# taz.de -- Özil und Gündoğan posieren mit Erdoğan: Deutschsein, wie eine Zwangsneurose
       
       > Die Fotos von Mesut Özil und Ilkay Gündoğan mit Erdoğan sind politisch
       > fragwürdig. Die Reaktionen darauf sind so ermüdend wie scheinheilig.
       
 (IMG) Bild: 3,2,1 – Skandal: Die deutschtürkischen Kicker Gündoğan, Özil und Tosun posieren mit Erdoğan
       
       Was die deutschen Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündoğan getan
       haben, war nicht nur dumm, sondern auch politisch hochgradig fragwürdig.
       Die beiden und Cenk Tosun, ein dritter deutschtürkischer Fußballprofi, der
       in der englischen Premier League spielt und für die türkische Nationalelf
       aufläuft, trafen sich am Sonntag in einem Londoner Hotel mit dem türkischen
       Staatspräsidenten Erdoğan, überreichten ihm Trikots und ließen sich mit ihm
       ablichten.
       
       Am 24. Juni wird in der Türkei gewählt, wohl unter den unfairsten
       Bedingungen, die es jemals gab. Erst kürzlich hatten türkische Politiker
       erklärt, sie peilten keine Wahlkampfauftritte in Deutschland an. Das
       bedeutete: Erstmal keine neuen diplomatischen Krisen. Erleichterung?
       Fehlalarm. Mit den Fotos landete Erdoğan einen Coup, und plötzlich ist in
       Deutschland wieder türkischer Wahlkampf, ganz ohne die physische
       Anwesenheit des umstrittenen Staatspräsidenten.
       
       Am Montagnachmittag äußerte sich Gündoğan zur Kritik am Erdoğan-Treffen:
       „Es war nicht unsere Absicht, mit diesem Bild ein politisches Statement
       abzugeben, geschweige denn Wahlkampf zu machen“, teilte er in einer
       Stellungnahme mit, und ergänzte: „Aber sollten wir uns gegenüber dem
       Präsidenten des Heimatlandes unserer Familien unhöflich verhalten? Bei
       aller berechtigten Kritik haben wir uns aus Respekt vor dem Amt des
       Präsidenten und unseren türkischen Wurzeln – auch als deutsche Staatsbürger
       – für die Geste der Höflichkeit entschieden.“
       
       Gündoğan ging es aber nicht nur um Rechtfertigung, er gab sich, wohl
       aufgrund der harschen Reaktionen, auch ein bisschen versöhnlich: „Als
       deutsche Nationalspieler bekennen wir uns zu den Werten des DFB und sind
       uns unserer Verantwortung bewusst“. Fußball sei ihr Leben und nicht die
       Politik, so Gündoğan auch im Namen seines Kollegen Özil.
       
       ## Eine eigenartige Färbung
       
       Dass die beiden Kicker der DFB-Elf für diese Aktion Kritik ernten, ist
       richtig, und war, auch aus ihrer Sicht – seien sie auch „nur Fußballer“ –
       erwartbar. Ja, auch Fußballer handeln politisch und sind dafür
       kritisierbar. Ja, gerade als deutschtürkische Fußballprofis haben sie im
       „Einwanderungsland Deutschland“ eine besondere Vorbildfunktion für viele
       junge Menschen mit vergleichbaren Biografien. Und ja, weil sie für die
       deutsche Elf auflaufen, repräsentieren sie auch Deutschland. Das ist der
       Duktus vieler Stimmen, die den Vorfall kritisch bewerteten.
       
       Gerade an diesem Punkt aber fangen die Reaktionen an, eine eigenartige
       Färbung anzunehmen. Und es sind gerade Aussagen von Politikern, die einem
       sauer aufstoßen können, auch ohne einen Funken Verständnis für den
       Hotelbesuch der beiden Profis. Nachdem DFB-Chef Reinhard Grindel und
       Teammanager Oliver Bierhoff Unverständnis für die beiden Kicker gezeigt
       hatten und der Erdoğan-Kritiker Cem Özdemir den beiden über den
       Sport-Informationsdienst (SID) empfohlen hatte, „die Begriffe
       Rechtsstaatlichkeit und Demokratie“ nachzuschlagen, äußerten sich auch
       weitere Politiker.
       
       Bundestagsvizepräsident Hans-Peter Friedrich (CSU) sagte der Bild-Zeitung,
       es sei befremdlich, wenn deutsche Fußball-Nationalspieler, die unserem Land
       viel zu verdanken hätten, sich „vor den Wahlkampfkarren eines ausländischen
       Politikers spannen lassen, der sich vor Kurzem noch abfällig über
       Deutschland geäußert hat“. Annette Widmann-Mauz, Staatsministerin für
       Integration im Bundeskanzleramt, schrieb auf Twitter: „Wir sind Vielfalt
       heißt die dfb Kampagne für mehr Toleranz und Respekt und sie wirbt für das
       Gegenteil dieser schiefen Verbeugung vor Herrn #Erdogan.“
       
       Lale Akgün (SPD) sagte der Bild: „Man sollte in der Nationalmannschaft nur
       die Jungs mitspielen lassen, die Steinmeier als unseren Präsidenten
       akzeptieren.“ SPD-Vize Ralf Stegner machte es deutlicher: „Das Posieren mit
       dem türkischen Präsidenten ist kein vorbildhaftes Verhalten, wie es sich
       für deutsche Nationalspieler gehört.“ Ähnlich klang die AfD-Politikern
       Beatrix von Storch auf Twitter: „Warum spielt #Gündogan für die deutsche
       Nationalmannschaft- wenn er doch #Erdogan „seinen Präsidenten“ nennt. Möge
       er doch für seinen Präsidenten kicken gehen.“
       
       ## Oh Mann Deutschland, schon wieder?
       
       In Zeiten von Heimatministerien, in der sich auch linke,
       sozialdemokratische und grüne Politiker gezwungen sehen, über „Heimat“ zu
       diskutieren, führen diese Statements zu Fragen, die man mittlerweile
       eigentlich leid sein sollte: Was bedeutet es Deutscher zu sein? Muss man
       dankbar sein, wenn man als begehrter Fußballprofi für Deutschland spielen
       darf? Muss man dankbar sein, Deutscher sein zu dürfen? Oh Mann,
       Deutschland, schon wieder?
       
       Der Fall Gündoğan und Özil offenbart: Auch im Jahr 2018 bewahren manche
       altbackene Parameter des Deutschseins ihre Geltung, wie bei einer
       Zwangsneurose kann man es einfach nicht lassen: Deutsch ist der, der sich
       stets zum Deutschsein bekennt und keine Zweifel aufkommen lässt, ein
       Deutscher zu sein. Sonst trifft ihn der deutsche Zorn, der gemeinsame
       Nenner aller politischen Sozialisationen in Deutschland. Deutscher ist auch
       nur derjenige, der so denkt, wie es sich für einen guten Deutschen gehört,
       eben als Teil einer Nation, die Geschichtsaufarbeitungsweltmeisterin und
       Hort der Demokratie ist.
       
       Ambivalenzen, auch biografisch bedingte, die man erst einmal wahrnehmen
       sollte und dann diskutieren könnte: verboten. Da braucht man nicht
       irgendwelchen vermeintlichen Alltagsanekdoten des Christian Lindner
       horchen, um sagen zu können: so viel zum „republikanischen
       Selbstverständnis“ des „Einwanderungslandes Deutschland“. Denn es ist nur
       vermeintlich ein Deutschland, zu dem man, eben aufgeklärt-staatsbürgerlich
       verstanden, gehört, wenn man in diesem Deutschland geboren und aufgewachsen
       ist. Wie prekär dieses „Dazugehören“ ist, zeigt auch der Fall Gündoğan und
       Özil.
       
       ## Vergessen die Wahlkampfhilfe der Politiker
       
       Andererseits – einmal angenommen, man meint es wirklich ernst mit der
       Erdoğan-Kritik – muss man bei jenen Politikerstimmen, die jetzt
       „Wahlkampfhilfe“ rufen, an ein Wort denken: Scheinheilligkeit. Der
       Aufschrei war nicht annähernd so laut, als Bundeskanzlerin Merkel vor den
       entscheidenden türkischen Neuwahlen im Herbst 2015 zu Präsident Erdoğan
       eilte, sich in dessen Sultanfestung auf einem vergoldeten Sessel platzieren
       und so vorführen ließ – wohlgemerkt mitten im Wahlkampf.
       
       Vergessen scheint auch schon längst, wie der ehemalige Außenminister Sigmar
       Gabriel seinen türkischen Amtskollegen in seiner niedersächsischen
       Heimatstadt Goslar mit betonter Freundlichkeit empfing, und sich mit ihm
       ablichten ließ – in einem Moment, als er Mevlüt Çavuşoğlu seinen Tee
       servierte. Zufall? Übrigens ist das derselbe Gabriel, der versprach,
       Deutschland werde keine Rüstungsexporte an die Türkei genehmigen, solange
       die türkische Militäroffensive in Syrien andauert – und dies trotzdem tat.
       Dann sind da noch die wirtschaftlichen Verbindungen, die sich Deutschland
       einzuschränken nicht traute, weder für die Demokratie in der Türkei, noch
       im Interesse eigener verhafteter Staatsbürger und Journalisten in diesem
       Land.
       
       Deshalb: Ja, die Fotos sind daneben. Und ja, das sind Fußballer, die viele
       mögen, und von denen nun viele enttäuscht sind, weil sie mit einem
       Autokraten posieren. Aber, liebes Deutschland, komm jetzt mal runter und
       versuche wieder das große Ganze zu sehen. Vor allem lass Fußballprofis
       Fußballprofis sein, und schau besser auf jene, die Politik machen, weil sie
       dafür gewählt wurden. Denn auch sie repräsentieren Deutschland in der Welt.
       Ist es in Ordnung, was sie da im Namen Deutschlands anstellen?
       
       15 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Volkan Ağar
       
       ## TAGS
       
 (DIR) taz.gazete
 (DIR) Mesut Özil
 (DIR) Schwerpunkt Pressefreiheit
 (DIR) Mesut Özil
 (DIR) Mesut Özil
 (DIR) Istanbul
 (DIR) Mesut Özil
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Podcast über Mesut Özil: Projektionsfläche und Akteur
       
       Warum hat Fußballstar Mesut Özil seinem Geburtsland den Rücken gekehrt? Der
       Podcast „SchwarzRotGold“ geht der Frage nach.
       
 (DIR) Türkische Wahl im Ausland: Transnationale Wahlkampfbühne
       
       Der Blick auf türkische Wahlberechtigte im Ausland hat Tradition. Ihre
       Stimmen sind nicht ausschlaggebend, der Wahlkampf um sie aber strategisch.
       
 (DIR) Mesut Özil beendet Fußballkarriere: Der Verkomplizierer
       
       Fußball-Weltmeister Mesut Özil hat seine Karriere beendet. Er machte die
       Dinge, die man so gern einfach haben will, komplizierter – nicht nur im
       Fußball.
       
 (DIR) Türkeistämmige Fussballvereine in Berlin: Mehr als Özil
       
       In der Berlinliga treten vier türkeistämmige Clubs an. Wo Herkunft und
       Identität früher wichtig waren, verstehen sich die Clubs heute als
       berlinerisch.
       
 (DIR) Massenkundgebung in Istanbul: Erdoğan, der Palästinenser-Beschützer
       
       Der türkische Präsident ruft zur Gewalt gegen Israel auf und beklagt die
       Zurückhaltung der muslimischen Welt. Kritik kommt von der Opposition.
       
 (DIR) Debatte Nationalspieler bei Erdogan: Fußball ist niemals unpolitisch
       
       Wie gern würde man glauben, Politik und Sport haben nichts miteinander zu
       tun. Das Gegenteil ist richtig. Der Sport hat es faustdick hinter den Ohren