# taz.de -- Schwere Waffen für die Ukraine: Militarismus ist unfeministisch
       
       > Feministische Außenpolitik kümmert sich um die Sicherheit der Menschen,
       > nicht der Staaten. Männlichkeitsnormen und Krieg gehen Hand in Hand.
       
       Nach anfänglichen Bedenken spricht sich Bundeskanzler Olaf Scholz nun doch
       für die [1][Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine] aus. Bei einer
       1.-Mai-Kundgebung in Düsseldorf bezeichnet er einen Pazifismus, der sich
       gegen Waffenlieferungen stellt, als „aus der Zeit gefallen“. Obschon er
       dafür auf der Kundgebung teils ausgepfiffen wird, beugt er sich damit auch
       dem vorherrschenden politischen und öffentlichen Diskurs.
       
       Wer ernsthaft gegen Waffenlieferungen ist, mache sich mitschuldig an Putins
       Töten, sei gar antifeministisch. Die Unterzeichner*innen des
       [2][offenen Briefes] der feministischen Zeitschrift Emma, die Kanzler
       Scholz auffordern, keine schweren Waffen an die Ukraine zu liefern, werden
       als feige Sofa-Pazifist*innen bezeichnet, die nichts gegen die Gewalt gegen
       Frauen in der Ukraine täten. Doch es ist mehr als geboten, den rasanten
       [3][Kurswechsel der Grünen] und der Sozialdemokrat*innen kritisch
       und offen zu diskutieren.
       
       Vor dem Krieg in der Ukraine galt, dass die Bundesrepublik keine Waffen in
       Konfliktgebiete liefert. Erfordert die neue Situation eine Veränderung
       dieses Grundsatzes? Die feministische Forschung zu Sicherheit und Krieg und
       die Erkenntnisse feministischer Friedensbewegungen bieten hier zentrale
       Einsichten. Sie stellen die Sicherheit von Frauen in den Mittelpunkt und
       können genau damit eine kritische Haltung gegenüber der Lieferung schwerer
       Waffen begründen.
       
       Eine feministische Außenpolitik und ein Bekenntnis zur Umsetzung der Agenda
       der Vereinten Nationen zu „Frauen, Frieden und Sicherheit“ sind zum ersten
       Mal im Koalitionsvertrag der Bundesregierung verankert. Andere Länder wie
       Schweden und Kanada praktizieren eine feministische Außenpolitik schon
       länger. Was eine Außenpolitik feministisch macht, ist dabei nicht immer
       klar.
       
       ## Vorreiter Schweden und Kanada
       
       Vor allem vermeiden die meisten Regierungen zu klären, welche Rolle das
       Militärische in ihrer feministischen Außenpolitik spielen sollte.
       Abgeleitet von einer feministischen Theorie der Internationalen Beziehungen
       ist eine feministische Außen- und Sicherheitspolitik in einer Fürsorgeethik
       („ethics of care“) begründet, die die Sicherheit von Menschen in den
       Mittelpunkt stellt, nicht die Sicherheit von Staaten.
       
       Das bedeutet, dass es nicht nur um die einfache Abwesenheit von Gewalt
       geht, sondern um das Bekämpfen struktureller Gewalt, also jeglicher Formen
       der Diskriminierung vor allem von Frauen und anderer marginalisierter
       Gruppen. Sicherheitspolitik muss sich demnach auch um wirtschaftliche oder
       gesundheitliche Sicherheit kümmern. [4][Feministische Forschung] zeigt,
       dass Militarismus diesen Zielen im Weg steht.
       
       Militarismus bezieht sich hier auf alle Strukturen und Institutionen, die
       die Anwendung organisierter politischer Gewalt vorbereiten oder ausüben.
       Erstens geht Militarismus fast immer mit Nationalismus und Rassismus
       einher. Es ist kein Zufall, dass die Bundeswehr – wie andere Armeen – ein
       Problem mit Rassismus hat, wie es der letzte Bericht der Wehrbeauftragten
       des Deutschen Bundestags wieder deutlich zeigt.
       
       ## Soldaten kämpfen für ihren Staat
       
       Armeen sind eng mit der Idee des Nationalstaats verknüpft, dessen
       Territorium und Souveränität sie verteidigen sollen. Nirgends sieht man
       dies deutlicher als momentan in der Ukraine. Zweitens: Militärs und ihre
       Strukturen sind von hierarchischer Männlichkeit geprägt und halten
       patriarchale Strukturen in der internationalen Politik und in unseren
       Gesellschaften aufrecht. Ein patriarchales System belohnt eine aggressive
       Form von Männlichkeit und macht Frauen und Minderheiten auf diese Weise
       noch unsicherer.
       
       Wie wir Männlichkeit im Privaten verstehen, ist auch entscheidend für die
       männlichen Normen, die in der internationalen Politik als legitim gelten
       und wertgeschätzt werden. [5][Feministische Wissenschaft] zeigt, dass es
       einen Zusammenhang gibt zwischen alltäglicher Gewalt gegen Frauen in einem
       Land und der Aggressivität von Staaten.
       
       Die Wissenschaftlerin [6][Cynthia Cockburn] hat schon vor mehr als zehn
       Jahren beschrieben, wie Frauen in Friedensbewegungen weltweit diese
       Zusammenhänge zwischen Militarismus, Männlichkeitsnormen und Krieg
       aufzeigen und erleben. Vereinfacht gesagt, haben patriarchale und
       militarisierte Normen in unseren Gesellschaften und der internationalen
       Politik auch ihren Teil zu diesem Krieg beigetragen.
       
       Es ist berechtigt zu fragen, wie eine antimilitaristische Position in dem
       Kontext eines Angriffskriegs auf einen Staat und angesichts des Leids in
       der Ukraine beizubehalten ist und was diese bedeuten kann. Zunächst
       untersucht eine feministische Perspektive, wessen Sicherheit die Lieferung
       schwerer Waffen eigentlich schützen soll. Die meisten öffentlichen
       Befürworter*innen der Waffenlieferungen vermischen die Sicherheit der
       Ukraine als Staat (oder sogar der Europas und des Westens) mit der der
       Menschen in der Ukraine. Doch diese sind nicht gleichzusetzen.
       
       ## Patriarchale Strukturen gehen mit Gewalt einher
       
       Geht es um die Aufrechterhaltung der nationalen Integrität der Ukraine oder
       um die Sicherheit der Menschen in der Ukraine? Auch wenn die Ukraine als
       Staat natürlich das Recht hat, ihre nationale Integrität zu verteidigen,
       ist dies kein Anliegen einer feministischen Position, die sich aus der
       feministischen Theorie der Internationalen Beziehungen ableitet.
       
       Feministische Wissenschaftler*innen wie V. Spike Peterson haben
       schon in den 90er Jahren herausgearbeitet, dass der Nationalstaat
       „gegendert“ ist und mit patriarchalen Strukturen und Gewalt einhergeht.
       Eine feministische Perspektive konzentriert sich auf die Sicherheit von
       Menschen und vor allem die von Frauen und schwachen Teilen einer
       Bevölkerung. Werden die Waffenlieferungen diese also schützen?
       
       Diese hypothetische Frage ist natürlich schwierig zu beantworten. Auf jeden
       Fall werden die Waffen russische Soldaten töten, was ja auch [7][Robert
       Habeck] in der Begründung seiner Position anerkannt hat. Aber es ist auch
       fraglich, dass sie das Leben der ukrainischen Bevölkerung und von Frauen im
       Spezifischen retten werden.
       
       Die meisten Analyst*innen sind sich trotz der überraschenden Stärke des
       ukrainischen Widerstands einig, dass die Ukraine den Krieg nicht gewinnen
       kann. Es ist sowieso unklar, wann eine Seite als Sieger*in hervorgeht.
       Kriege enden fast nie mit klaren Siegen und Niederlagen. Sie weiten sich
       aus, ziehen sich hin oder enden im besten Fall in einem mehr oder weniger
       stabilen Friedensabkommen.
       
       Es ergibt aber nur „Sinn“, schwere Waffen zu liefern, wenn es Aussicht auf
       einen klaren und schnellen [8][Sieg der Ukraine] gibt. Doch leider ist es
       wahrscheinlicher, dass der Krieg lange andauern, zu einer direkten
       Auseinandersetzung zwischen Russland und dem Westen führen oder doch zu
       einem Atomkrieg eskalieren wird. Die Waffenlieferungen machen diese drei
       Szenarien noch realistischer. Diese wiederum werden noch mehr Tote, mehr
       Trauma – auch für Männer – und noch mehr Gewalt an Frauen bedeuten.
       
       ## Ein Sieg der Ukraine ist unrealistisch
       
       Zum Beispiel weist auch der [9][Norwegian Refugee Council], der vor Ort
       ist, darauf hin, dass Waffenlieferungen den Krieg verlängern und die
       Situation verschlimmern werden. Studien zeigen, dass Gewalt an Frauen
       sowohl während als auch nach Konflikten ansteigt. Es sind nicht nur die
       „Feinde“, die Frauen unsicherer machen, sondern auch die Männer und Söhne,
       die traumatisiert und militarisiert zurückkehren. Dies hatte sich auch
       schon nach 2014 in den von der ukrainischen Regierung kontrollierten
       Gebieten in der Ostukraine gezeigt.
       
       Deutschland muss sich also fragen, was es eigentlich mit der Lieferung
       schwerer Waffen erreichen will. Was in den Aussagen von Scholz, Baerbock
       und Habeck mitschwingt, ist, dass es um die Verteidigung des ukrainischen
       Staats geht. Die Regierung hofft, dass die Ukraine entweder den Krieg
       gewinnt oder eine bessere Verhandlungsposition durch ihre militärische
       Stärke erzielt. Zum Beispiel äußerte sich Außenministerin Annalena Baerbock
       so: „Ein Ende dieses Krieges wird es nur geben, wenn die Ukraine es
       erzwingt und erkämpft.“
       
       Wie bereits erwähnt, ist dies aus mehreren Gründen nicht realistisch. Auch
       wenn sich Deutschland und andere Staaten nicht von Russland erpressen
       lassen wollen, müssen sie die atomare Bedrohung ernst nehmen, um die
       Sicherheit von Menschen zu schützen. Außerdem könnte auch gerade jetzt ein
       guter Zeitpunkt sein, auf Verhandlungen und einen Waffenstillstand zu
       drängen – da die Ukraine auch im Osten den russischen Angriff zum Stocken
       gebracht hat.
       
       Wenn Deutschland schwere Waffen liefert, wird es auch immer mehr zur
       Kriegspartei. Dadurch wird es schwieriger für die Bundesregierung, auf
       einen Waffenstillstand und Verhandlungen zu drängen, was aber am
       wichtigsten wäre, um Menschenleben zu schützen und die Situation von Frauen
       zu verbessern. Dies bedeutet nicht, dass die Ukraine sich ergeben soll,
       sondern dass Deutschland weiter und stärker humanitär und diplomatisch die
       Menschen in der Ukraine unterstützen kann.
       
       Im Sinne einer feministischen Außenpolitik wäre es dabei zentral, sich mit
       verschiedenen Teilen der Zivilgesellschaft in der Ukraine (und Russland) –
       vor allem mit Friedensaktivist*innen und Frauenorganisationen –
       auszutauschen und darauf zu drängen, dass sie am Friedensprozess beteiligt
       werden. Bis heute waren Frauen nur in 13 Prozent von Friedensverhandlungen
       weltweit involviert.
       
       Auch beim Minsker Abkommen saßen sie kaum am Verhandlungstisch, obwohl klar
       ist, dass Frauen spezifische Erfahrungen von Gewalt machen und eine
       ausgeglichene Repräsentation der Gesellschaft für einen nachhaltigen
       Frieden wichtig ist. In dieser Situation gibt es keine einfachen Lösungen.
       
       Eine Perspektive, die sich aus einer feministischen Theorie der
       Internationalen Beziehungen ableitet, macht aber deutlich, dass die
       Sicherheit von Menschen, nicht die Sicherheit von Staaten, zentral für
       unsere Überlegungen sein sollte. Die neue feministische Außenpolitik der
       Bundesregierung sollte ihr Handeln in diesem Krieg nach diesem Maßstab
       ausrichten und überprüfen, ob die Lieferung schwerer Waffen dieses Ziel
       wirklich verfolgt.
       
       7 May 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Waffen-fuer-die-Ukraine/!5851092
 (DIR) [2] /Warnung-vor-weiterer-Kriegseskalation/!5851654
 (DIR) [3] /Kleiner-Parteitag-der-Gruenen/!5851624
 (DIR) [4] https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/0967010617744977
 (DIR) [5] https://www.cambridge.org/core/journals/international-organization/article/abs/does-more-equality-for-women-mean-less-war-rethinking-sex-and-gender-inequality-and-political-violence/66BDDF0D1EA57D98677D6BBD9F69AE5F
 (DIR) [6] https://www.cynthiacockburn.org/
 (DIR) [7] https://twitter.com/BMWK/status/1519560455555059712?ref_src=twsrc%5Etfw
 (DIR) [8] /Krieg-in-der-Ukraine/!5849148
 (DIR) [9] https://www.nrc.no/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hanna L. Mühlenhoff
       
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