# taz.de -- Terrorismusforscher über Taliban-Sieg: „Die Symbolik ist schon stark“
       
       > Dschihadisten überall auf der Welt nutzten den Sieg der Taliban für ihre
       > Zwecke, sagt Peter Neumann. Doch die Gruppe selbst habe keine globalen
       > Ambitionen.
       
 (IMG) Bild: Die Taliban sind eine gewalttätige islamistische Organisation, die nicht global operiert
       
       taz: Herr Neumann, als der IS 2014 das Kalifat ausgerufen hat, hatte dies
       eine enorme Mobilisierung von Islamisten in vielen Teilen der Welt zur
       Folge, auch in Deutschland. Was bedeutet der Sieg der Taliban in
       Afghanistan für den internationalen islamistischen Terror? 
       
       Peter Neumann: Die Taliban sind nicht der IS, sie haben keine globalen
       Ambitionen. Sie sind eine gewalttätige islamistische Organisation, [1][aber
       eben auch eine paschtunische Stammesorganisation], die sich auf die Orte
       beschränkt, wo Paschtunen leben. Und das ist vor allem in Afghanistan und
       Pakistan. Auf dieser Basis haben die USA auch mit den Taliban verhandelt:
       Solange sie sich auf ihr Gebiet beschränken und nicht mit internationalen
       Terroristen kooperieren, ihnen also Unterschlupf gewähren oder erlauben,
       eine systematische Präsenz aufzubauen, sind sie für den Westen keine
       Bedrohung. Auf dieser Basis waren die USA bereit, sich aus Afghanistan
       zurückzuziehen. Denn letztendlich sind ihnen die Frauen im Land egal.
       
       Die Taliban haben in den 1990er Jahren al-Qaida Unterschlupf gewährt, Osama
       bin Laden hat sich in Afghanistan versteckt. Könnte das Land nun wieder zum
       Rückzuggebiet für den internationalen islamistischen Terrorismus werden? 
       
       Nein, unmittelbar glaube ich das nicht. Die Taliban haben gelernt, dass
       2001 die Amerikaner gekommen sind, weil Osama bin Laden da war. Und sie
       sind derzeit auch so stark, dass sie keine Unterstützung vom
       internationalen Terrorismus brauchen. Ob das so bleibt, ist schwer zu
       sagen. Aber derzeit hat sich die pragmatische Fraktion, die das so sieht,
       durchgesetzt.
       
       Gibt es andere Konsequenzen für die internationale dschihadistische
       Bewegung? 
       
       Ja, er gibt ihr Aufschwung. Man sieht schon, dass dschihadistische Gruppen
       überall in der Welt, der IS zum Beispiel oder auch al-Qaida, diesen Sieg
       propagandistisch ausschlachten. Und sie versuchen natürlich, eine
       Sogwirkung für ihre eigenen Projekte zu erzeugen. Nach vielen Niederlagen
       gibt es endlich mal wieder einen Sieg zu feiern, und was für einen. Die
       Taliban haben ja nicht nur irgendwo die Macht übernommen: Sie haben Amerika
       besiegt, die stärkste militärische Macht der Welt. Aus Sicht der
       Dschihadisten ist das die ultimative Konfrontation. Und dann jährt sich am
       11. September der Anschlag zum 20. Mal. Diese Symbolik ist schon stark.
       
       Und was könnte das für Konsequenzen haben? 
       
       Die Leute fühlen sich möglicherweise elektrisiert und motiviert. Vielleicht
       fühlt sich auch der eine oder andere psychisch labile Einzeltäter
       angesprochen und meint, er muss jetzt auch was machen. Oder manche fühlen
       sich angesprochen, selbst an eine solche Front zu gehen und für einen Sieg
       zu kämpfen, zum Beispiel in den Irak, nach Syrien oder nach Mali. Das ist
       wie nach einem Attentat: Die Szene ist in positiver Aufregung.
       
       Sehen Sie also eine steigende Terrorgefahr? 
       
       Minimal vielleicht, aber es ist eher ein verstärktes Grundrauschen. Aber
       natürlich beobachten Polizei und Geheimdienste die Propaganda und die
       Reaktion darauf sehr genau.
       
       [2][In den 1990er Jahren, lange vor dem IS, sind deutsche Islamisten nach
       Waziristan gezogen,] ins Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan.
       Kann das jetzt wieder passieren? 
       
       In den Foren fantasieren manche darüber, nach dem Motto: Da kann man
       islamisch leben. Aber es fehlt das Angebot: Die Taliban wollen das im
       Prinzip nicht. Sie sind Paschtunen, letztlich eine nationalistische
       Bewegung. Die können mit Leuten aus Solingen nichts anfangen. Auch in den
       90er Jahren sind die Leute ja nicht zu den Taliban gegangen, sondern sie
       haben sich in Trainingscamps von al-Qaida ausbilden lassen. Al-Qaida hat
       diesen Anspruch, versteht sich als globale transnationale dschihadistische
       Organisation. Der IS auch. Aber die Taliban nicht. Es gab nur ganz, ganz
       wenige Ausländer, die sich den Taliban angeschlossen haben.
       
       Wenn die Taliban keine globale Agenda haben – ist es dann auch eher
       unwahrscheinlich, dass sich unter afghanische Flüchtlinge, die
       möglicherweise nach Europa kommen, Dschihadisten mischen? 
       
       Natürlich ist wichtig, dass die Hintergründe von Geflüchteten so weit es
       geht geprüft und verstanden werden. Wir müssen auch aufpassen, dass sich
       Leute nicht nach ihrer Ankunft radikalisieren. Aber anders als der IS
       wollen die Taliban keine Anschläge in Europa verüben. Und ich halte es,
       ehrlich gesagt, für unwahrscheinlich, dass Anhänger der Taliban genau jetzt
       aus dem Land fliehen.
       
       Die Taliban haben in den vergangen Tagen viel versprochen – dass Frauen
       weiter arbeiten können etwa oder sie sich an den so genannten Ortskräften
       nicht rächen werden. Glauben Sie das? 
       
       Die Taliban sind pragmatischer geworden, aber die Ideologie hat sich nicht
       geändert. Dazu gehört, dass Frauen im öffentlichen Raum keinen Platz haben.
       Entsprechend werden sie das System umbauen, selbst wenn es offiziell nicht
       verboten wird, dass Frauen arbeiten. Für westlich orientierte Frauen gibt
       es da keine Perspektive. Da darf man sich keine Illusionen machen. Aber die
       Taliban haben auch verstanden, dass sie anders agieren müssen als in den
       90er Jahren – Frauen also besser nicht gleich gesteinigt werden, so zynisch
       das klingt. Das sind Signale nicht nur an den Westen, sondern vor allem an
       die neuen Freunde wie China und Iran, von denen man sich viel erhofft, auch
       ökonomische Beziehungen und Investitionen, diese besonders von China. Und
       China hat klargemacht: Dann dürfen sie nicht zu weit gehen.
       
       19 Aug 2021
       
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