# taz.de -- Vor dem Gruppenfinale der Ukraine: Ohne Generator kein Tor
       
       > Spiele der Ukraine in der Kneipe zu verfolgen, ist in Kyjiw alles andere
       > als einfach. Auch wegen der Auftaktpleite ist die Stimmung eher mau.
       
 (IMG) Bild: Bange Blicke: ein ukrainischer Fan mit Flagge beim Fußballschauen vor einer Bar in Kyjiw
       
       KYJIW taz | Man kann die Erleichterung in Kyjiw fast körperlich spüren.
       Zehn Minuten nach der Halbzeit schießt [1][Mykola Schaparenko] für die
       Ukraine den Ausgleich gegen die Slowakei. Im Sunduk Pub nicht weit vom
       Maidan reißen die Zuschauer die Arme hoch. Es wird gejubelt und sich
       abgeklatscht. Bis dahin hatten sie auch einiges zu ertragen: wenig
       Bewegung, Fehlpässe und verlorene Zweikämpfe. Aber immerhin der Einsatz
       stimmte und in der zweiten Hälfte gewann ihre Mannschaft die Oberhand.
       
       Wer die Spiele der Europameisterschaft in der Ukraine nicht zu Hause oder
       auf dem Handy schauen will, sondern in Gesellschaft, muss bisweilen eine
       Art Schnitzeljagd absolvieren. Public Viewing wie bei vorangegangenen
       Turnieren gibt es wegen der Gefahr durch Luftangriffe nicht. Das Zentrum
       von Kyjiw bietet zwar reichlich Bars, die das ganze Jahr über Fußball
       zeigen. [2][Doch die Stromsperren machen ihnen zu schaffen]. Seit Russland
       im Frühjahr mit mehreren Raketenangriffen rund die Hälfte der ukrainischen
       Stromerzeugung zerstört hat, gibt es täglich mehr oder weniger geplante
       Blackouts.
       
       Vor dem zweiten Gruppenspiel steht am Nachmittag eine Gruppe Zigarette
       rauchender Männer vor dem Eingang vom Pivna Duma (Bier Haus) und starrt auf
       ihre Smartphones. Die Lokale der Kette bieten neben dem namensgebenden
       Getränk auch allerlei Gegrilltes und zahlreiche Flachbildschirme.
       Eigentlich eine sichere Sache für Fußballfans. Doch Kellnerin Wika
       schüttelt den Kopf. Das Wifi sei kaputt und alle Bildschirme ausgefallen.
       
       Ein paar Straßen weiter haben sich neben Einheimischen auch viele
       englischsprachige Gäste im O’Brians Pub versammelt. Alle Tische sind
       besetzt, nur am Tresen finden sich ein paar freie Hocker. Doch der Mann am
       Zapfhahn warnt: „Zur zweiten Hälfte beginnt die nächste Stromsperre.“ Und
       einen Generator habe man nicht. Die Halbzeit reicht gerade aus, um das
       Lokal zu wechseln. Der Sunduk Pub hat nicht nur Weißbier, sondern auch
       Strom und freie Plätze im Hinterzimmer.
       
       ## Kaum Zeit für Fußball
       
       Am Ende gewinnt die Ukraine das Spiel gegen die Slowakei noch mit 2:1.
       Roman Jaremtschuk hatte kurz vor Schluss einen langen Pass von Schaparenko
       in vollem Lauf gefühlvoll angenommen und am slowakischen Torhüter
       vorbeigeschoben. Nach einer starken zweiten Hälfte ein durchaus gerechtes
       Ergebnis. Doch der Jubel fällt kurz aus. Die meisten Gäste zahlen rasch
       ihre Rechnungen und verschwinden.
       
       Fußballfan Vasja erzählt, dass er früher immer zu den Heimspielen von
       Dynamo Kyjiw gegangen sei. Aber der Krieg überschatte eben alles. „Entweder
       arbeite ich oder leiste humanitäre Hilfe.“ Da bleibe nicht viel Zeit. Bei
       der EM versuche er aber wenigstens die Spiele der ukrainischen Mannschaft
       anzusehen. Glücklicherweise sei das entscheidende dritte Gruppenspiel gegen
       Belgien am Mittwoch für 19 Uhr Ortszeit angesetzt. Die späten Spiele enden
       zu nah an der Ausgangssperre, dass man nicht mehr nach Hause käme. Die
       meisten Lokale zeigen, wenn überhaupt, nur die erste Halbzeit.
       
       Dass keine Euphorie aufkommt, liegt allerdings auch am enttäuschenden
       Ergebnis des ersten Gruppenspiels gegen Rumänien. 0:3 unterlag die
       ukrainische Auswahl der Mannschaft des Nachbarlandes in München. Dabei war
       man streckenweise feldüberlegen. Doch aus dem Ballbesitz sprang nichts
       Zählbares heraus. Bei den Rumänen saß hingegen jeder Schuss. Zumal auch
       Torhüter Andrij Lunin von Real Madrid keine gute Figur machte und folglich
       im zweiten Gruppenspiel für Anatolij Trubin weichen musste. Nach dem
       Rückstand kam kein Aufbäumen.
       
       Auf dem Papier ist diese Auswahl wahrscheinlich die beste, die die Ukraine
       jemals zu einem Turnier geschickt hat. [3][Zahlreiche Spieler stehen bei
       europäischen Topklubs unter Vertrag]: Da ist Oleksandr Sintschenko vom FC
       Arsenal. Artem Dowbyk vom spanischen Ligadritten Girona ist dort
       Torschützenkönig geworden. Und der schnelle Flügelstürmer Mychajlo Mudryk
       gilt als kommender Star und war vor einem Jahr für 100 Millionen Euro
       Ablösesumme zum FC Chelsea gewechselt. Dazu kommt noch eine Handvoll
       Spieler von Shachtar Donezk mit reichlich Erfahrung in der Champions
       League.
       
       Menschen in Fußballtrikots sieht man vergleichsweise selten auf den Straßen
       der Hauptstadt. Nur an den Rolltreppen der U-Bahn hängen Plakate mit
       Porträtfotos der Nationalspieler und dem Slogan „Du kannst es“. Ob es die
       Ukraine auch gegen Belgien kann, ist sich Vasja nicht sicher. „Die sind
       schon sehr gut und brauchen auch einen Sieg“, sagt er über den Gegner. Aber
       auch die Ukraine sei immer für eine Überraschung gut.
       
       26 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marco Zschieck
       
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