# taz.de -- Umverteilen-Demo in Berlin: Links bewegt sich wieder was
       
       > Dem bislang größten linken Krisenprotest des Herbstes gelingt etwas
       > entscheidendes: der gemeinsame Fokus auf das Ziel der Umverteilung des
       > Reichtums.
       
 (IMG) Bild: Thematische Einigkeit: Umverteilen-Demo in Berlin
       
       BERLIN taz | Die Gesundheit dürfe nicht nach Profitlogik organisiert und
       Krankenhäuser müssten aus den Fängen privater Konzerne zurückgeholt werden
       – so die Forderungen im Demoblock der Krankenhausbewegung. Etwas weiter
       vorne im Demonstrationszug [1][wird DW Enteignen nicht müde, eine „massive
       Senkung“ der Mieten und Nebenkosten einzufordern]. Die gestiegenen Preise
       für Nahrungsmittel, die „subventioniert“ gehören, wie es gelegentlich
       heißt, lassen andere von „Döner-Riots“ träumen. Und der Block der
       Klimabewegung fordert, die „richtige Kohle“ abzubaggern, etwa um den
       Umstieg auf erneuerbare Energien viel schneller voran zu treiben.
       
       Allen skizzierten Problemen und Anliegen ist dabei eines gemein: Sie
       benötigen Geld. Nur konsequent ist es daher, dass die Bewegungslinke der
       Stadt in einem Bündnis aus mehr als 50 Gruppen am Samstag gemeinsam auf die
       Straße gegangen ist, vereint hinter der Parole: „[2][Umverteilen]. Von oben
       nach unten.“
       
       [3][7.000 Menschen] schlossen sich der Demonstration durch Mitte,
       organisiert vom neu gegründeten Umverteilen-Bündnis an, mehr als bei jedem
       linken Sozialprotest zuvor in diesem [4][bislang gar nicht „heißen“
       Herbst]. Es sind so viele, dass der Zug, als er die Humboldt-Universität
       Unter den Linden erreicht, bis zum Platz vor dem Roten Rathaus
       zurückreicht. Nur noch selten, außerhalb vom 1. Mai, gelingt es der Linken
       mit so vielen Menschen aufzutreten.
       
       Die Zahl alleine ist für die Szene ein Lebenszeichen, wichtiger aber ist,
       die Formulierung, ja Wiederentdeckung des eigentlich Selbstverständlichen:
       Es gibt eine Verbindung fast aller, oft vereinzelt geführter emanzipativer
       Kämpfe. Es gibt die gemeinsame Notwendigkeit veränderter ökonomischer
       Bedingungen.
       
       ## Basis fehlt
       
       Viel zu lange hat die Linke diese Analyse und gemeinsamen Bezugspunkt links
       liegen gelassen, und darüber auch ihren Kontakt zu den Menschen verloren,
       die als Ausgebeutete und Sich-Abstrampelnde im kapitalistischen System
       Sympathien für die Ideale von sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit haben
       müssten. „Die Linke weiß, dass ihr die soziale Basis fehlt“, sagt ohne jede
       Umschweife eine der Pressesprecherinnen des Bündnisses im Gespräch mit der
       taz.
       
       Die Demo hat daran zunächst nichts geändert. Denn die „werktätigen Massen“,
       wie sie einmal hießen, sind trotz der allenthalben großen Sorgen angesichts
       von allgemeiner Inflation und Energiepreisschock im speziellen, eben nicht
       en masse erschienen.
       
       Schon die Dichte an Fahnen und Schildern verriet, dass die bereits
       Organisierten hier die Oberhand hatten. Dennoch, zumindest das Zeichen ist
       gesetzt: Dass die gesellschaftliche Linke sich um die Alltagssorgen der
       Menschen kümmert und Angebote schafft, gegen die Ängste vor der sich
       verschlechternden ökonomischen Situation zu protestieren. Ein Angebot
       gleichwohl, dass die Schuldigen dafür nicht in geheimen elitären
       Führungszirkeln noch bei den noch Schwächeren verortet, im Gegensatz zu
       Verschwörungsideolog:innen oder AfD also echte Lösungsansätze bietet.
       
       ## Wege aus der Krise
       
       Und es passiert mehr: Das Krisenbündnis [5][Genug ist Genug], das sich
       ebenfalls angeschlossen hatte, setzt seinen Fokus auf eine Verbindung mit
       Gewerkschaftskämpfen. Andere, eher anarchistische, aber um breite
       Organisation bemühte Linke, setzen auf die Basisarbeit und Ansprechbarkeit
       im Alltag. Erstaunliche 100 Nachbar:innen folgten etwa im Vorfeld der
       Demo einer Kiezversammlung in Lichtenberg.
       
       Alleine ist die Linke mit ihrem wiedererlangten Fokus auf eine Umverteilung
       des Reichtums dabei keineswegs. Selbst der Internationale Währungsfonds
       oder die [6][Wirtschaftsweisen] hatten sich zuletzt dafür ausgesprochen,
       die Reichen in die Pflicht zu nehmen, um ein weiteres Auseinanderdriften
       der Gesellschaft zu verhindern. Nur Finanzminister Christian Linder (FDP)
       sieht sich immer noch als Verteidiger der Privilegiertesten.
       
       Die Forderung „tax the rich“ fand sich dann fast folgerichtig am alten
       Gemäuer des Bundesfinanzministeriums wieder. Drei Farbkleckse auf dem
       Willy-Brandt-Haus, der SPD-Parteizentrale, kamen kurz vor dem Abschluss der
       Demo noch dazu – ein radikaler Gestus, letztlich wohl weniger abschreckend
       als ein hermetisch abgeriegelter, vorweglaufender Block einiger
       antiimperialistischer Linker, der mit einseitiger Anti-Nato-Rhetorik oder
       positiver Bezugnahme auf die palästinensische Intifada letztlich das Ziel
       der Anschlussfähigkeit an die Menschen, um deren Sorgen es gehen sollte,
       verfehlte.
       
       Doch das Bild der Demo bestimmte das nicht. Andere Unannehmlichkeiten,
       Teilnehmer:innen aus rechter Verschwörerecke, eine Verklärung Russlands
       oder die Illusion, die Öffnung der Nord-Stream-Pipelines wäre ein
       zukunftsweisender Schritt, blieben dem Bündnis gänzlich erspart. Fragen
       muss sich das Mosaik der Bewegungslinken jedoch: Wo in der thematischen
       Blockstruktur ist eigentlich Platz für jene Unorganisierten, die man
       eigentlich gewinnen will?
       
       „Die Hoffnung ist, dass es mit dem Bündnis weitergeht“, formulierte deren
       Sprecherin am Samstag noch zurückhaltend. Die Bilanz und die Aufgaben
       dieser Demonstration dürften einige Argumente für eine Fortsetzung liefern.
       Wie hieß es doch im Aufruf: „Jeder Tariflohn, das Renten- und
       Gesundheitssystem und alle sozialen Verbesserungen der Vergangenheit wurden
       von unten erkämpft.“ Es bleibt viel zu tun.
       
       13 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Heizkostenabrechnung-auf-dem-Pruefstand/!5889400
 (DIR) [2] https://www.umverteilen.jetzt/de/
 (DIR) [3] /Demo-gegen-Krisenpolitik-in-Berlin/!5894625
 (DIR) [4] /Zur-gegenwaertigen-Schwaeche-der-Linken/!5884269
 (DIR) [5] /Sozialproteste-in-Berlin/!5876518
 (DIR) [6] /Vorschlag-der-Wirtschaftsweisen/!5890468
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Erik Peter
       
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