# taz.de -- „Umkämpfte Zone“ von Ines Geipel: Keinerlei Hemmungen
       
       > Woher kommt die Wut im Osten? Ines Geipel schreibt über die in Familien
       > fortgelebten Traditionen des Schweigens und Vergessens.
       
 (IMG) Bild: Hinausgewachsen über ihre Begabung als ostdeutsche Zeitzeugin: Ines Geipel
       
       Dieses Buch schmerzt. Es erzählt über den Schmerz, den eine Familie
       erleidet. „Umkämpfte Zone“, das neue Buch von Ines Geipel, fügt aber auch
       Schmerzen zu. In dem Band über „Meinen Bruder, den Osten und den Hass“ wird
       das Unterste der Familie Geipel zuoberst gekehrt. All die Angst und der
       Hass und die Traumata, die die Geipels durch das 20. Jahrhundert hinüber in
       das unsere mitschleppen und die sie knebeln. In „Umkämpfte Zone“ wird das
       Nichtgesagte bloßgelegt und anschließend besprochen wie eine klaffende
       Wunde.
       
       Auf 377 Seiten geht Ines Geipel der Frage nach, was das Leben in zwei
       aufeinander folgenden Diktaturen mit den Menschen darin macht – und in
       welcher Weise die Erfahrung des Verschweigens, Beschönigens und der banalen
       Lügen im Osten bis heute politisch fortwirken. Im Jahr 2019 hat das Thema
       Ostdeutschland wieder mal Konjunktur, weil der Ossi sicher geglaubte
       demokratische Standards zu schrotten droht. Was stimmt nicht mit manchen
       dort, fragen sich viele. Geipel unternimmt den Versuch einer Antwort. Und
       diese Antwort, sie schmerzt.
       
       Zu Beginn ihrer Erzählung eilt Geipel an das Krankenbett ihres Bruders
       Robert. Der sechs Jahre Jüngere ist an einem Tumor erkrankt, er wird
       sterben. Nun bittet er seine große Schwester Ines, sie solle „darüber
       schreiben“. Schon in diesem wenig Konkreten „Darüber“ deutet sich die
       verdrängte Geschichte der Familie an. Geipels Eltern, Mitte der dreißiger
       Jahre geboren und in Nazifamilien aufgewachsen, gehören nach Kriegsende der
       Aufbaugeneration der DDR an. Der Faschismus wird als überwunden erklärt,
       der Sozialismus ist die neue Ideologie. Die Eltern werden von Kriegskindern
       zu gesellschaftlichen Aufsteigern.
       
       Geipels Vater, ein musischer Mensch, verpflichtet sich in den siebziger
       Jahren der Stasi. Er wird als Agent geschult, pendelt zwischen Ost und
       West, spioniert Opfer, Tatorte aus. Seine Vorgesetzten attestieren ihm
       „keinerlei Hemmungen“. Daheim, in der großbürgerlichen Dresdner Wohnung,
       gründet er sein eigenes Überwachungssystem. Er misshandelt seine Kinder,
       verbreitet Angst und Schrecken, wendet im Privaten an, was er im
       Politischen gelernt hat. „Unsere Kindheit war eine Kindheit im Terror“,
       schreibt Ines Geipel. „Wir waren seine Stechpuppen, seine
       Trainingsobjekte.“
       
       ## Beschönigen und lügen
       
       Bei allem Horror ist „Umkämpfte Zone“ grandios geschrieben. Ines Geipel,
       Jahrgang 1960, ist eine Meisterin der Sprache. Sie ist künstlerisch längst
       hinausgewachsen über ihre zweifellos große Begabung als bloße ostdeutsche
       Zeitzeugin. Einst Leistungssportlerin und [1][Opfer der DDR-Dopingpolitik],
       hat sie nach ihrer Flucht in den Westen Philosophie und Soziologie
       studiert; heute ist sie Professorin für Verskunst an der Berliner
       Schauspielschule „Ernst Busch“. Ihr Umgang mit Sprache und Dramaturgie ist
       entsprechend virtuos.
       
       Zugleich ist Ines Geipels Schreibe derart soghaft, dass die Leserin immer
       mal wieder stockt, um sich zu fragen: Wie kommt sie jetzt darauf? Warum
       geht es plötzlich nahtlos aus den Siebzigern zurück in die Gründungszeit
       der DDR? Wie kommt sie darauf, den Terror, den ihr Vater verbreitet, mit
       den Stalin’schen Säuberungen unter den aus der sowjetischen Emigration
       zurückgekehrten Kommunisten zu verbinden? Oder ihre eigene Jugendweihe auf
       dem Gelände des Konzentrationslagers Buchenwald Mitte der siebziger Jahre
       kurzzuschließen mit dem nach dem Mauerfall öffentlich gewordenen
       Kapo-System der kommunistischen KZ-Häftlinge?
       
       Ines Geipel tut, was Opfern zusteht: Sie setzt sich ins direkte Verhältnis
       zur Geschichte und macht sie zu ihrer. Sie trägt Schmerz, erträgt Schmerz.
       Ihr Buch über die Kontinuität von Gewalterfahrungen erzählt davon auf
       eindrucksvolle Weise.
       
       5 Apr 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Ines-Geipel-ueber-Olympia-in-Hamburg/!5252288
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anja Maier
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Ostdeutschland
 (DIR) DDR
 (DIR) Rezension
 (DIR) Doping im Spitzensport
 (DIR) Vergangenheit
 (DIR) Stasi
 (DIR) DDR
 (DIR) Rechtsradikalismus
 (DIR) Doping
 (DIR) DDR
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Stasi-Mitarbeit und Beruf: Prüfungen länger als geplant
       
       Die Große Koalition will bis 2030 bei BewerberInnen für den öffentlichen
       Dienst überprüfen, ob sie eine Stasi-Vergangenheit haben.
       
 (DIR) Vor 30 Jahren fiel der Eiserne Vorhang: Reise nach Süden
       
       Hendrik Voigtländer will 1988 die DDR verlassen und glaubt, über Bulgarien
       sei das einfach. Stoyan Todorov ist Grenzschützer und soll das verhindern.
       
 (DIR) Buchmesse Leipzig 2019: Was für ein schrecklicher Satz
       
       Viele Veranstaltungen auf der Buchmesse befassen sich mit dem Thema
       Ostdeutschland. Das hat auch mit dem 30. Jubiläumsjahr des Mauerfalls zu
       tun.
       
 (DIR) Gesetz zur Dopingopferhilfe: Betrüger oder nur Betrogene?
       
       Anti-Doping-Aktivisten kämpfen gegen das Dopingopferhilfegesetz. Ein
       früherer DDR-Zehnkämpfer will sich entschädigen lassen.
       
 (DIR) Museum im alten Trainingsbunker: Vergessenes Staatsgeheimnis
       
       Die DDR ließ unter dem heutigen Olympia-Trainingszentrum Kienbaum eine
       Unterdruckkammer errichten. Heute kann man sie auf Anfrage besichtigen.