# taz.de -- Islamisten in Afghanistan: Wer sind die Taliban? > Die als besonders brutal geltenden Islamisten sollen sich inzwischen > gemäßigt haben. Echte Läuterung oder bloße Rhetorik? (IMG) Bild: Das Foto einer Frau im Fenster eines Schönheitssalons in Kabul wird am 15. August 2021 übermalt Die erneute Herrschaft der Taliban sorgt für große Furcht in Afghanistan. Die Menschen trauen deren neuerdings moderateren Tönen nicht. Das basiert zum einen auf den Erfahrungen mit der früheren Talibanherrschaft (1996–2001) sowie auf bisher nicht überprüfbaren Berichten über Gräueltaten aus von Taliban kontrollierten Gebieten. Hinzu kommen Traumata von Terroranschlägen, zu denen sich die Taliban entweder bekannten oder die ihnen zugeschrieben wurden. Unter dem früheren Regime sorgte die Erschießung von „Ehebrecherinnen“ im Stadion von Kabul sowie die Zerstörung der historischen Buddhastatuen von Bamiyan 2001 für weltweite Empörung. Doch waren dies nur besonders barbarische Beispiele für das an einer fundamentalistischen Auslegung des Islams orientierte Regime in Verbindung mit konservativ-ländlichen Traditionen der Paschtunen. Die Taliban, die unter afghanischen Flüchtlingen in Pakistan entstanden und vom dortigen Militärgeheimdienst (ISI) protegiert wurden, setzten ein Bildungsverbot für Mädchen durch und beschränkten Berufsmöglichkeiten für Frauen. Frauen mussten einen Ganzkörperschleier tragen und durften das Haus nicht ohne Begleitung durch ein männliches Familienmitglied verlassen. Verbote betrafen auch Musik, eine freie Presse, Abbildungen von Menschen und den afghanischen Volkssport des Drachensteigens. Nichtpaschtunen und vor allem die schiitischen Hasara wurden mehrfach Opfer von Massakern der Taliban. ## Heterogen, aber nationalistisch War der frühere Kampf der Taliban mit einer Ausweitung des Opiumanbaus verbunden, den sie zunächst besteuerten, setzten sie in ihrem letzten Herrschaftsjahr dessen Reduktion um rund 90 Prozent durch. Mittels rabiater Strafen gelang es ihnen, die Korruption einzudämmen und eine rohe Form der Justiz durchzusetzen, die viele als wirkungsvoller wahrnahmen als die nachfolgende. Gesprächspartner der Taliban haben in den letzten Jahren immer wieder berichtet, deren Führer würden ihre einstige Herrschaft heute selbstkritisch sehen, etwa im Hinblick auf die kaum existente Wirtschaftspolitik oder wegen der starken Einschränkung der Rechte von Frauen und Mädchen. So soll der Schulbesuch von Mädchen künftig möglich sein. Dem steht entgegen, dass in umkämpften Gebieten immer wieder Mädchenschulen angezündet wurden, wobei die Täter oft unbekannt blieben. Mit dem lokalen Ableger des „Islamischen Staats“ (IS) bekämpfen die Taliban inzwischen eine noch brutalere islamistische Konkurrenz. Lange Zeit galt als offenes Geheimnis, dass die Führung der Taliban, die Quetta-Schura, in der westpakistanischen Stadt ihren Sitz hat. Auch das ebenfalls zu den Taliban gehörende Hakkaninetzwerk, das von den USA als Terrororganisation eingestuft wird, operiert von Pakistan aus. ## Ihre Unberechenbarkeit als Problem Doch die nationalistisch ausgerichteten Taliban als verlängerten Arm Pakistans zu bezeichnen wäre verkürzt. So nahm das Land den politischen Führer der Taliban, Mullah Abdul Ghani „Baradar“, 2010 fest, als der den damaligen Präsidenten Hamid Karsai treffen wollte. 2018 drängte ausgerechnet US-Präsident Donald Trump zur Freilassung Baradars, um mit ihm zu verhandeln. Die Taliban sind eine heterogene Bewegung, deren lokale Politik stark von den Kommandeuren und Mullahs vor Ort abhängt. In Kabul etwa hätten Taliban kürzlich Plünderungen von Hilfsorganisationen verhindert, berichtet Stefan Recker, Leiter des dortigen Caritas-Büros. Andere Berichte legen nahe, dass sich das Verhalten der Taliban nicht von früher unterscheidet. Ob die moderate Rhetorik nur Taktik ist, lässt sich noch nicht sagen. Beunruhigen muss, dass das Talibanregime kein „Checks and Balances“ hat. Seine Kämpfer folgen zwar einer strengen Hierarchie, bei einzelnen Maßnahmen entscheiden sie aber auch nach eigenem Gusto. 17 Aug 2021 ## AUTOREN (DIR) Sven Hansen ## TAGS (DIR) Schwerpunkt Afghanistan (DIR) Taliban (DIR) Kabul (DIR) Islamisten (DIR) Islamismus (DIR) IG (DIR) Schwerpunkt Afghanistan (DIR) Schlagloch (DIR) Schwerpunkt Afghanistan (DIR) Schwerpunkt Afghanistan (DIR) Schwerpunkt Afghanistan (DIR) Schwerpunkt Afghanistan (DIR) Schwerpunkt Afghanistan (DIR) Schwerpunkt Afghanistan (DIR) IG (DIR) Feinde der Pressefreiheit (DIR) Schwerpunkt Islamistischer Terror (DIR) Schwerpunkt Afghanistan ## ARTIKEL ZUM THEMA (DIR) Protest gegen Taliban in Afghanistan: Erster Widerstand am Hindukusch Am Nationalfeiertag protestieren Afghanen im ganzen Land gegen die Taliban. Auch bewaffnete Gegenwehr formiert sich. Mit einem Gegenpräsidenten. (DIR) Was 2001 und 2021 verbindet: Kein Krieg für die Freiheit US-Präsident George W. Bush begann den Afghanistan-Krieg, um von seinem Versagen abzulenken. Doch auch 20 Jahre später setzen sich Angst und Gewalt fort. (DIR) Afghanistan nach dem Machtwechsel: Die Charmeoffensive Bei der ersten Pressekonferenz nach der Machtübernahme haben sich die Taliban versöhnlich gegeben. Vor allem Frauen haben Zweifel an den Versprechen. (DIR) Der Westen und Afghanistan: Biden verteidigt Abzug der Truppen Joe Biden erklärt, dass das Ziel der Demokratisierung Afghanistans nicht zu erreichen gewesen sei. Die US-Medien reagieren unterschiedlich darauf. (DIR) Afghanistan und der Vietnamkrieg: Als die Konservativen vorangingen Die Eroberung Kabuls durch die Taliban erinnert an das Ende des Vietnamkriegs. Auch damals war die Flucht schwierig – und die Politik heuchlerisch. (DIR) Zweiter Bundeswehrflieger in Kabul: 125 Menschen ausgeflogen Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer verspricht, so viele Menschen wie möglich aus Kabul zu evakuieren. Die Lage am Flughafen bleibt unübersichtlich. (DIR) Die USA und das Afghanistan-Desaster: Biden ist nur konsequent Der US-Präsident hat das Afghanistan-Desaster nicht zu verantworten. Vielmehr beweist er den Mut, eine historische Fehlentscheidung zu korrigieren. (DIR) Taliban übernehmen Afghanistan: Die letzten Tage von Kabul Auf die Machtübernahme der Taliban folgen Chaos und Angst: Plünderungen, Selbstzensur, Angriffe auf Frauen. (DIR) Deutsche Verantwortung in Afghanistan: Unterlassene Hilfeleistung Mit dem Truppenabzug liefern Deutschland und die USA die afghanische Bevölkerung den Taliban aus. Eine sorgfältige Aufarbeitung ist unerlässlich. (DIR) Frauenrechte in Afghanistan: Der Abschied von der Freiheit Malala Maiwand wuchs in einem Afghanistan ohne das Taliban-Regime auf. Vor einem halben Jahr wurde sie ermordet. Sie hinterlässt eine klare Botschaft. (DIR) Vormarsch der Taliban: Die Diplomatie hat versagt Die westlichen Regierungen kümmern sich um die eigenen Leute und Ortskräfte. Nötig wäre ein konzertiertes Vorgehen gegenüber den Taliban und Pakistan. (DIR) Eroberungskrieg der Taliban: Die Schlinge zieht sich zu Die Taliban erobern unaufhaltsam afghanische Provinzen. Menschen auf der Flucht leben in Zelten aus Stöcken und Stoff – und sind auch in Camps nicht sicher.