# taz.de -- Transitmigration in der Pandemie: Lieber Corona als Polizeigewalt
       
       > Die Pandemie erschwert die ohnehin harten Bedingungen in den
       > Flüchtlingscamps in Calais. Infektionen gibt es zum Glück bislang kaum.
       
 (IMG) Bild: Zwei Menschen tragen ein Zelt in einem provisorischen Camp
       
       AMSTERDAM taz | Die elenden Lebensumstände in den Flüchtlingslagern im
       Norden Frankreichs haben sich seit dem Ausbruch des Coronavirus noch einmal
       drastisch verschärft. Deutlich weniger Unterstützer sind vor Ort, was sich
       direkt auf die Versorgungslage niederschlägt.
       
       Gut 1.500 Geflüchtete harren derzeit in mehreren äußerst provisorischen
       Camps im Norden Frankreichs aus; davon etwa zwei Drittel in der Hafenstadt
       Calais, seit jeher das Zentrum für Transitmigranten, die unterwegs nach
       Großbritannien sind. Vor Jahren war das Elendslager „Dschungel von Calais“
       bekannt geworden, das im Jahr 2016 geräumt wurde. Doch ein Ende der
       Ansiedlungen war das nicht.
       
       Die anderen Camps liegen bei Grande-Synthe, einem zwischen Stadt und Hafen
       gelegenen Vorort von Dunkerque. Trotz des deutlich eingeschränkten Verkehrs
       kämen zudem wöchentlich neue Migranten in Calais an, erklärte die
       Hilfsorganisation Auberge des Migrants.
       
       Wegen der Pandemie haben einige Organisation ihre Hilfe aufgegeben: Die
       Refugees Community Kitchen, die in den letzten Jahren fast drei Millionen
       Mahlzeiten in den nordfranzösischen Hotspots verteilte, verkündete Ende
       März „schweren Herzens“, die Hilfe einzustellen – „aus wachsender Besorgnis
       um die Sicherheit unserer Freiwilligen und der Menschen, die wir bekochen.“
       Auch die Organisation La vie active, die im behördlichen Auftrag warme
       Mahlzeiten verteilte, ist coronabedingt nicht aktiv.
       
       ## Helferin: Lokale Busse transportieren keine Flüchtlinge mehr
       
       Maya Konforti, seit Jahren aktiv bei Auberge des Migrants, ist eine der
       verbleibenden Freiwilligen in Calais. Sie berichtet, dass die lokalen
       Organisationen einspringen, um die entstandenen Engpässe abzufedern. Sie
       und ihre Kollegen verteilen nun jede Woche 1.000 Tüten mit Lebensmitteln.
       Der strukturelle Mangel ist damit freilich nicht behoben.
       
       Eine weitere Einschränkung, sei, so Konforti, dass die lokalen Busse
       Geflüchtete aus Angst vor Infektionen nicht mehr transportierten. Dies
       schränkt wiederum die Möglichkeit stark ein, im Notfall in das am Stadtrand
       gelegene Krankenhaus zu gelangen.
       
       Von einer befürchteten Infektionswelle blieben die Niederlassungen in
       Calais und Grande-Synthe bislang verschont. Fünf registrierte
       Corona-Ansteckungen gab es dort im April, die inzwischen geheilt sind. Nach
       Angaben der Behörden waren im April 290 Personen vorübergehend in
       Unterkünften untergebracht worden.
       
       Auch Flüchtlingshelferin Konforti bestätigte, dass die Präfektur mehrere
       hundert Plätze zur Verfügung gestellt habe. Doch viele der Flüchtlinge
       wollten dort nicht bleiben. Dies liegt zum einen daran, dass diese
       Unterkünfte sich zwar in der Region befinden, aber weitab von jeder
       Möglichkeit, [1][per Boot oder LKW England zu erreichen].
       
       ## Das Virus ist nicht die größte Sorge der Gestrandeten
       
       Hinzukommt, dass Corona keineswegs die größte Sorge der am Kanal
       Gestrandeten ist. „Wir sind Geflüchtete, umgeben von vielen Viren“, fasst
       es ein irakischer Kurde zusammen, der lange in einem Camp in Grande-Synthe
       lebte und sich derzeit an einem Ort im Hinterland aufhält. Manchmal scheine
       das Corona-Virus „besser, als von der Polizei geschlagen und beleidigt zu
       werden.“
       
       Polizeigewalt ist eine Konstante – auch während der Pandemie klagen die
       Menschen vor Ort über das Verhalten der Einsatzkräfte. Erst Mitte April
       richtete die „eritreische Gemeinschaft im Dschungel von Calais“ einen Brief
       an die Präfektur. Sie wirft den Beamten „aggressives Vorgehen“ vor, das
       Beleidigungen, Bedrohungen und körperliche Misshandlungen beinhalte: „Sie
       nahmen auch Menschen mit an Orte weit weg von Calais und schlugen sie, bis
       sie das Bewusstsein verloren.“ Eine offizielle Reaktion der Behörden auf
       die Vorwürfe gibt es nicht.
       
       Zudem kommt es weiter zu den ständigen Räumungen der Camps. Sie sind Teil
       des Ansatzes der Behörden, die seit der Zerstörung des weltweit bekannten,
       ursprünglichen Lagers 2016 [2][jede halbwegs permanente Ansiedlung
       unterbinden wollen]. Seit dem Beginn der Ausgangssperre in Frankreich Mitte
       März kam es zu 135 solchen Operationen allein in Calais, bei denen die
       einzelnen Camps jeweils alle 48 Stunden geräumt werden – im vollen
       Bewusstsein dessen, dass sie meist nur wenige Meter weiter wieder
       entstehen.
       
       Ein Vorgehen, das symptomatisch ist für die Transitmigration am Kanal: 2016
       erklärten die lokalen Behörden sie einmal mehr zur Geschichte. In den
       letzten zwei Jahren hat sich die Zahl der Geflüchteten indes verdoppelt.
       
       3 May 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tobias Müller
       
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