# taz.de -- Postpunk aus Berlin: Frostig und rotzig
       
       > Zwei feine neue Postpunk-Alben: Die Bands Aus und Liiek überführen den
       > Frühachtziger-Sound gekonnt in die Gegenwart.
       
 (IMG) Bild: Liiek: Denes Bieberich, Oskar Militzer und Anne Sophie Lohmann (von links)
       
       Es ist schon bemerkenswert, was rund um die Allee-der-Kosmonauten-Crew und
       das Label Static Age Musik in den Zehnerjahren in Berlin entstanden ist.
       Ein ganzer Schwung an guten (Synth-)Punk- und Postpunk-Acts ist da
       nachgekommen, die auf solch einprägsame Namen wie Diät, [1][Benzin],
       [2][Heavy Metal] oder [3][Gilb] hören. Bands und Projekte, die für
       Unverwechselbarkeit stehen, die sich im Underground sehr wohl fühlen und
       die wenig Interesse daran haben, „entdeckt“ zu werden.
       
       Nun sind zwei neue Alben aus diesem Dunstkreis erschienen. Zum einen ist da
       das zweite Album von Aus. Aus ist ein All-Girl-Postpunk-Combo aus Berlin,
       die vor zwei Jahren mit einem düsteren, unterkühlten Debütalbum – das
       zunächst nur als Demo gedacht war – auf sich aufmerksam machte.
       
       Nun folgt das erste „richtige“ Album, und stilistisch hat sich nicht viel
       geändert: [4][Aus] sind geprägt vom frostigen Frühachtziger-Sound von Bands
       wie Malaria!, (frühe) Xmal Deutschland, Bauhaus oder auch frühen The Cure,
       die 10 neuen Stücke bewegen sich zwischen Dark Wave, Minimal und
       (Synth-)Punk.
       
       Das Gute dabei ist, dass Aus zu keinem Zeitpunkt epigonal erscheinen. Das
       liegt wohl am Ehesten am originären Stil der Musikerinnen, ihre Instrumente
       zu spielen. Da wären die minimalen Drums, die viel mehr als Tomtom, Snare
       und Bassdrum nicht brauchen; da wäre der zähe, sich dahinschleppende Bass;
       da wären die modrig-mäandernden Gitarren und die fiepsenden Synthies, die
       an Tuxedomoon erinnern; und da wäre schließlich der mit Hall belegte,
       eiskellerkalte Gesang.
       
       Die Lyrics in Stücken wie „Schwall“ (ein echter Hit!), „Kreis“ oder
       „Bilderflut“ stützen dabei die durchgehend unbehagliche Atmosphäre. Die
       Stücke schon dreckig und unperfekt produziert, und genauso muss das
       klingen, man muss das Schaben an den Basssaiten hören, das Ausklingen der
       Gitarren, die harten Schläge der Snare. Ein tolles Album, das sich bestimmt
       auch zum Runterkühlen an den anstehenden warmen Tagen eignet.
       
       Die Band [5][Liiek] schmort und brutzelt ebenfalls tief im Postpunk-Saft,
       auch personelle Überschneidungen zu Aus gibt es: bei Liiek trommelt
       ebenfalls Aus-Schlagzeugerin Anne Sophie Lohmann; neben ihr besteht die
       Band aus Gitarrist und Sänger Denes Bieberich und Bassist Oskar Militzer.
       
       Die Referenzen sind hier aber andere, das Trio zeigt sich vor allem
       beeinflusst von Gang Of Four (oder eben Gang-Of-Four-Soundalikes wie Radio
       4), auch so unterschiedliche Bands wie die Hot Snakes oder Dag Nasty
       („Ruined“) kamen mir beim Hören in den Sinn.
       
       Ein treibender Schlagzeugbeat und flotte Bass-Tonfolgen liegen dem Sound
       zugrunde, dazu kommt diese immer wieder reingrätschende Staccato-Gitarre,
       die mal funky und mal noisig klingt. Diese abgehackt klingenden
       Gitarrenparts ergänzen sich bestens mit dem kehligen, rotzigen Gesang
       Bieberichs. Für 8 Stücke brauchen Liiek gut 15 Minuten – die Songs sind
       reduziert, minimal, auf den Punkt.
       
       Und auf den Punkt sind auch die Lyrics, wie die Stücke „Waterfall“,
       „Dynamite“ und „Ruling“ zeigen. Für den Auftaktsong „Crisis“ haben Liiek
       kürzlich ein hübsches kleines Video veröffentlicht, wo man die Band ins
       Nagelstudio und ins Solarium begleiten kann. Auch da wartet Abkühlung:
       Einfach mal die Füße im Aquarium baumeln und die Fische an den Zehennägeln
       schubbern lassen.
       
       29 May 2020
       
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