# taz.de -- Tadschikischer Oppositioneller: Sieben Jahre Haft für Abgeschobenen
       
       > Trotz massiver Warnungen haben deutsche Behörden Abdullohi Shamsiddin
       > nach Tadschikistan ausgeliefert. Dort wurde er nun direkt verurteilt.
       
 (IMG) Bild: Demonstration in Berlin, Ende März
       
       BOCHUM taz | Mehr Druck der Bundesregierung auf Tadschikistans
       autokratischen Präsidenten Emomalij Rahmon: Das fordern nach der offenbar
       politisch motivierten Verurteilung des aus Dortmund abgeschobenen
       Regimegegners [1][Abdullohi Shamsiddin] zu sieben Jahren Gefängnis nicht
       nur Unterstützer:innen des Oppositionellen, sondern auch
       Menschenrechtsorganisationen und Politiker:innen.
       
       Denn die Bundesrepublik sei für das Schicksal des 33-Jährigen
       mitverantwortlich, sagt etwa Hugh Williamson, Direktor der für Zentralasien
       zuständigen Abteilung der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch:
       „Die Abschiebung war ein klarer Fehler der deutschen Behörden.“
       
       Wenn „Deutschland richtig Druck macht, könnte Shamsiddins Haftzeit verkürzt
       werden“, hofft der Menschenrechtler. „Deutschland hat enormen Einfluss“,
       glaubt auch Leila Seiitbek von der Organisation Freedom for Eurasia:
       Schließlich unterstützten die Bundesrepublik und die Europäische Union das
       Entwicklungsland Tadschikistan mit Hunderten Millionen Euro.
       
       Der vor 14 Jahren in die Bundesrepublik geflüchtete Shamsiddin war am 29.
       März von einem Gericht in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe zu der
       langjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Das hat das Auswärtige Amt der
       taz unter Berufung auf beim Prozess anwesende Mitarbeitende der deutschen
       Botschaft bestätigt.
       
       ## Folterspuren im Fernsehen
       
       Von einem fairen Verfahren könne allerdings keine Rede sein, kritisiert
       [2][Menschenrechtler Williamson]. In einem nur zweitägigen Schauprozess
       wurden Shamsiddin „öffentliche Aufrufe zur gewaltsamen Änderung der
       verfassungsmäßigen Ordnung der Republik Tadschikistan durch Nutzung des
       Internets“ vorgeworfen – also sein politisches Engagement in Deutschland,
       wo der Vater zweier Kinder seit 2009 gelebt hat.
       
       Denn Shamsiddin ist nicht nur Mitglied der seit 2015 verbotenen größten
       tadschikischen Oppositionspartei. Sein Vater Shamsiddin Saidov, der wie
       seine Mutter als anerkannter Flüchtling in Aachen lebt, gilt als führender
       Kader der nicht extremen Partei der Islamischen Wiedergeburt Tadschikistans
       (IRPT). Und seine Frau Sumaya ist die Nichte des IRPT-Parteichefs Muhiddin
       Kabiri. Nicht ohne Grund titelte auch die konservative Frankfurter
       Allgemeine, Shamsiddin sei [3][„ein Faustpfand für Rahmon“].
       
       Der Regimegegner wusste deshalb, was ihm drohte. „Riesige Angst“ habe er
       nicht nur vor der Haft, sondern besonders vor Folter wie „Schlägen,
       Elektroschocks, Schlafentzug“, erklärte Shamsiddin im Januar in einem
       letzten Telefonat mit der taz aus dem nordrhein-westfälischen
       [4][Abschiebeknast Büren heraus].
       
       Beobachter:innen beschreiben die Menschenrechtsbilanz des seit 1994
       amtierenden tadschikischen [5][Präsidenten Rahmon als „entsetzlich“]:
       Selbst im Staatsfernsehen wurden IRPT-Kader als vermeintliche Terroristen
       bereits mit deutlichen [6][Spuren von Misshandlungen] vorgeführt.
       
       ## „Desaster für das deutsche Asylsystem“
       
       Nicht nur Human Rights Watch und Freedom for Eurasia, auch das norwegische
       Helsinki-Kommitee haben massiv vor der Abschiebung gewarnt. Doch deutsche
       Behörden ignorierten die Gefahren, die dem Oppositionellen drohen –
       Hintergrund sind offenbar in Deutschland [7][bereits abgegoltene
       Vorstrafen] Shamsiddins. Im Januar scheiterte vor dem Verwaltungsgericht
       Gelsenkirchen ein dritter und letzter Asylantrag des Rahmon-Gegners. Wie
       das Bundesamt für Flüchtlinge (BAMF) erklärte ein Einzelrichter Shamsiddins
       IRPT-Mitgliedschaft für unglaubwürdig – und bezweifelte, dass er der Sohn
       des führenden Parteikaders Saidov ist.
       
       Noch am Tag der Abschiebung, dem 18. Januar, wurde das Ergebnis eines von
       verzweifelten Unterstützer:innen selbst in Auftrag gegebenen DNA-Tests
       nicht abgewartet. Der ergab zwar „eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit
       größer als 99,9999 Prozent“ – doch da saß Abdullohi Shamsiddin schon eine
       Stunde im Abschiebeflieger.
       
       Sebastian Rose vom Abschiebereporting NRW erwartet „von der Bundesregierung
       eine genaue Aufarbeitung und Überprüfung, wie es zu dieser Abschiebung
       kommen konnte und welche Fehler das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
       vorliegend gemacht hat.“ In der Pflicht sei auch die schwarz-grüne
       Landesregierung Nordrhein-Westfalens, in der die Grünen mit Josefine Paul
       die Integrationsministerin stellen. „Solche Abschiebungen direkt in die
       tadschikische Haft“, fordert Rose, „dürfen sich nicht wiederholen“.
       
       „Ein Desaster für das deutsche Asylsystem“ sei Shamsiddins „grob
       fahrlässige Abschiebung direkt in die Hände seiner Verfolger“, kritisiert
       auch Clara Bünger, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei. Jetzt seien
       „grundsätzliche Konsequenzen“ nötig: „Die Entscheidungspraxis des BAMF in
       Bezug auf Tadschikistan muss angepasst werden“, sagt die
       Linken-Parlamentarierin, die die Bundesregierung zusammen mit ihrer
       Fraktion [8][mit einer kleinen Anfrage] ihrerseits unter Druck gesetzt hat.
       
       In der Antwort, die der taz exklusiv vorliegt, erklärt die Bundesregierung
       zwar, dass „bürgerliche Freiheiten, insbesondere die Meinungs- und
       Religionsfreiheit, in Tadschikistan stark eingeschränkt“ seien. Auch wisse
       man von der Verfolgung von Mitgliedern der größten Oppositionspartei IRPT.
       „Nicht übermittelt werden“ könnten dagegen Informationen zum Einzelfall
       Shamsiddin – „zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des
       Betroffenen“.
       
       Aktualisiert am 06.04.2023 um 12:00 Uhr. d. R.
       
       5 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Fall-des-Tadschiken-Abdullohi-Shamsiddin/!5905161
 (DIR) [2] https://www.hrw.org/de/news/2023/03/20/deutschland-besorgniserregende-abschiebung-von-tadschikischem-aktivisten
 (DIR) [3] https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/deutschland-schiebt-oppositionellen-nach-tadschikistan-ab-18736635.html
 (DIR) [4] /Oppositioneller-aus-Tadschikistan/!5913581
 (DIR) [5] https://www.hrw.org/world-report/2023/country-chapters/tajikistan
 (DIR) [6] https://www.spiegel.de/politik/ausland/tadschikistan-is-anschlag-auf-touristen-das-regime-wiegelt-ab-a-1221243.html
 (DIR) [7] /Drohende-Abschiebung-nach-Tadschikistan/!5897410
 (DIR) [8] https://dserver.bundestag.de/btd/20/059/2005903.pdf
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Wyputta
       
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