# taz.de -- Scholz und Biden besuchen Israel: Zwischen Solidarität und Diplomatie
       
       > Israel hat das Recht, sich zu wehren, betont Kanzler Olaf Scholz in Tel
       > Aviv. US-Präsident Biden wählt mahnende Worte vor seinem Besuch am
       > Mittwoch.
       
 (IMG) Bild: Kanzler Olaf Scholz (SPD) ist auf Solidaritätsbesuch in Israel. Danach geht es weiter nach Ägypten
       
       TEL AVIV taz | „Unsere Solidarität erschöpft sich nicht in leeren Worten“,
       hatte Olaf Scholz [1][vergangene Woche im Bundestag angekündigt]. Nur fünf
       Tage später ist der Bundeskanzler am Dienstag leibhaftig in Israel
       gelandet. Der Besuch war kurzfristig und klandestin geplant worden.
       
       Scholz ist unter den ersten Staatschefs, die Israel seit dem tödlichen
       Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober besuchen. Es ist eine Ouvertüre für
       den weitaus wichtigeren Gast, der einen Tag später in Israel landet,
       US-Präsident Joe Biden. Für Mittwochmorgen ist Scholz in Ägypten mit
       Präsident Abdel Fattah al-Sisi verabredet.
       
       Nach ihrem Gespräch am Dienstag traten Scholz und Netanjahu in einem
       bunkerähnlichen Raum des Verteidigungsministeriums vor die Presse, Fragen
       von Journalisten waren jedoch nicht zugelassen. Netanjahu, der
       innenpolitisch [2][schwer angeschlagen] ist, hat seit dem Angriff der Hamas
       weder Interviews gegeben noch öffentlich Fragen beantwortet. Die Hamas
       gehöre zur Achse des Bösen, die von Iran über die Hisbollah reiche und die
       den Staat Israel auslöschen wolle, sagte Netanjahu, ganz in schwarz und
       sichtlich abgekämpft.
       
       „Das Ziel der Hamas ist es, israelische Juden zu töten. Und sie hätten uns
       alle getötet, wenn sie gekonnt hätten.“ Stattdessen töteten sie 1.300
       Zivilisten. „Dass so etwas nicht noch einmal passiert, das ist unser
       gemeinsamer Kampf“, wandte sich der Ministerpräsident an Scholz. „Es muss
       jetzt gestoppt werden, sonst wird es auf die gesamte Welt übergreifen.“ Es
       komme nun auf die Solidarität der zivilisierten Welt an. „Wir schätzen es,
       dass Sie hergekommen sind, um an unserer Seite zu sein“, sagte Netanjahu
       und blickte zu Scholz.
       
       Der wiederholte, was er schon im deutschen Bundestag gesagt hatte: in
       diesen schwierigen Zeiten kann es für Deutschland nur einen Platz geben, an
       der Seite Israels. Im Hintergrund heulte eine Sirene. Scholz stärkte
       Netanjahu für die erwartete Bodenoffensive den Rücken. „Der brutale Terror,
       die Hinrichtung wehrloser Bürger, die Ermordung von Säuglingen, die
       Verschleppung von Männern, Frauen und Kindern, die Zurschaustellung von
       Holocaustüberlebenden, all das lässt uns das Blut in den Adern gefrieren.“
       Es sei völlig klar: Israel hat das völkerrechtlich verbriefte Recht, sich
       gegen diesen Terror zu wehren.
       
       Scholz trifft Angehörige 
       
       Man teile auch die Sorge um die Verschleppten, darunter deutsche
       Staatsbürger. Scholz trifft ihre Angehörigen am Abend in Tel Aviv unter
       Ausschluss der Öffentlichkeit.
       
       Doch vor der Botschaft stehen Angehörige und Freunde und warten schon auf
       den Bundeskanzler. Sie tragen mit Schilder mit Fotos der der Geiseln.
       Kleine Mädchen sind darunter, ältere Menschen und auch Shani Louk, die
       22-jährige Tattookünstlerin, die während des Festivals verschleppt wurde.
       „Wir bekommen kaum Informationen. Wir wollen, dass sie medizinisch versorgt
       wird, wir wollen sie zurück“, sagt Shani Cohen. Sie ist eine von mehreren
       Freundinnen, die die Vermisste Shani seit ihrer Kindheit kennen.
       
       Auch Cousins von Shani sind gekommen. „Wir vertrauen unserer Regierung
       nicht mehr, wenn einer helfen kann, dann Scholz“, sind sie überzeugt. „Das
       Schrecklichste ist die Ungewissheit. Nicht zu wissen, wie es ihr geht“,
       sagt Shanis Mutter Ricarda Louk. Sie weiß, dass ihre Tochter am Leben ist,
       dass sie verletzt ist, wahrscheinlich schwer. Seit 1993 lebt sie in Israel,
       hat drei weitere Kinder hier. Deshalb würde sie Israel auch nicht
       verlassen, auch wenn die Lage gerade fürchterlich sei.
       
       Während des Gesprächs ertönt zweimal Luftalarm, die Menschen vor der
       Botschaft und im Foyer lassen sofort alles liegen und begeben sich im
       Eilschritt in zwei enge, stickige Schuträume. Ricarda Louk lächelt müde.
       „Das ist jetzt unsere schreckliche Realität.“
       
       ## Scholz warnt Iran und die Hisbollah
       
       Bei seinem Besuch sendete Scholz zudem eine Warnung an den Iran und die
       Hisbollah: „Kein Akteur sollte es für eine gute Idee halten, von außen in
       den Konflikt einzugreifen. Es wäre ein schwerer, ein unverzeihlicher
       Fehler.“
       
       Der deutsche Kanzler nutzte aber auch die Gelegenheit, Israel zwischen den
       Zeilen an die Einhaltung des Völkerrechts zu erinnern. Israel und
       Deutschland verbinde, dass sie Rechtsstaaten seien. „Unser Handeln fußt
       auch in extremen Zeiten auf Recht und Gesetz.“ Beim letzten Besuch
       Netanjahus in Berlin hatte Scholz noch die Aushöhlung rechtsstaatlicher
       Prinzipien kritisiert, aber das scheint gerade sehr, sehr weit weg. Es sind
       besondere Zeiten. Das zeigte auch der Satz, den Scholz am Schluss sagte:
       „Jüdisches Leben in Deutschland ist ein Geschenk. Jüdische Einrichtungen
       werden geschützt.“
       
       Eigentlich seit 78 Jahren eine Selbstverständlichkeit. Scholz bekräftige
       auch, dass man den Menschen im Gaza schnellstmögliche humanitäre Hilfe
       zuteil werden lassen wolle und habe auch mit Netanjahu über einen
       humanitären Zugang geredet. Anders als die Hamas wolle man Zivilisten
       schützen. Netanjahu konterte diese Bemerkung, die auch als Mäßigung
       verstanden werden konnte, mit dem Hinweis, dass die Hamas Zivilisten als
       menschliche Schutzschilde benutze und sie aktuell am Verlassen von
       Gaza-Stadt hindere. „Sie töten Zivilisten und benutzen sie als
       Schutzschilde und begehen damit ein doppeltes Kriegsverbrechen.“
       
       ## Wie geht es nach einer möglichen Bodenoffensive weiter?
       
       Der Besuch des Bundeskanzlers fällt mit den Vorbereitungen der israelischen
       Armee für eine Bodenoffensive in Gaza zusammen. Israel hatte angekündigt,
       die Hamas zu zerstören. Die Angst, dass dabei aber auch sehr, sehr viele
       Zivilisten und die verschleppten Geiseln sterben könnten, ist groß. Im Raum
       steht aber auch die Frage, wie es danach weitergeht. Israel hat bislang
       nicht erklärt, was passiert, wenn die Strukturen der Hamas zerschlagen
       sind, wer [3][Gaza dann verwalten] und wer dort wohnen soll.
       
       Obwohl Scholz auch vor seinem Besuch noch einmal betonte, dass Israel jedes
       Recht habe, sich zu verteidigen, werden die Sorgen der Angehörigen um das
       Leben ihrer Liebsten sicher nicht ohne Eindruck auf den Kanzler bleiben.
       Auch US-Präsident Biden rät Israel zur Vorsicht. [4][In einem Interview]
       mit dem US-Sender CBS warnte er vor einer erneuten Besatzung des
       Gazastreifens und betonte, dass die Hamas „nicht das gesamte
       palästinensische Volk“ repräsentiere. Zwar müsse die extremistische
       Organisation vollständig zerstört werden, doch er sagte zugleich: „Es muss
       einen Weg zu einem palästinensischen Staat geben.“
       
       Um das Leben der Geiseln und der Menschen in Gaza zu retten und zu
       verhindern, dass ein neuer Zyklus von Gewalt die ganze Region in den
       Abgrund reißt, scheut Scholz auch nicht den Austausch mit Despoten.
       Vorzugsweise mit solchen, die gute Kontakte zur Hamas haben, wie eben
       Ägyptens Staatschef al-Sisi.
       
       In der vergangenen Woche [5][bewirtete der Kanzler zudem den Emir von Katar
       zum Mittagessen]. Bevor er sich am Dienstag nach Israel aufmachte, empfing
       Scholz den jordanischen König Adullah II bin al-Hussein zum Frühstück im
       Kanzleramt. Nach dem Treffen mit König Abdullah erklärte Scholz, beide
       Länder verfolgten das Ziel, einen Flächenbrand in der Region zu verhindern.
       Er warnte im Beisein König Abdullahs erneut „ausdrücklich die Hisbollah und
       den Iran, nicht in den Konflikt einzugreifen“.
       
       US-Präsident Biden verfolgt ähnliche Ziele, hat aber als auch militärisch
       wichtigster Partner Israels ungleich mehr Gewicht. Um der Forderung an
       Hisbollah und den Iran Nachdruck zu verleihen, sich aus dem Konflikt
       herauszuhalten, haben die USA bereits zwei Flugzeugträgerkampfgruppen und
       Kriegsschiffverbände ins östliche Mittelmeer gesandt – von dort aus könnten
       Hisbollah-Stellungen im Libanon genauso erreicht werden wie Ziele im Iran
       selbst.
       
       US-Expert*innen warnen vor Bodenoffensive 
       
       Bidens Außenminister Antony Blinken ist schon seit Tagen in einem
       diplomatischen Flugmarathon in der Region unterwegs. Sein Ziel: Den
       Grenzübergang zwischen Gaza und Ägypten für die Hilfslieferungen nach
       [6][Gaza] in der einen Richtung und für die Ausreise US-amerikanischer
       Staatsbürger*innen in der anderen Richtung zu öffnen. Am Montag schien
       das schon erreicht: Hunderte Ausreisewilliger sammelten sich am
       Grenzübergang, wo auf ägyptischer Seite seit Tagen Lastwagen mit
       Hilfsgütern Schlange stehen. Der aber blieb zu, der Deal scheiterte.
       
       Bidens Reise wurde erst am Montagabend am Ende einer siebeneinhalbstündigen
       Sitzung zwischen israelischen und US-amerikanischen Verhandlern in Tel Aviv
       verkündet, nachdem – zumindest nach US-Lesart – ein humanitäres Hilfspaket
       für Gaza vereinbart war. Wie das allerdings aussieht, ist bislang
       unbekannt.
       
       In den USA selbst mehren sich die Stimmen von Expert*innen, die vor
       unkontrollierbaren politischen, humanitären und politischen Folgen einer
       israelischen [7][Bodenoffensive in Gaza] warnen. Es sind Stimmen, die in
       der Biden-Administration gehört werden. Dass während der zweitägigen Reise
       des US-Präsidenten nach Israel und anschließend Jordanien nirgends eine
       Pressekonferenz angesetzt ist, spricht dafür, dass Biden hinter
       verschlossenen Türen Klartext reden dürfte.
       
       Dabei wird es auch um das Schicksal der von Hamas in den Gazastreifen
       verschleppten Geiseln mit US-amerikanischem Pass gehen. John Kirby, der
       Sprecher des Weißen Hauses, erklärte gegenüber Reportern am Montagabend,
       Biden wolle sich während seiner Reise ein möglichst genaues Bild von der
       Lage der Geiseln machen. Was daraus allerdings folgt, dürfte der
       Öffentlichkeit verborgen bleiben: „Wir werden den Israelis keine
       Bedingungen oder Operationsrichtungen diktieren“, sagte Kirby.
       
       In [8][Jordanien] will Biden anschließend nicht nur König Abdullah.
       treffen, sondern auch Ägyptens Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi und den
       Chef der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas. Will Biden sie
       als aktive Partner für den Kampf gegen die Hamas einerseits und gegen die
       Eskalation des Konfliktes andererseits gewinnen, müsste er etwas anzubieten
       haben. Was das allerdings derzeit sein könnte, ist unklar. Mit Ägyptens
       Präsident al-Sisi hat Biden nach Angaben des Weißen Hauses schon am Montag
       telefoniert. Aber der letztlich doch gescheiterte Deal zur Öffnung des
       Grenzübergangs zeigt, dass die diplomatischen Hürden weiterhin sehr hoch
       sind.
       
       17 Oct 2023
       
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