# taz.de -- Streit in der Ampelkoalition: Schneller Straßenbau verschoben
       
       > Bauprojekte, Agrosprit, Klimaschutz: Beim Krisentreffen im
       > Koalitionsausschuss blieben Grüne und FDP uneins – außer in einem Punkt.
       
 (IMG) Bild: Bei einer schnelleren Sanierung altersschwacher Autobahnbrücken wären die Grünen dabei
       
       BERLIN taz | Schon im Vorfeld des Koalitionsausschusses über Verkehr und
       Klimaschutz am Donnerstagabend im Kanzleramt war klar, dass dies eine lange
       Sitzung bis tief in die Nacht hinein werden müsste, wenn es zu einer
       Einigung kommen soll. Zu sehr hatten sich Bundesverkehrsminister Volker
       Wissing (FDP) und die grüne Umweltministerin Steffi Lemke insbesondere bei
       der Frage um die [1][Planungsbeschleunigung] im Verkehrsbereich miteinander
       verharkt.
       
       Bereits seit Dezember schwelt der Streit zwischen den beiden Ministerien
       und auch ihren Parteien, den Grünen und der FDP. Drei Treffen mit
       Bundeskanzler Olaf Scholz, Lemke und Wissing mit dem Versuch der Einigung
       im Kanzleramt gingen bereits erfolglos zu Ende. Auch das Treffen des
       Koalitionsausschusses am Donnerstagabend blieb nun ohne Einigung. Noch am
       Abend ließen Koalitionskreise nur verlauten: „Es gab konstruktive Gespräche
       zu den Themen Verkehr und Klimaschutz.“
       
       Im Zentrum des Treffens stand die Frage, für welche Verkehrsprojekte nun in
       Zukunft ein „überragendes öffentliches Interesse“ zu gelten habe. Geht es
       nach dem Bundesverkehrsminister, soll bei der Planungsbeschleunigung auch
       der Neu- und Ausbau von Straßen künftig schneller gehen. Die Grünen dagegen
       wollen die priorisierten Projekte enger fassen. Sie blieben bei dem Treffen
       bei ihrer Position, dass sie bei einer schnelleren Sanierung
       altersschwacher Autobahnbrücken mit dabei wären. Beim Neubau von Straßen
       aber eher nicht.
       
       ## Noch nicht mal Annäherung zwischen FDP und Grünen
       
       Dem Vernehmen nach soll es bei dem Treffen im Koalitionsausschuss noch
       nicht mal eine Annäherung zwischen den beiden Positionen von FDP und Grünen
       gegeben haben. Selbst Bundeskanzler Olaf Scholz soll über das wenige
       Einlenken der Grünen überrascht gewesen sein, heißt es. Einen sonderlich
       schlecht gelaunten Eindruck machten zumindest Spitzen-Grüne am Morgen nach
       dem Treffen aber nicht. Denn: Für die Grünen könnte es sogar nützlich sein,
       dass das Thema erst mal vertagt ist.
       
       Nach den Debatten um die Räumung von [2][Lützerath] stehen sie bei ihrer
       Basis und in der Klimabewegung im Verdacht, nicht hart genug für ihre
       Themen zu verhandeln. Auch innerhalb der Grünen-Fraktion schwand zuletzt
       die Bereitschaft, jeden Kompromiss zu schlucken. So können Parteispitze,
       Fraktionsspitze und grüne Kabinettsmitglieder jetzt behaupten, innerhalb
       der Ampel sehr wohl in Konflikte zu gehen – und eben nicht vorschnell
       schlechte Kompromisse zu machen.
       
       FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai bezeichnete die Blockade-Haltung der
       Grünen am Morgen nach dem Treffen dagegen als „absurd“ und forderte von
       seinen Koalitionspartner mehr Bewegung im Streit über die Beschleunigung
       von Planungsverfahren im Verkehr. Bundesverkehrsminister Wissing hätte
       zudem, so Djir-Sarai einen ordentlichen Plan vorgelegt, wie der Verkehr
       künftig klimaneutral sein könnte.
       
       ## Von Agrosprit bis Planungsbeschleunigung
       
       Denn neben dem Streit über den schnelleren Bau von Autobahnen standen beim
       gestrigen Treffen auch noch einige andere Thema im Raum. Die Grünen hatten
       schon Tage zuvor ordentlich Druck auf den Bundesverkehrsminister ausgeübt.
       
       Bundesumweltministerin Steffi Lemke reichte noch am Freitag vorab gemeinsam
       mit ihrem grünen Parteikollegen und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir
       einen Gesetzentwurf ein, der Agrokraftstoff bis 2030 an deutschen
       Tankstellen verbieten soll. Bislang kann der Kraftstoff, der etwas aus
       Mais, Getreide oder Rüben gewonnen wird, noch mit einer Quote von bis zu
       4,4 Prozent herkömmlichen Sprit beigemischt werden.
       
       Die Reaktion aus Wissings Ministerium folgte prompt. Das Haus warnte davor,
       dass damit die CO²-Emissionen im Verkehr weiter steigen würden. Der
       Klimaeffekt von Agrokraftstoffen gilt bei Umweltverbänden und
       WissenschaftlerInnen dagegen als strittig. Das Ministerium aber ließ
       verlauten, dass diese „im Widerspruch zu der erklärten gemeinsamen Absicht
       der Bundesregierung, die Klimaschutzziele einhalten zu wollen“, stehe.
       
       Auch das Ministerium für Wirtschaft- und Klimaschutz von Robert Habeck muss
       noch eine Einigung mit Wissings Haus erzielen. Das Verkehrsministerium
       hängt bei der Einhaltung der Klimaschutzziele deutlich hinterher. Nicht nur
       der eigene Klimaexpertenrat der Bundesregierung hatte errechnet, dass bis
       2030 noch 261 Millionen Tonnen zu viel CO² im Verkehrssektor anfallen.
       
       Auch ein Gutachten des wissenschaftliche Dienstes des Bundestags wirft
       Wissing den Verstoß gegen das Klimaschutzgesetz vor. Die Umweltorganisation
       BUND hatte zudem Anfang dieser Woche die Bundesregierung wegen ihrer
       Verstöße gegen die Klimagesetze verklagt. Auch der Grüne Habeck drängt
       Wissings Haus dazu, bei der Einhaltung der Klimaschutzziele nachzulegen,
       attackierte Wissing aber nicht direkt. Einigungsbedarf dürfte hier aber
       trotzdem bestehen.
       
       ## Offene Punkte bis zur Einigung
       
       Zwischen Grünen und FDP sollte daher auch in den kommenden Woche noch
       einiges an Konfliktpotenzial liegen und ein längerer Weg hin zu einer
       Einigung. Der Dritte im Ampelbündnis, die SPD, versteht sich in diesen
       Fragen als einender Faktor zwischen den beiden Ampelpartnern, das betont
       auch immer wieder ihr verkehrspolitischer Sprecher Detlef Müller.
       Inhaltlich aber scheint die [3][SPD] näher an den Positionen der FDP zu
       stehen – vor allem in Bezug auf den Kernstreitpunkt: dem
       Planungsbeschleunigungsgesetz.
       
       Offene Fragen, die hier im Detail in den nächsten Wochen noch zu klären
       sein dürften, betreffen vor allem die Punkte: Was ist nun eigentlich genau
       unter dem Neubau von Autobahnen zu verstehen? Geht es hier um
       Lückenschlüsse – also um zusätzliche Teilabschnitte? Um Autobahnabschnitte
       die noch vor maroden Brücken liegen? Oder um Fernstraßen, die nachweislich
       eine besondere Verkehrsauslastung haben?
       
       Als Teil der Verhandlungsmasse gilt auch, um wie viele und welche der
       Straßenbauprojekte es in Wissings Entwurf denn eigentlich genau gehe, wenn
       es zu einer Beschleunigung von Bauvorhaben kommen sollte. Unter dem in dem
       Papier aufgelisteten Projekten aus dem Bundesverkehrswegeplan (BVWP)
       befinden sich auch solch umstrittene Autobahnen wie die Verlängerung der
       A100 in Berlin oder der Weiterbau der A20 in Niedersachsen und
       Schleswig-Holstein.
       
       Würden diese künftig schneller gebaut werden, würden bei der Planung der
       Autobahnen auch die Standards für die Umweltprüfungen deutlich niedriger
       ausfallen. Ein breites Bündnis aus Umweltverbänden von BUND über die
       Deutsche Umwelthilfe bis hin zu Greenpeace laufen dagegen bereits seit
       Wochen Sturm. Etliche Verbände kritisieren, dass die Umweltstandards des
       geltenden Bundesverkehrswegeplans ohnehin deutlich zu lasch seien.
       
       Die Denkfabrik Agora Verkehrswende etwa schlug vor, die Koalition solle
       zunächst die Vorhaben im Bundesverkehrswegeplan bis 2030 überprüfen und
       dann mit einer neuen Planung für eine schnelle Umsetzung sorgen. „Es wäre
       nicht angemessen, die Planung der Verkehrsinfrastruktur auf dieser
       Grundlage zu beschleunigen“, erklärte Urs Maier von Agora Verkehrswende.
       
       In dem ganzen Streit zwischen FDP und Grüne scheint es bislang nur in einem
       Punkt Einigkeit unter allen Ampelpartnern zu bestehen: Der Ausbau der
       Schiene muss ebenfalls beschleunigt werden, wenn es um das schnellere Bauen
       von Verkehrsinfrastruktur geht.
       
       27 Jan 2023
       
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