# taz.de -- Öko-Bilanz großer Unternehmen: 25 Konzerne und ihre Null-Nummer
       
       > Globale Firmen versprechen Klimaneutralität. Sie haben große Ziele, aber
       > wenige Maßnahmen. Ein Vergleich zeigt: Die meisten betreiben
       > Greenwashing.
       
 (IMG) Bild: Wer segelt umweltneutraler? Wohl kaum das Containerschiff
       
       BERLIN taz | Eigentlich waren die ExpertInnen des Thinktanks „New Climate
       Institute“ auf der Suche nach guten Vorbildern: Sie fahndeten nach
       Unternehmen, die ihre Klima-Emissionen auf null drücken wollen. Aber was
       sie fanden, waren weit verbreitetes Greenwashing, Täuschung und
       Trickersereien mit dem Etikett „Klimaneutralität“. Denn bei 25
       Weltkonzernen, die versprechen, ihre Treibhausgasemissionen spätestens bis
       2050 auf null („net zero“) zu reduzieren, fanden die ForscherInnen bei
       genauem Hinsehen fast überall zu schwache Ziele, mangelnde Maßnahmen und
       keine Garantien, dass die Versprechen eingehalten werden.
       
       Statt mit „Netto Null“ auf 100 Prozent Reduktion zu setzen, „verpflichten
       sich die Unternehmen in Wirklichkeit nur auf eine Reduktion von im
       Durchschnitt 40 Prozent“. Das ist das Fazit des ersten [1][„Corporate
       Climate Responsibility Monitor“ (CCRM), den das New Climate Institute]
       zusammen mit der Umweltgruppe [2][Carbon Market Watch] am Montag
       veröffentlicht. Der Bericht lag der taz vorab vor.
       
       „Wir waren überrascht und enttäuscht davon, wie wenig verlässlich die
       Klima-Versprechen der untersuchten Unternehmen sind“, sagt Thomas Day,
       Hauptautor des CCRM. „Ihren ehrgeizig klingenden Versprechen fehlt allzu
       oft die reale Substanz, was Konsumenten und Gesetzgeber in die Irre führen
       kann. Selbst Unternehmen, die relativ gut abschneiden, übertreiben ihre
       Aktionen.“
       
       Dabei werden Unternehmen gerade immer mehr zu Akteuren im Klimaschutz. Weil
       es in der Klimapolitik bei den Staaten und auf UN-Ebene nur sehr zäh
       vorangeht, richten sich auf sie immer mehr Hoffnungen: Sie könnten, so die
       eigene Hoffnung, schnell viel bewirken, neue Geschäftsideen voranbringen,
       viel Kapital und Menschen bewegen, wenn sie etwa ihre Lieferketten
       verändern. Schon seit Jahren setzt die UNO verstärkt auf solche
       „nicht-staatlichen Akteure“. Während es bei der Klimakonferenz COP26 im
       schottischen Glasgow im November 2021 [3][auf der UN-Ebene nur qualvoll
       langsamen Fortschritt gab, kamen die Positivmeldungen aus der Wirtschaft].
       
       Weitreichende Vorhaben zur Reduzierung des Klimagases Methan, zur Umleitung
       der Finanzströme, zum Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor und zum Ausbau der
       erneuerbaren Energien wurden als Partnerschaften mit der Industrie
       präsentiert. UN-Generalsektretär Antonio Guterres will eine Expertengruppe
       berufen, die Klimapläne von Unternehmen bewerten und Greenwashing
       verhindern soll. [4][Auch eine Allianz von Umwelt- und Entwicklungsgruppen]
       plant eine ähnliche Kontrollstelle.
       
       ## Umsetzung nicht mal ausreichend
       
       Nun zeigt sich offenbar: Bei vielen multinationalen Konzernen verspricht
       die Konzernspitze weitreichende Ziele, ohne sie ausreichend umzusetzen. Für
       den CCRM-Monitor, der erstmals untersucht, wie ernst die Unternehmen ihre
       eigenen Klimaversprechen nehmen, haben die ExpertInnen 25 globale Firmen
       aus verschiedenen Ländern und Branchen unter die Lupe genommen. Das sei
       keine repräsentative Erhebung, sondern ein begrenzter Überblick, heißt es
       von den ForscherInnen. Ausgewertet wurden öffentlich zugängliche
       Informationen wie Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichte. Bewertet wurde,
       wie transparent die Pläne sind und ob sie die Unternehmen plausibel zu
       „netto null“ führen und damit „Integrität“ haben.
       
       Das Ergebnis: „Hohe Integrität“ zeigt kein einziges Unternehmen.
       „Annehmbar“ sind demnach nur die Pläne der dänischen Reederei Maersk, bis
       2040 klimaneutral zu sein. Unter „moderat“ fallen die Planungen für die
       „grüne Null“ von Apple (CO2-neutral 2030), Sony (Null-Emissionen 2050) und
       Vodafone (netto Null 2040). Mit „niedriger Integrität“ bewertet der CCRM
       die Versprechen von zehn Unternehmen, darunter VW, Google, Amazon, Deutsche
       Telekom oder IKEA. Ganz schlecht mit „sehr niedriger Integrität“ schneiden
       11 Firmen ab, unter ihnen Deutsche Post, BMW, E.ON, Nestlé, Novartis oder
       Unilever.
       
       Die Untersuchung fand auch: Das dreckige Dutzend am unteren Ende dieser
       Skala hatte für den versprochenen Ausstieg aus den Treibhausgasen „keine
       spezifischen Verpflichtungen für Emissionsreduzierungen“, heißt es im
       Bericht. Und die wilde 13 der ein wenig besser aufgestellten Firmen, die
       ihr Versprechen für die Grüne Null mit konkreten Reduktionen untermauern,
       „verpflichten sich, die Emissionen aus ihren Wertschöpfungsketten gegenüber
       2019 nur um durchschnittlich 40 Prozent zu senken“ – obwohl sie nach außen
       „Null“ versprechen.
       
       ## Ticks und Tricks
       
       Die Tricks und Rechenkünste der Unternehmen ähneln der kreativen
       Buchführung, die auch manche UN-Staaten in ihren Emissionsinventaren
       anwenden: Firmen rechnen sich nur die Emissionen aus der Produktion zu,
       nicht aber aus der Lieferkette und dem Gebrauch ihrer Produkte, die bis zu
       90 Prozent der Emissionen ausmachen – Ölkonzerne etwa nicht das CO2 aus der
       Verbrennung von Benzin und Diesel.
       
       Andere Firmen nehmen für sie besonders günstige Jahre als Ausgangspunkt
       ihrer Berechnungen oder lagern CO2-intensive Aktivitäten an Tochterfirmen
       aus; 24 der 25 untersuchten Firmen könnten in irgendeiner Weise umstrittene
       [5][„Kompensationen“ ihrer CO2-Schuld nutzen, etwa durch das Pflanzen von
       Bäumen, die aber beim nächsten Waldbrand wieder in Rauch aufgehen] können.
       Trotzdem sind „Kompensationen“ ein Markt, der weltweit gerade stark wächst.
       
       Der neue CCRM stellt das bisherige System infrage, mit dem die Klimapolitik
       der Firmen weltweit begutachtet und verglichen wird. Denn bislang werben
       viele [6][Unternehmen damit, bei der „Science Based Target Initiative“
       (SBTI)] oder im Überblick des [7][„Carbon Disclosure Project“ (CDP)] zu
       erscheinen. Diese Initiativen veröffentlichen Daten, ob und wie Unternehmen
       auf Investoren-Fragen zur Klimapolitik antworten (CDP) oder ob die
       Unternehmen auf dem Weg zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels sind (SBTI).
       
       Zumindest um diese Einschätzung wird es zwischen CCRM und SBTI wohl heftige
       Debatten geben, denn Unternehmen wie IKEA, Novartis oder BMW, die auf ein
       gutes Rating bei SBTI verweisen können, fallen beim neuen CCRN krachend
       durch. Man wolle aber keine Kritik an SBTI formulieren, sondern „einen
       eigenen methodischen Vorschlag für eine Diskussion machen“, heißt es vom
       CCRM.
       
       ## DHL weist Bewertung zurück
       
       Die Deutsche Post DHL Group etwa ist mit ihrem schlechten Abschneiden beim
       CCRM bei Weitem nicht einverstanden. Ziele, „die nicht dem Bewertungsschema
       des Berichts entsprechen“, seien nicht berücksichtigt, moniert
       Unternehmenssprecherin Hannah Braselmann auf Anfrage der taz.
       
       So werde nicht anerkannt, dass für das Unternehmen „CO2-Kompensation“ nicht
       in Frage komme; weil außerdem Fünfjahresziele gefragt seien, werde das
       2030er-Ziel der Firma nicht angerechnet. Ohnehin verweist das
       Logistikunternehmen darauf, sich alle vor- und nachgelagerten Emissionen
       anzurechnen und gut bei anderen Ratingagenturen wie Dow Jones oder CDP
       abzuschneiden.
       
       Tatsächlich lobt der CCRM ausdrücklich Deutsche Post/DHL zusammen mit
       Maersk für „große Investitionen in kohlenstofffreie Techniken bei Verkehr
       und Logistik“. Es gebe für alle Firmen noch viel Luft nach oben, um solche
       guten Beispiele nachzumachen – und sich im CCRM zu verbessern.
       
       Denn bei aller Professionalität hat der Monitor für die Unternehmen auch
       eine Drohung parat: Er soll ab jetzt alle Jahre wieder den Firmen auf die
       Finger schauen, wie ernst sie ihre „Netto-Null“-Nummern nehmen.
       
       7 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://newclimate.org/
 (DIR) [2] https://carbonmarketwatch.org/
 (DIR) [3] /Klimapolitik-nach-der-COP26/!5811106
 (DIR) [4] https://www.reuters.com/business/cop/global-standards-body-takes-aim-company-greenwashing-claims-2021-11-03/
 (DIR) [5] /Waldbrand-in-den-USA/!5718935
 (DIR) [6] https://sciencebasedtargets.org/
 (DIR) [7] https://www.cdp.net/en/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Pötter
       
       ## TAGS
       
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