# taz.de -- Streit um Israel-Kritik und BDS-Bewegung: „Eine Art Hochverrat“
       
       > Anhängern der Boykott-Bewegung gegen Israel werden häufig Räume entzogen.
       > Manchmal reicht der bloße Verdacht. Jetzt gibt es einen neuen Fall.
       
 (IMG) Bild: Protest gegen die BDS-Bewegung im März in Göttingen
       
       BERLIN taz | Meron Mendel (43) leitet seit 2010 die Bildungsstätte Anne
       Frank in Frankfurt am Main. Er ist in einem Kibbuz in Israel groß geworden
       und hat, obwohl seit Langem in Deutschland, noch gute Kontakte nach Israel.
       Kürzlich allerdings kamen seltsame Nachricht von dort. „Mich haben besorgte
       Freunde aus Israel angerufen, wie ich denn einen Antisemiten und Nazi in
       die Bildungsstätte Anne Frank eingeladen könne“, so Mendel. Der
       vermeintliche Nazi und Antisemit ist Daniel Bax (48), früher taz-Redakteur
       und seit zwei Jahren beim Mediendienst Integration beschäftigt.
       
       Der Hintergrund ist eine Kampagne des Journalisten Benjamin Weinthal. Der
       rückte Bax in der rechten israelischen Zeitung Jerusalem Post kürzlich in
       die Nähe [1][„antijüdischer Verschwörungstheoretiker“].
       
       Konkrete Belege: Fehlanzeige. Journalisten und Antisemitismusexperten in
       Deutschland würden den Ex-tazler mit „dem Neonazi Udo Voigt und Antisemiten
       aus dem Mullahregime des Iran“ vergleichen. Als Kronzeuge wird die Website
       Honestly Concerned zitiert, die Bax als „Paradebeispiel für einen
       antizionistischen und antisemitischen BDS-Befürworter“ bezeichnet. Die
       BDS-Bewegung fordert einen umfassenden Boykott Israels, bis die Besatzung
       der Palästinensergebiete beendet ist.
       
       Anlass des Angriffs auf Bax: Er wird am Donnerstag an einer
       Podiumsdiskussion über linken Antisemitismus im Anne Frank Zentrum
       teilnehmen. Leiter Mendel, so der Zeitungstext, bleibe angesichts dieses
       Skandals nur der Rücktritt.
       
       ## Kein Einzelfall
       
       Mendels Überraschung hält sich in Grenzen. Persönliche Angriffe seien
       nichts Neues. Offenbar habe er die Erwartung von jüdischen Rechten
       enttäuscht, dass „jemand, der aus Israel kommt, zwangsläufig Sprachrohr der
       Regierung dort ist“. Der Bildungsstättenleiter hält die Attacke für keinen
       Einzelfall. Solche Angriffe „richten sich gegen Journalisten,
       Bildungseinrichtungen und jüdische Studentenorganisationen. Kritik an der
       Regierung Netanjahu gilt als eine Art Hochverrat. Wer abweicht, wird als
       Antisemit diffamiert“, so Mendel.
       
       Auch Michael Blume (42), CDU-Mitglied und Antisemitismus-Beauftragter in
       Baden-Württemberg, hat mit Weinthal keine guten Erfahrungen gemacht. Er
       bemängelt [2][inquisitorische Fragen, falsche Zitate und einen aggressiven
       Tonfall.] „Ich habe“, so Blume zur taz, „von ihm journalistische Anfragen
       erhalten, die jede Seriosität vermissen lassen.“ Auch für Blume ist der
       Feldzug von rechts kein Zufall. „Die Pro-Israel-Bewegung in Deutschland“,
       so seine Beobachtung, „spaltet sich digital in einen demokratischen und
       einen nationalistischen Flügel.“
       
       Auch die deutsch-israelischen Gesellschaften und Freundschaften würden
       zerrissen. Religionswissenschaftler Blume erinnert die Radikalisierung von
       manchen Bloggern und Journalisten an andere Phänomene – wie die sogenannten
       Superkatholiken, die liberale Priester und Funktionärinnen im Internet als
       Verräter anschwärzten. „Auch liberale MuslimInnen werden durch
       selbsternannte Wahrheitswächter oft getrollt“, so Blume. Jetzt gebe es
       dieses Phänomen mit Berufung auf das Judentum. „Typisch ist, dass die
       Digitalaktivisten in den Religionsgemeinschaften selbst kaum auftauchen,
       oft nicht einmal Mitglieder sind“, so Blume.
       
       ## Jüdische Intellektuelle warnen
       
       Das Meinungsklima in Deutschland in Sachen Israel und Palästina sorgt auch
       jüdische Intellektuelle aus Israel und den USA wie Eva Illouz, Judith
       Butler und Moshe Zimmermann. In [3][einem Aufruf] warnen mehr als hundert
       WissenschaftlerInnen davor, „Unterstützer der Menschenrechte der
       Palästinenser als antisemitisch zu bezeichnen“. Besonders kritikwürdig
       scheint den Intellektuellen die Ausgrenzung der international aktiven, in
       Deutschland verschwindend kleinen BDS-Bewegung. Manche der Unterzeichner
       unterstützen BDS, andere nicht, treten aber dafür ein, dass
       BDS-Unterstützer an öffentlichen Einrichtungen auftreten dürfen. In
       Deutschland haben mehrere Landtage und Städte – wie München und Frankfurt –
       BDS zu einer antisemitischen Organisation erklärt. BDS-Aktivisten dürfen
       dort keine städtischen Räumen nutzen.
       
       Dieser verständliche Versuch, als Antizionismus getarnten Antisemitismus an
       den Rand zu drängen, hat indes zwiespältige Effekte. Die Stadt München
       versuchte im März die Vorführung eines Dokumentarfilms über die Mauer im
       Westjordanland in einem städtischen Raum zu verhindern. Der Film „Broken“
       habe zwar nichts mit BDS zu tun. Doch bei der Diskussion sei zu erwarten,
       dass ein zentrales Ziel von BDS – der Abriss der Mauer – zur Sprache kommen
       könnte. Ein Gericht gab zwar im letzten Moment den Veranstaltern, der
       Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe, Recht. [4][Der Film wurde im
       Eine-Welt-Haus gezeigt.] Doch der Fall zeigt, wie nah das Raumverbot einer
       Einschränkung von Meinungsfreiheit kommen kann.
       
       Auch in der Frankfurter Lokalpolitik gibt es nun Stimmen, denen eine
       Podiumsdiskussion mit Bax zu weit geht. Der Frankfurter CDU-Bürgermeister
       Uwe Becker (49) hält die Einladung des Journalisten „für keine glückliche
       Wahl“. Bax habe „nicht die notwendige Distanz zu BDS“, so Becker zur taz.
       Das habe er auch Mendel mitgeteilt, akzeptiere aber, dass die
       Bildungsstätte das anders sehe. Dass Bürgermeister die Besetzung von Podien
       beeinflussen wollen, ist ungewöhnlich. Becker ist nicht irgendwer. Diese
       Woche wurde er zum Antisemitismusbeauftragten des Landes Hessen berufen.
       
       ## Meinungsfreiheit auch für BDS
       
       Daniel Bax sagte der taz, dass er „die Positionen von BDS nicht teilt, aber
       für legitim hält“. Es gehöre zur Meinungsfreiheit, dass BDS-Unterstützer
       ihre Ansichten uneingeschränkt veröffentlichen können.
       
       Mendel hat 2017 den Beschluss, in Frankfurt BDS aus städtischen
       Einrichtungen auszusperren, als „starkes Signal gegen Judenhass und
       israelbezogenen Antisemitismus“ begrüßt. Der Fall Bax macht ihn aber
       nachdenklich. Auf dem Podium solle die Bandbreite der innerlinken Debatte
       abgebildet werden, unabhängig davon, welche Position ihm sympathisch sei.
       Seine Kritik: „Obwohl es keine Beweise gibt, dass Bax BDS unterstützt, wird
       gefordert, dass wir ihn ausladen. Da werden Grenzen verwischt“. Es gebe die
       Gefahr einer beliebigen Ausweitung: „BDS-Sympathisant, BDS-Verteidiger,
       BDS-Verharmloser – wie weit soll das Raumverbot gehen?“
       
       11 Apr 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.jpost.com/Diaspora/Wiesenthal-Center-urges-removal-of-Anne-Franks-name-from-NGO-due-to-antisemitism-585589
 (DIR) [2] https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/medienethik-eine-negative-erfahrung-mit-der-jerusalem-post/
 (DIR) [3] /israelkritik
 (DIR) [4] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/stadt-unterliegt-in-rechtsstreit-umstrittene-filmvorfuehrung-1.4369928
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
       
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