördert dies die Blüte der Algen, die
       bei ihrer späteren Zersetzung am Meeresboden viel Sauerstoff verbrauchen.
       Das wiederum wirkt sich auf Organismen wie Heringslarven aus. „Sie sterben
       ab“. Eine hohe Belastung für die ohnehin schon stark überdüngte Ostsee.
       Erst im Sommer, der ungewöhnlich warm war, hatte es mehrere Meldungen über
       sauerstoffarme „Todeszonen“ gegeben, erkennbar an ihrem fauligen,
       schwefligen Geruch.
       
       Und dann der Vorfall mit dem Schmierfett Mitte Mai. Böhnke-Henrichs hält
       inne. Kurz nach Beginn der Bauarbeiten waren wegen einer beschädigten
       Dichtung an einem Greifarm rund 150 Kilogramm der giftigen Fettklumpen in
       die Ostsee gelangt. Die zuerst fußballgroßen Stücke zersetzten sich zu
       kleinen Partikeln, auch weil der Projektentwickler tagelang nicht reagierte
       und die Aufräumarbeiten nur langsam anliefen. Nur gut die Hälfte des
       Schmierfetts wurde wieder eingesammelt. Weil unter den betroffenen
       Abschnitten auch Vogelschutzgebiete sind, befürchtet man beim
       Naturschutzbund, dass die Tiere die zurückgelassenen pinkfarbenen Klümpchen
       mit Nahrung verwechseln.
       
       Bereits am 2. März 2018 hatte der Nabu im Eilverfahren gegen den
       Planfeststellungsbeschluss des Bergamts Stralsund, das die Genehmigung für
       die Verlegearbeiten erteilte, vor dem Oberverwaltungsgericht Greifswald
       geklagt. Neben Umweltauswirkungen begründeten die Naturschützer die Klage
       mit Verfahrensfehlern. So erhielten die Naturschützer auch nach
       wiederholter Aufforderung keine Einsicht in die Monitoringberichte, die
       über die Pipeline Nord Stream 1 erstellt wurden. Diese Berichte des
       Projektentwicklers besagen, dass sich die zerstörten Lebensgemeinschaften
       am Meeresboden rund um die Gasleitungen innerhalb weniger Jahre
       regenerierten. Der Naturschutzbund geht jedoch für einzelne Biotope von 150
       Jahren aus.
       
       ## Ein schwarzer Tag für die Ostsee
       
       Als Anfang Mai der Bau der Gaspipeline in Lubmin begann, beantragte der
       Nabu zusätzlich eine „Zwischenverfügung“, einen Eilantrag im Eilverfahren.
       So wollten die Naturschützer verhindern, dass die Meerschutzgebiete
       geschädigt würden, bevor das Oberverwaltungsgericht ihre Kritikpunkte hätte
       prüfen können. Anfang Juni wurde der Antrag für einen vorläufigen Baustopp
       jedoch abgelehnt. Der Nabu reichte daraufhin Beschwerde beim
       Bundesverfassungsgericht ein, Mitte Juli entschied Karlsruhe dagegen. Aus
       Sicht der Naturschützer ein schwarzer Tag für die Ostsee. Dazu ein Wust von
       Klagen.
       
       Das Hauptsacheverfahren gegen die Rechtsmäßigkeit des
       Planfeststellungsbeschlusses laufe aber noch, sagt Anne Böhnke-Henrichs.
       Beim Nabu hoffen sie auf verbesserte Kompensationen für die Ostsee. „Die
       bisherigen Maßnahmen können keinen Eingriff in die Natur rechtfertigen“,
       sagt Böhnke-Henrichs. Sinnvolle Entschädigungen seien die Renaturierung von
       Unterwasserpflanzen wie der Armleuchteralge oder Seegras als Kinderstube
       für den Hering und andere Arten.
       
       Mitte August ist der Strand des Seebads Lubmin gut besucht. Familien
       faulenzen in der Sonne, Kinder buddeln im Sand. Axel Vogt, rotes T-Shirt
       und Badehose, klettert vom Rettungsturm herunter. Der Bürgermeister von
       Lubmin arbeitet ehrenamtlich auch als Rettungsschimmer. „Nord Stream 2 ist
       unser großes Glück“, sagt er. Bis zu vierhundert Menschen würden auf der
       Baustelle und in der benachbarten Erdgasübernahmestation arbeiten. „Diese
       Leute müssen alle irgendwo wohnen, einkaufen oder essen gehen.“ Eine große
       Wertschöpfung sei das.
       
       ## Geld für Straßen, Sportplätze, Vereine
       
       Mit der Inbetriebnahme der Gaspipeline erhöht sie sich noch weiter: Eine
       Million Euro Gewerbesteuer von Nord Stream 1 bekommt die 2.225 Einwohner
       große Gemeinde pro Jahr. Der neue Doppelstrang wird eine weitere Million in
       die Kassen spülen, oder auch mehr, je nachdem wie viel Gas verkauft wird.
       Mit dem Geld haben sie in Lubmin Straßen und ein Stadion saniert und
       Vereine unterstützt.
       
       Angst vor einer Umweltkatastrophe in seinem so beschaulichen Seebad, etwa
       dadurch dass die Pipeline leckt, hat der gebürtige Greifswalder nicht. „Die
       Rohre werden regelmäßig kontrolliert.“ Bei Tauchgängen zur Nord Stream 1
       habe er gesehen, wie nahe der Trasse Algen am Meeresgrund wachsen. Kleine
       Biotope seien dort entstanden. „Faszinierend.“
       
       Gut zu sprechen ist der Bürgermeister auch auf den russischen
       Wirtschaftspartner. Russland gehöre zu den wichtigsten Handelspartnern
       Mecklenburg-Vorpommerns, sagt er. „Wir sind in der DDR aufgewachsen, von
       daher haben wir gute Beziehungen zur russischen Föderation.“
       
       ## Am Ufer ein Atomkraftwerk
       
       Die einzige Straße zur Nord Stream-2-Landbaustelle führt vorbei an
       abgeernteten Feldern und Kiefernwäldchen, immer entlang des Greifswalder
       Boddens. Hinter einer Kurve scheint die Zeit stehen geblieben. Gespenstisch
       wirken die gigantischen, grauen Blöcke des 1990 abgeschalteten
       Atomkraftwerks, das noch immer als Zwischenlager für radioaktive Abfälle
       dient.
       
       Gut zwei Kilometer entfernt, auf der Landbaustelle der Nord Stream 2,
       rattert ein Presslufthammer. An den Baucontainern hängt das Logo des
       Projektentwicklers, daneben der Schriftzug „Nord Stream 2. Committed.
       Reliable. Safe.“ – „Nord Stream 2. Engagiert. Zuverlässig. Sicher.“
       
       Steffen Ebert und Jens D. Mueller, beide waren schon Sprecher bei Nord
       Stream 1, wollen alles richtig machen. Sie laden die aus den Niederlanden,
       Finnland und Japan angereisten Journalisten zu Schnittchen, Kaffee und
       Obst. Für alle verpflichtend war am Tag zuvor das Hintergrundgespräch.
       Ebert und Mueller, beide tragen Brille, das Haar ergraut, geben sich alle
       Mühe, Transparenz zu schaffen: Keine noch so kritische Frage soll
       unbeantwortet bleiben. Auch Tage nach dem Besuch werden E-Mails mit
       Fachartikeln, Stellungnahmen und Fotos hinterher geschickt. Als das
       japanische Fernsehteam auf der Landbaustelle aber einen Drehort abseits der
       Wege gefunden hat, winkt Ebert ab. Da sei nicht erlaubt.
       
       Nach ein paar einführenden Worten werden Helme, Schutzbrillen, Westen und
       Arbeitsschuhe verteilt. Ebert und Mueller führen über ausgewählte Bereiche
       der Baustelle. Beide geben sich beinahe ehrfürchtig, angesichts der
       Dimension des Projekts.
       
       Die Gruppe begutachtet einen Graben, durch den das Erdgas vom Wasser aus
       ankommen soll. Mit einem Druck von 220 bar wird es von Russland aus durch
       die Leitung gedrückt. Mittels Druck wird auch die Gasmenge reguliert. Und
       was passiert, wenn ein U-Boot auf die Pipelines auffahren würde, möchte die
       Kollegin aus den Niederlanden wissen. Vor Worst-Case-Szenarien sei man
       nicht gefeit, sagt Ebert schnell, aber darauf vorbereitet. Eine
       Rund-um-die-Uhr-Überwachung des gesamten Systems erkenne jede Abweichung
       sofort. Im Notfall würde es außer Betrieb gesetzt, logischerweise.
       
       Etwa eine Stunde dauert die Fahrt mit dem Kutter, bis Rügen deutlich
       erkennbar ist. Davor liegen vier Ankerschiffe, die das Verlegeschiff
       Castoro 10 wie ein Spinnennetz vorn und hinten auf Position halten, sowie
       mehrere Sicherheitsschiffe, die die Bauarbeiten koordinieren und aufpassen,
       dass kein Boot in die Ankerleinen fährt. Die Castoro 10, ein Arbeitsschiff
       des Dienstleisters Saipem, verlegte hier schon 2010 die Nord Stream 1.
       Durch ihren flachen Rumpf ist es eines der wenigen Schiffe weltweit, das
       hier, wo das Wasser stellenweise nur zwei bis drei Meter tief ist, Piplines
       verlegen kann.
       
       ## Der Strang wächst täglich um 700 Meter
       
       Aus dem Heck hängt ein Stück Rohr. Pressesprecher Ebert erklärt, dass die
       zwölf Meter langen und 24 Tonnen schweren Rohrsegmente dort direkt an Bord
       zusammengeschweißt werden. Anschließend wird der Strang ins Meer gesenkt.
       Etwa 700 Meter werden so jeden Tag verlegt. 160 Leute halten den Betrieb
       des Schiffs sieben Tage und 24 Stunden lang aufrecht. Schon Mitte November
       sind die Arbeiten hier abgeschlossen.
       
       Jetzt dockt an der Castoro 10 ein Kranschiff an, das Rohre liefert, weiter
       hinten am Horizont heben Baggerschiffe den nächsten Abschnitt des Grabens
       aus. Das, was hier nur aus der Ferne zu sehen ist, ist eine Fabrik auf dem
       Wasser.
       
       Nach ein paar Minuten dreht der Kutter ab. Eine nähere Besichtigung des
       Verlegeschiffs sei nicht möglich, das Schiff habe zu viel Tiefgang, man
       stehe unter Zeitdruck und wolle die Arbeiten nicht stören, heißt es von
       Ebert und Mueller.
       
       Die wirklichen Gründe könnten andere sein. Am Abend ist in Lubmin zu
       erfahren, dass die Schweißarbeiten von Asiaten durchgeführt würden. Wie auf
       See üblich, seien dies oft Philippinos oder Indonesier. Schwerarbeiter, die
       für einen Hungerlohn arbeiten.
       
       ## Ist die Pipeline überflüssig?
       
       Anfang September, vor der Kutterfahrt im Bodden, empfängt Jens D. Mueller
       in einem Büro in Berlin-Mitte. Der Unternehmenssprecher gibt Nachhilfe in
       Projektkunde Nord Stream 2. Powerpoint-Präsentation. Chart acht zeigt in
       bunten Grafiken ein Szenario zur Erdgasnachfrage. Es besagt, dass die
       weltweite Gasnachfrage bis 2040 um 50 Prozent steige, während der
       europäische Bedarf weitestgehend konstant bleibe. Der Bau der Pipeline wäre
       überflüssig?
       
       Mueller verneint: Erdgasimporte seien nötig. Nach den Erdbeben in
       Groningen, das letzte erst im Januar 2018, sollen die niederländischen
       Gasfelder geschlossen werden, weshalb die Eigenförderung der EU sinke. Die
       Rechnung scheint fast zu simpel: 62 Prozent aller Brennstoffe werden von
       der Bundesrepublik importiert. Auf Deutschland, Europas größtem Gasmarkt,
       entfallen 23 Prozent der EU-Gasimporte. „Russland bringt
       wettbewerbsfähigstes Gas“, sagt Mueller, „da drückt man auf den Knopf“.
       
       Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) aber kommt nach
       Prüfung der von der EU-Kommission verwendeten Szenarien zur deutschen und
       europäischen Erdgasversorgung zu dem Ergebnis, dass die Nachfrage
       fehlerhaft überschätzt worden sei. Das DIW geht davon aus, dass die
       Versorgung mit kostengünstigem Erdgas aus europäischen Pipelines auf
       Jahrzehnte gesichert sei. Mehr noch gingen verschiedene
       energiewirtschaftliche Szenarien übereinstimmend „von einem rückläufigen
       Anteil fossilen Erdgases an der deutschen Energieversorgung aus“. Das
       bedeutet: Auch wenn Nord-Stream-2 nicht gebaut würde, entstünden keinerlei
       Versorgungslücken. Der Bau der Pipeline ist weder „geboten“ noch
       „erforderlich“.
       
       ## Studien über Studien
       
       Auf die DIW-Analyse angesprochen, fallen Mueller andere namhafte Studien
       ein, „die hinsichtlich der Verbrauchsentwicklung und Daseinsberechtigung
       des Projektes eine ganz andere Aussage treffen“. Sowieso findet Mueller die
       Grundprämisse des DIW falsch. Sie besagt, dass erneuerbare Energien in
       absehbarer Zeit in einem Maße verfügbar und kostengünstig werden, dass
       keine anderen Investitionen mehr notwendig seien.
       
       „Erdgas“, sagt Mueller, „ist die Brückentechnologie auf dem Weg zur
       Energiewende“. Viele Schritte müssten noch gegangen werden: der
       Atomausstieg, der Netzausbau – all das sei noch immer nicht vollzogen.
       „Wenn ich mir anschaue, was Nord-Stream-2-Gas leisten könnte, dann wären
       das als kompletter Ersatz von Kohle zur Stromerzeugung jährlich
       Co2-Einsparungen von 160 Millionen Tonnen.“ Das entspräche Einsparungen von
       40 Millionen Pkw.
       
       „Frau an Bord, Glück geht fort.“ Schon um 3 Uhr in der Früh ist
       Franz-Dieter Hagelberg im Freester Hafen zu Scherzen aufgelegt. Der
       68-Jährige, dicker Bauch, blaue Strickmütze, hat eben die Taue des
       Fischkutters Lauing gelöst. Gemeinsam mit Kapitän Robert Ebeling sollen
       draußen auf dem Greifswalder Bodden die Stellnetze mit Flundern eingeholt
       werden. Die Luft ist mild, der Wind weht nur mäßig, als der Kutter in der
       Dunkelheit den Hafen der Fischereigenossenschaft „Peenemünde Freest“
       verlässt. Während Franz, den Kopf in der Hand, auf der gut zweistündigen
       Fahrt immer wieder einschläft, ist Kapitän Ebeling redselig.
       
       ## „Wenn der Hering weg ist, ist Schluss“
       
       4.000 Stellnetzmeter für 500 Euro Pacht im Jahr bewirtschaftet der
       38-Jährige. Bis November fangen sie Flundern, 40 Cent bis einen Euro zahlt
       der Großhändler pro Kilo, vermarktet durch den Genossenschaftsleiter. Das
       wichtige Geschäft aber findet im Frühjahr statt. Dann zieht der Hering in
       den Bodden, der Brotfisch der westlichen Ostsee. 75 Tonnen Hering durfte
       Ebeling in diesem Jahr fischen, im kommenden Frühjahr wird die Quote um
       knapp die Hälfte gekürzt, da die Larvenpopulation weiter zurückgeht. „Wenn
       der Hering weg ist, ist Schluss“, sagt Ebeling, dessen Vater und Großvater
       hier schon Netze auswarfen. Zu teuer seien der Kutter, die Fanglizenzen,
       die Pacht.
       
       In der Dunkelheit fast unbemerkt hat sich der Bodden in eine schauklige
       Fläche verwandelt. „Ganz schön viel Verkehr hier draußen“, sagt Ebeling, er
       zeigt auf die in der Ferne blinkenden Lichter der Baggerschiffe für die
       Nord Stream 2. Die Korridore der Bagger- und Saugschiffe, die den Sand des
       Piplinegraben zur Zwischenlagerung auf die Insel Usedom transportieren,
       müssen die Fischer freihalten, ebenso den Bereich um das Verlegeschiff.
       
       Dafür werden sie von Nord Stream 2 in Höhe der gemeldeten Fangstatistik
       bzw. den daraus erzielten Erlösen entschädigt – jedoch nur betroffene
       Fischer. Schadensfälle werden extra erstattet. „Aber die müsste man dann
       melden“, Ebeling winkt ab. Als die Nord Stream 2 kurzfristig einen
       Sandkorridor durch sein Fanggebiet verlegte, wurde eine seiner
       Markierungsfahnen abgerissen. Einem Kollegen wurden die Netze
       kaputtgefahren, der war dann einen Kilometer Fanggeschirr los.
       
       ## Die Flundern verrecken
       
       Kurz vor fünf kommt plötzlich Unruhe auf. Zügig ziehen die Männer Ölzeug,
       Gummistiefel und Handschuhe an. Draußen an Deck hat es angefangen zu
       nieseln, ruckartig schaukelt der Kutter. Ebeling hievt den Anker und die
       Fahnen ins Boot. Die ersten drei Netze bringen handbreitgroße zappelnde
       Flundern zum Vorschein. Danach sind es tote Tiere, zuerst einzelne, dann
       viele. Weil der Sauerstoffgehalt vor den großen Herbststürmen, die frisches
       Nordseewasser und Sauerstoff bringen, sehr gering ist, sind die Tiere
       erstickt. Für die Fischer ein Desaster, das neben Lohn auch den halben Tag
       kostet. Jeder Fisch muss mit den Händen einzeln aus den Maschen gepult
       werden.
       
       Dabei wird das Netz vom Kopf der Flunder entfernt und um den Stachel am
       Oberkörper gedreht. Anschließend wird der Fisch aus dem Gewirr der Maschen
       geschoben, was nicht immer gut gelingt, aus einigen Tieren hängen
       Innereien. Hin und wieder wölben sich die Körper, die Fische machen einen
       letzten Atemzug. Langsam geht ihnen die Luft aus – so wie der Ostsee.
       
       Mitarbeit Daniella Cheslow
       
       18 Nov 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Boek
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Russland
 (DIR) Energiepolitik
 (DIR) Mecklenburg-Vorpommern
 (DIR) Umweltverschmutzung
 (DIR) North-Stream-Pipeline
 (DIR) Ostsee
 (DIR) Nordstream
 (DIR) Frankreich
 (DIR) Havarie
 (DIR) Kohleausstieg
 (DIR) Richard Grenell
 (DIR) Polen
 (DIR) Fracking
 (DIR) North-Stream-Pipeline
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Dänemark genehmigt Nord Stream 2: Go für umstrittene Ostseepipeline
       
       Eine letzte Genehmigung für die Fertigstellung der umstrittenen
       Ostsee-Pipeline stand noch aus. Nun geben auch die dänischen Behörden
       grünes Licht.
       
 (DIR) Neue Fischfangquoten: Weniger Hering aus der Ostsee
       
       Etlichen Fischbeständen in der Ostsee geht es ausgenommen schlecht. Die
       EU-Fischereiminister einigen sich nun auf weitreichende Einschnitte.
       
 (DIR) Streit über umstrittene Pipeline beigelegt: EU einig bei Regel für Nord Stream 2
       
       Die EU-Gasrichtlinie lag auf Eis. Doch nach der Einigung zwischen
       Deutschland und Frankreich geht alles ganz schnell. Auch das
       Europaparlament ist jetzt mit an Bord.
       
 (DIR) EU-Abstimmung zu „Nord Stream 2“: Pipeline-Achse Berlin-Paris steht
       
       Kompromiss im Streit um Gasröhre „Nord Stream 2“: EU-Staaten ebnen Weg für
       umstrittenes Projekt. Deutschland ist erleichtert.
       
 (DIR) Erdgas-Pipeline Nord Stream 2: Kompromiss mit Frankreich erreicht
       
       Frankreich wollte für eine Änderung der EU-Gasrichtlinie stimmen. Das hätte
       das deutsch-russische Projekt Nord Stream 2 gefährdet. Dazu soll es jetzt
       nicht kommen.
       
 (DIR) Pipeline Nord Stream 2: Paris will gegen Berlin stimmen
       
       Einem Medienbericht zufolge droht ein Streit zwischen Frankreich und
       Deutschland. Die Regierung Macron soll die Befürchtungen osteuropäischer
       Länder teilen.
       
 (DIR) Verlorene Container der MSC Zoe: Die Zeit drängt für das Wattenmeer
       
       Noch immer befinden sich mehr als 200 Container in der Nordsee, schlechtes
       Wetter verzögert die Bergung. Es droht eine Öko-Katastrophe.
       
 (DIR) Spitzentreffen der Kohleländer: Regionen können mit Hilfe rechnen
       
       Beim Spitzentreffen in Berlin hat die Bundesregierung den Ländern
       Strukturhilfen für den Ausstieg aus der Kohle zugesichert. Konkrete
       Ergebnisse stehen noch aus.
       
 (DIR) USA und Nord Stream 2: Grenell droht deutschen Firmen
       
       Nach Medien-Informationen wiederholt der US-Botschafter in Deutschland,
       Richard Grenell, seine Drohungen. Nord Stream 2 gefährde die Sicherheit.
       
 (DIR) Angela Merkels Besuch in Polen: Pragmatische Annäherung
       
       Bei den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen stehen Gemeinsamkeiten
       im Zentrum. Streitthemen werden nur kurz gestreift – bis auf eins.
       
 (DIR) Wirtschaftsforscherin zu US-Gas-Importen: „Energiewirtschaftlich ist das sinnvoll“
       
       Flüssiggas aus Fracking macht die Europäische Union bei der
       Energieversorgung unabhängiger von Russland, sagt DIW-Forscherin Claudia
       Kemfert.
       
 (DIR) Altmaier als Energie-Diplomat: Zwischenstopp in Kiew
       
       Der deutsche Wirtschaftsminister will im Streit um die Gaspipeline Nord
       Stream 2 vermitteln – und drängt auf Garantien für die Ukraine.