# taz.de -- Studie zu Schwangerschaftsabbrüchen: Spahns Mogelpackung
       
       > Der Gesundheitsminister initiiert eine Studie zur Versorgungslage bei
       > Schwangerschaftsabbrüchen. Hilfreiche Ergebnisse sind nicht zu erwarten.
       
 (IMG) Bild: Hat eine Erhebung mit vielen weißen Flecken machen lassen: Jens Spahn
       
       BREMEN taz | Es ist eine Mogelpackung: Die vom Bundesgesundheitsministerium
       ausgeschriebene [1][Studie zur Versorgungslage bei
       Schwangerschaftsabbrüchen] soll eine „deutschlandweite vollständige
       Erhebung“ von Orten liefern, an denen Frauen Schwangerschaften abbrechen
       können. Das ist aber nur theoretisch möglich. Denn auch wenn noch nicht
       klar ist, welche Forschenden die Ausschreibung für sich entscheiden
       konnten, fest steht: Praktisch werden sie wohl sämtliche Praxen und
       Kliniken in Deutschland anschreiben und auf eine möglichst hohe
       Rücklaufquote hoffen müssen. Als realistisch gelten 20 bis 30 Prozent, doch
       selbst bei einer unwahrscheinlichen Traumquote von 50 Prozent könnte von
       Vollständigkeit keine Rede sein.
       
       Bei der Studie, deren Ausschreibungsfrist am 11. November geendet hat,
       handelt es sich um das zweite Modul eines fünf Millionen Euro teuren
       Forschungsprojekts. Dieses sollte diejenigen besänftigen, die das
       Forschungsvorhaben kritisiert hatten, weil es im ursprünglich einzigen
       Modul nur „seelische Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen“ untersuchen
       sollte.
       
       Ob das klappt, scheint in Anbetracht der Bedingungen, unter denen die Daten
       erhoben werden können, sehr unwahrscheinlich. Einen anderen Weg als die
       manuelle Befragung aller deutschen Kliniken und Praxen gibt es nicht,
       [2][da nur an einer Stelle in Deutschland die Daten zu
       Schwangerschaftsabbrüchen vollständig] vorliegen, diese sie aber nicht
       herausgeben darf. Beim [3][statistischen Bundesamt] müssen alle
       Mediziner*innen solche Eingriffe melden. Das Amt bereitet die Daten zwar
       auf Länderebene auf, eine kleinräumigere Statistik etwa auf Landkreisebene
       ist ihnen laut Gesetz aber verboten.
       
       Wie das Bundesfamilienministerium der taz jetzt mitteilte, wird sich daran
       auch nichts ändern. Vor einem Jahr hatte es in einer [4][Antwort auf eine
       Anfrage der Grünen im Deutschen Bundestag] in Aussicht gestellt, zu
       „prüfen, ob der Überblick über die Versorgungsituation verbessert werden“
       könne – eben durch eine Änderung der Vorgaben für das statistische
       Bundesamt. Geprüft wurde jetzt anscheinend, Verbesserungspotenzial will man
       dabei nicht gefunden haben. Wie geprüft wurde und warum das Ergebnis
       negativ ausfiel, sagt das Ministerium nicht.
       
       ## Weiße Flecken auf der Landkarte
       
       Dabei wäre eine Statistik mit Aufschlüsselung nach Regionen höchst
       aufschlussreich: Sie würde wahrscheinlich zeigen, wie spät Frauen
       Schwangerschaften abbrechen, wenn sie an Orten leben, in denen sie weite
       Wege vor sich haben und der Mediziner*innenmangel die Wartezeiten
       verlängert. Dabei steigen die gesundheitlichen Risiken mit zunehmender
       Schwangerschaftsdauer. Entsprechend [5][empfahl der Familienausschuss des
       Bundestags im Juni 1995] vor Verabschiedung des
       Schwangerschaftskonfliktgesetzes: „[Der] Eingriff [sollte] auch aus
       medizinischen Gründen so früh wie möglich vorgenommen werden können.“
       
       Auf Länderebene zeichnet sich ein Trend zum Abbruch in späteren
       Schwangerschaftswochen für die letzten acht Jahre nur in Baden-Württemberg,
       Niedersachsen und Bremen ab, in anderen Bundesländern gibt es zum Teil eine
       gegenläufige Entwicklung.
       
       Die grüne Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther kritisiert die
       Entscheidung der Bundesregierung, keine detailliertere Statistik
       zuzulassen. „Wir müssen wissen, wo die weißen Flecken auf der Landkarte
       sind, damit ein gutes Versorgungsnetz aufgebaut werden kann“, sagte sie der
       taz.
       
       Die Grünen-Politikerin ist überzeugt: „Wir brauchen eine Rechtsgrundlage
       auf Bundesebene für die kontinuierliche Auswertung von anonymisierten
       Informationen über Einrichtungen, die Abbrüche vornehmen – nicht nur eine
       einmalige Bestandsaufnahme in vier Jahren.“ Zudem müsse die Auswertung
       schnell vorangebracht werden, „damit nicht noch mehr Frauen lange Strecken
       kreuz und quer durch Deutschland fahren müssen“.
       
       [6][Wie die taz vor zweieinhalb Jahren recherchiert hatte], gibt es
       ländliche Regionen, in denen Frauen bis zu 150 Kilometer für einen Abbruch
       fahren müssen. Aber auch [7][in vielen Städten wird es nach taz-Recherchen]
       eng. Und eine Wahl zwischen verschiedenen Abbruch- und Narkosemethoden gibt
       es häufig nur in Großstädten. Zudem sind nur wenige Mediziner*innen bereit,
       einen Abbruch nach der 10. Schwangerschaftswoche durchzuführen, erlaubt
       wäre bis zur 14.
       
       2 Dec 2019
       
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 (DIR) [4] http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/065/1906519.pdf
 (DIR) [5] http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/13/018/1301850.pdf
 (DIR) [6] /Abtreibung-in-Deutschland/!5386152
 (DIR) [7] /Diskussion-um-Paragraf-218/!5565165
       
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