# taz.de -- Schulunterricht in der Ukraine: Lernen in Sicherheit
       
       > Am 1. September hat in der Ukraine trotz andauerndem Krieg das neue
       > Schuljahr begonnen. Wer will, lernt von zu Hause. Und Russisch ist nur
       > noch fakultativ.
       
 (IMG) Bild: Lieber von zuhause lernen: Ukrainische Schülerin in ihrem zerstörten Klassenzimmer in Tschernihiw
       
       Viele Ukrainer haben den Frühling und Sommer in diesem Jahr nur wenig
       gespürt. Es fühlt sich an, als ob bei uns immer noch Winter sei und der
       erst ende, wenn der Krieg vorbei ist. An den unvermeidlich nahenden Herbst
       erinnern uns die Lehrer. Sie haben bekannt gegeben, dass die Kinder trotz
       allem wieder lernen müssen und dass sie sie ab dem 1. September in den
       Schulen erwarten.
       
       Zuerst war Präsenzunterricht geplant, d.h. die Kinder sollten in den
       Schulen in ihren Klassenräumen sitzen und nicht zu Haus vor ihren
       Computern. Doch dann wurde bei Überprüfungen festgestellt, dass viele
       Schulen nicht mit Bombenschutzräumen ausgestattet sind, und die Kinder im
       Fall von Raketenangriffen nirgendwohin fliehen können.
       
       Das Gymnasium meiner Kinder befindet sich neben der lokalen Wehrverwaltung.
       Darum habe ich gleich beschlossen, dass meine Söhne von zu Hause aus lernen
       werden. Und so haben sich 97 Prozent der Eltern ukrainischer Schüler in
       Odessa entschieden. Vor Beginn des neuen Schuljahres konnten wir die
       Unterrichtsform für unsere Kinder wählen. Fast alle stimmten dafür, dass
       der Schulbesuch jetzt zu gefährlich sei und die Kinder online lernen
       sollten.
       
       Dennoch gibt es in der Stadt 3.000 Schüler, die bereit sind, das Risiko
       einzugehen, in ihren Klassenzimmern zu lernen. Für sie werden in Odessa 33
       Schulen geöffnet. Das sind die Unterrichtsgebäude, bei denen schon die
       notwendigen Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt worden sind. Die
       städtische Bildungsbehörde veröffentlicht aus Sicherheitsgründen weder die
       Adressen noch die Namen dieser Schulen. Alle Eltern erhalten alle nötigen
       Informationen als persönliche Mitteilungen.
       
       Im vergangenen Schuljahr gab es an Odessaer Schulen 134.000 Schüler. Viele
       dieser Kinder leben mittlerweile im Ausland und lernen nun an dortigen
       Schulen. Ihre Schulplätze in Odessa werden jetzt [1][von Kindern
       eingenommen, die aus anderen Regionen der Ukraine kommen] und die gezwungen
       waren, sich hier vor dem Krieg in Sicherheit zu bringen.
       
       Im Lehrplan stehen jetzt nur noch die Hauptfächer: Mathematik, Ukrainisch,
       Fremdsprache, Chemie, Physik und ukrainische Geschichte. Die
       Unterrichtszeit wurde verkürzt. [2][Russisch wird an den Schulen nicht mehr
       unterrichtet]. Es ist nur noch fakultativ möglich, wenn die Eltern einen
       entsprechenden Antrag stellen. Auch Fächer wie Zeichnen und Sport können
       auf Wunsch auch unterrichtet werden.
       
       [3][Meine Söhne Timofej und Denis] haben sich darüber gefreut, dass sie
       nicht in der Schule sitzen müssen. Und das, obwohl sie ihre Mitschüler und
       die Gespräche mit ihnen sehr vermissen. Aber zu Hause ist es dann doch
       ruhiger und ein Bombenschutzraum ist gleich nebenan. Vor kurzem haben die
       Jungs ihre Bücher zusammengesucht, sind in die Bibliothek gegangen und
       haben sie mit einem Zettel „Viel Erfolg beim Lernen. Herzlich willkommen in
       Odessa!“ abgegeben.
       
       Ihre Bücher bekommen jetzt Kinder von Binnenflüchtlingen. Meine Jungs
       lernen hingegen mit online-Schulbüchern im Internet. Im ganzen Land
       herrscht ein akuter Mangel an gedruckten Büchern. Ein Teil der Schulbücher
       wurde in Schulen vernichtet, die von russischen Raketen beschossen wurden,
       ein Teil wurde mit ins Ausland genommen und die Eltern haben jetzt keine
       Möglichkeit, sie zurückzugeben. Nachgedruckt werden können sie hier gerade
       nicht.
       
       Es ist erstaunlich zu beobachten, wir wir Ukrainer mit allen möglichen
       Mitteln versuchen, den Rhythmus unseres Alltags beizubehalten. Schon ein
       halbes Jahr leben wir jetzt im Kriegszustand, aber verzweifelt versuchen
       wir, weder moralisch noch physisch aufzugeben. Obwohl wir gerade wohl die
       schwierigste Lektion unserer Geschichte erleben.
       
       Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey]
       
       Finanziert wird das Projekt von der [5][taz Panter Stiftung].
       
       Einen Sammelband mit den Tagebüchern bringt der Verlag edition.fotoTAPETA
       im September heraus
       
       8 Sep 2022
       
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