# taz.de -- Selfie von Grünen und FDP: Sich gemeinsam geil finden
       
       > Jede politische Ära hat die Bilder, die sie verdient. Heute liefert sie
       > Selfies, in denen sich der narzisstische Kern der Parteienpolitik
       > erneuert.
       
 (IMG) Bild: Für euch, Erstwähler:innen! Wissing, Baerbock, Lindner und Habeck beim Vorsondieren
       
       Wann macht man ein Selfie? Wenn man gerade mit einem guten Freund zusammen
       ist, den man lange nicht mehr gesehen hat – und um das Bild dann an eine
       gemeinsame Freundin zu schicken, damit die sich freut.
       
       Oder wenn man besoffen auf einer Party rumblödelt und schon so rauschig
       ist, dass sich Menschen nahe anfühlen, die eigentlich gar nicht so nahe
       sind – und in dieser Euphorie jemand auf die blöde Idee kommt, den Moment
       festzuhalten. Oder wenn man sich selbst obergeil findet, wie die Haare
       gerade fallen oder wie das Licht so besonders aufs Gesicht scheint, dass
       man es der Welt meint mitteilen zu müssen.
       
       Das Selfie, das die Grünen-Chefs Annalena Baerbock und Robert Habeck
       gemeinsam mit FDP-Generalsekretär Volker Wissing und FDP-Chef Christian
       Lindner bei, vor oder nach Vorsondierungen zeigt, hat auf den ersten Blick
       von all dem etwas. Alle vier haben es am Dienstag auf Instagram geteilt,
       alle mit derselben Caption: „Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten
       wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar
       welche. Spannende Zeiten.“
       
       [1][Die meisten Likes dafür hat bisher mit über 95.000 Lindner bekommen],
       knapp dahinter liegt Baerbock, immerhin noch im fünfstelligen Bereich
       Habeck, Wissing dagegen abgeschlagen auf dem letzten Platz.
       
       Aber es kommt hier ja nicht auf die Zahl der Likes an. Es geht hier
       schließlich um Inhalte, oder? Und noch weniger geht es um individuellen
       Erfolg, sondern um Teamwork. Das Selfie ist schließlich auch kein
       klassisches Selfie, das eine Person von sich alleine gemacht hat.
       
       Nein, nach narzisstischen Zuspitzungen der digitalen Selbstkultur, die
       sogar zu Erfindungen von Selfiesticks geführt hat, mit denen man sich auch
       im Meer halb unter Wasser ablichten konnte, zeugt das Bild der vier
       gelbgrünen Politker:innen von Gemeinschaftlichkeit, einem gemeinsamen
       Interesse.
       
       Das Bild, das die vier auf ihren Kanälen dann doch mit unterschiedlichen
       Filtern verbreitet haben und auf dem diese dreitagebärtig (Habeck und
       Lindner) von der Arbeit zufrieden erschöpft, aber zuversichtlich freundlich
       dreinschauen, will vor allem eines sagen: Wenn wir kommen, ist die
       GroKo-Party vorbei. Wenn wir kommen, ist endlich alles neu. Denn wenn wir
       kommen, gibt es Zukunft, Ökologie, Innovation oder eben ökologische
       Massenerfinderei.
       
       ## Gibt es Selfies von Merkel und Scholz?
       
       Aber das ist nur das, was rüberkommen soll, bei diesem Foto, das sicherlich
       nicht wie die allermeisten anderen Selfies der Form entsprechend unbedacht,
       spontan, impulsiv entstanden ist. Dieses Selfie hat einen Auftrag: Es soll
       in seiner besonderen Art der (Selbst-)Abbildung von Politikter:innen
       mitteilen, dass hier etwas anders ist.
       
       Natürlich gibt es auch andere Fotos ähnlichen Charakters: die im Jahr 1998
       nach der Unterzeichnung des rot-grünen Koalitionsvertrags in Bonn
       sekttrinkenden Partner Gerhard Schröder, Joschka Fischer und Oskar
       Lafontaine; oder das legendäre Balkonfoto, auf dem [2][Armin Laschet] mit
       Zigarillo im Mundwinkel und Alexander Dobrindt und Jens Spahn neben sich
       dem Kollegen Lindner auch etwas zum Rauchen anzündet.
       
       Aber gibt es Selfies von Angela Merkel und Olaf Scholz in privat anmutendem
       Setting? Das bekannteste Selfie von Angela Merkel ist wohl jenes, das
       [3][2015 der syrische Geflüchtete Anas Modamani mit ihr geschossen hat].
       All diese zuletzt genannten Fotos haben einen Rest an Unkontrollierbarkeit
       an sich. Strukturell ähneln sie eher dem Bild, auf dem Armin Laschet im von
       der Flutkatastrophe betroffenen Erftstadt so unangemessen lacht.
       
       Das Selfie der Gelbgrünen ist dagegen unter voller Selbstkontrolle
       entstanden. Das ist Teil des Versprechens des Selfies. Trotzdem lässt sich
       die Botschaft auch solcher Bilder oft schlechter kontrollieren als von den
       Selfisten gedacht: Im Netz machen sich die Leute darüber lustig, viele
       verbreiten das Selfie mit eher nachteiligen Assoziationen wie jener [4][von
       der Erbengemeinschaf]t, die an der Haustür klingelt und mitteilt, dass die
       neue klimafreundliche Heizungsanlage auf die Miete umgelegt werde, der
       Mieter sich als freier Mensch aber gerne zum Auszug entschließen könne.
       Andere machen daraus ein Ratespiel: „[5][Name this band.]“ Ein sehr
       populäres Ergebnis: [6][Silbermond].
       
       Es ist auch der kalkulierte Charakter dieses Selfies, der mit der
       Selfieform bricht und dieses Selfie unfreiwillig so unbeholfen und
       lächerlich macht: Schließlich sind, um zum Anfang dieses Textes
       zurückzukommen, Baerbock, Wissing, Habeck und Lindner keine alten Freunde,
       die sich wiedersehen, und sie sind auch keine gegenwärtigen Freunde, die
       einen rauschig-lustigen Abend festhalten wollen.
       
       ## Es geht nicht um den Inhalt
       
       Im Gegenteil. Sie sind, schenkt man ihren Programmen und den dortigen
       [7][sehr wesentlichen inhaltlichen Differenzen] Glauben, politische und
       ideologische Gegner. Mit diesen Differenzen beanspruchen sie jeweils ihre
       Identität, mit dieser Identität haben sie vor der Wahl um Stimmen geworben.
       
       Aber sie alle sind eben auch zu sehr Machtpolitker:innen, um sich von
       lästigen Fragen nach Vermögenssteuer, Schuldenbremse und Klimaschutz durch
       Markt vs. staatliche Steuerung aufhalten zu lassen. Sie sind so sehr
       Machtpolitker:innen, dass sie trotzdem bei jeder sich bietenden Gelegenheit
       betonen, dass es ihnen einzig und allein um Inhalte ginge.
       
       Das plötzliche Bonding von FDP und Grünen und dessen Selfie-Inszenierung
       zeigt nun aber, dass dieser Verweis auf Inhalte ein abstrakter ist. Genauso
       wie das Zukunftsversprechen ein abstraktes ist, das aus diesem Selfie und
       den dazu geschriebenen Zeilen spricht.
       
       Weshalb sich dann auch die bemühte Behauptung des eigenen Andersseins von
       alleine erledigt. Von den drei anfangs beschriebenen Gelegenheiten des
       Selfiemachens bleibt deshalb nur noch die letzte übrig. Nur dass man sich
       heute in Zeiten fragmentierter Parteienlandschaften eben nicht mehr
       alleine, sondern gemeinsam geil finden muss.
       
       29 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.instagram.com/p/CUYXGWYomxO/
 (DIR) [2] /Machtkampf-in-der-Union/!5804795
 (DIR) [3] /Merkel-Bild-mit-syrischem-Fluechtling/!5369565
 (DIR) [4] https://twitter.com/ClaasGefroi/status/1443086186969509890
 (DIR) [5] https://twitter.com/sasa_s/status/1443068745308639236/photo/1
 (DIR) [6] https://twitter.com/mmachowecz/status/1443001953223684099
 (DIR) [7] /Gespraeche-zwischen-FDP-und-Gruenen/!5803872
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Volkan Ağar
       
       ## TAGS
       
 (DIR) FDP
 (DIR) Bündnis 90/Die Grünen
 (DIR) Schwerpunkt Bundestagswahl 2021
 (DIR) Christian Lindner
 (DIR) Annalena Baerbock
 (DIR) GNS
 (DIR) Kolumne Postprolet
 (DIR) FDP
 (DIR) Schwerpunkt Angela Merkel
 (DIR) Schwerpunkt Bundestagswahl 2021
 (DIR) Bundestagswahlkampf
 (DIR) Schwerpunkt Bundestagswahl 2021
 (DIR) CDU/CSU
 (DIR) Schwerpunkt Bundestagswahl 2021
 (DIR) Schwerpunkt Bundestagswahl 2021
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Sondierungsgespräche der Parteien: Strategisches Getue
       
       In den Gesprächen um eine mögliche Koalition geht es zwischen SPD, FDP und
       Grünen nicht ohne Kompromisse. Doch die muss man sich leisten können.
       
 (DIR) Wenn Grüne und FDP regieren: Perverse Politik von Ödipus
       
       Die Grünen haben bei der Wahl grotesk schlecht abgeschnitten. Dabei wäre es
       nötig, radikale Klimapolitik gegen die FDP durchzusetzen.
       
 (DIR) Bundeskanzlerin bei Feier zum 3. Oktober: Merkels vielleicht letzter Moment
       
       Zur Feier des Tages der Deutschen Einheit hielt die Bundeskanzlerin in
       Halle eine persönlich gehaltene, überraschend emotionale Rede.
       
 (DIR) Twitterfieber ohne Ende: Und es hat Pling gemacht
       
       Rund um Ereignisse wie Wahlen verbringt unser Autor viel Zeit auf Twitter.
       Warum, erklärt er in diesem Text. Ob er dafür eine Twitterpause schafft?
       
 (DIR) taz-Community nach der Bundestagswahl: „Der gleiche neoliberale Mist“
       
       Wie geht es taz-Leser*innen mit dem Ergebnis der Bundestagswahl? Viele
       hatten sich vor allem in Bezug auf's Klima mehr erhofft.
       
 (DIR) Aktuelle Nachrichten zur Wahl: Union trifft sich Dienstag mit Grünen
       
       Am Sonntag spricht die Union mit der FDP, am Dienstag mit den Grünen. ARD
       und ZDF gehen gegen Bild-TV wegen Übernahme von Sendematerial am Tag der
       Wahl vor.
       
 (DIR) Machtkampf in der Union: Laschet wird zur Last
       
       Kanzlerkandidat Armin Laschet verliert auch im Streit um den
       Fraktionsvorsitz. Doch noch immer hofft er, eine Jamaika-Koalition
       anzuführen.
       
 (DIR) Naturschützer über Koalitionsbildung: „Jamaika ist beim Klima absurd“
       
       Deutschland habe für Klimaschutz gestimmt, meint Kai Niebert, Chef des
       Deutschen Naturschutzrings. Aber mit dem Fokus auf Industriepolitik.
       
 (DIR) Die Union nach dem Wahldebakel: Letzte Chance Jamaika
       
       Noch hat Armin Laschet die Rückendeckung der Unionsspitze für Verhandlungen
       mit Grünen und FDP. Geht das schief, droht wohl das Karriereende.