# taz.de -- Vor der Parlamentswahl in Frankreich: Macronisten gegen Macronisten
       
       > Nicht allen loyalen Mitstreitern erweist die Partei von Frankreichs
       > Präsident Emmanuel Macron Anerkennung. Ihren Ex-Fraktionschef lässt sie
       > im Stich.
       
 (IMG) Bild: Gilles Le Gendre in der Nationalversammlung 2023
       
       PARIS taz | Die [1][durch die EU-Wahlniederlage ausgelöste Krise des
       Macronismus] hat viele Namen. Einer davon ist [2][Gilles Le Gendre]. Der
       heute 66-jährige ehemalige Journalist und Unternehmensberater war von
       Beginn an mit dabei, als Emmanuel Macron 2016 seine Bewegung „En marche“
       startete. Er hatte damals politisches Flair, denn 2017 wurde er im Pariser
       Wahlkreis des Quartier Latin als Abgeordneter der neuen Mittepartei „La
       République en marche“ (LREM) gewählt. In der Nationalversammlung erhielt er
       2018 als Fraktionschef von LREM einen wichtigen Posten.
       
       Le Gendres Rolle als Fraktionschef bis 2020 bestand dann allerdings vor
       allem darin, die Politik der Regierung und des Präsidenten absegnen zu
       lassen. Das fiel ihm nicht besonders schwer, er gilt als Liberaler, der
       sich „wirtschaftspolitisch eher rechts, in Kultur- und Gesellschaftsfragen
       eher links und darum bei Wahlen etwas schizophren“ fühlte, bis er auf
       Emmanuel Macron und dessen Devise „links und auch rechts und in der Mitte“
       stieß.
       
       Sieben Jahre später verteilt Le Gendre wieder seine Wahlflugblätter auf der
       Rue Cler im 7. Stadtarrondissement mit ihren Cafés und Delikatessenläden.
       Er kandidiert erneut für seinen Pariser Wahlkreis. Doch im Unterschied zu
       2017 und 2022 ist er ernüchtert. Dieses Mal ist er „Dissident“, denn er
       wurde nicht von seiner Partei, die jetzt Renaissance heißt, eingesetzt. Die
       hat sich für einen anderen Kandidaten entschieden, ein bisheriges Mitglied
       der konservativen Partei Les Républicains (LR), der im Pariser Stadtrat in
       der oppositionellen Fraktion von [3][Rachida Dati] saß. Macron hat Dati
       (Ex-LR) vor Kurzem zur Kulturministerin ernannt. Sie setzte durch, dass ihr
       engster Mitarbeiter Jean Laussucq für die Macronisten antritt – und nicht
       Le Gendre. Der musste selbst herausfinden, dass er nicht nominiert wurde.
       
       Wahrscheinlich hat er den Preis für eine Majestätsbeleidigung bezahlt, weil
       er in der Zeitung Le Monde die Auflösung der Nationalversammlung durch
       Macron als „unsinnig“ und als „unnötiges Risiko“ kritisiert hatte. Die für
       die Wähler*innen offensichtlichen Intrigen hinter den Kulissen der Macht
       haben Le Gendre aber nicht davon abgehalten, ohne offiziellen Segen und in
       Konkurrenz zum LR-Renaissence-Kandidaten als Parteiloser und im Namen der
       „Mehrheit des Präsidenten“ anzutreten. Das steht so auf seinem Flugblatt,
       auf dem dieses Mal nicht das Foto des Staatschefs als Referenz abgebildet
       ist.
       
       ## Prominente Opfer
       
       Über Macron will Le Gendre nichts Böses sagen, auch wenn er weiß, wo die
       Ränke gegen ihn geschmiedet wurden. „Ich denke, das wurde zwischen Dati,
       der Parteiführung und vielleicht dem Staatspräsidenten abgemacht“, sagt er.
       Datis einziges Interesse und Plan sei, schließlich als Gegnerin von Anne
       Hidalgo Pariser Bürgermeisterin zu werden. „Als Madame Dati zu uns
       (Renaissance) kam, sollte das uns stärken. Doch das Erste, was sie bei
       dieser so enorm wichtigen Wahl (der Abgeordneten) unternahm, war es,
       Zwietracht in unserem Wahlkreis zu säen“, sagt Le Gendre.
       
       Im Hintergrund versuchen die Parteiführungen von Les Républicains und
       Renaissance, ein paar Grundsteine für eine zukünftig engere Zusammenarbeit
       oder gar formelle Koalition an der Regierung oder in der Opposition zu
       legen.
       
       Das erfordert auch prominente Opfer. Le Gendre ist nur ein Beispiel für die
       Verwirrung und den oft deprimierten Fatalismus, der seit dem 9. Juni bis
       hinein in die loyalsten Kreise der Macronisten herrscht, nachdem der
       Präsident ohne jegliche Vorwarnung oder Diskussion mit ihnen die Neuwahlen
       angeordnet hatte. Er kann indes hoffen, dass ausgerechnet der Dolchstoß
       seiner Ex-Partei ihn für den Fall eines zweiten Wahlgangs gegen die
       rechtspopulistische Kandidatin für die gegen Macron aufgebrachten
       Linkswähler akzeptabel macht.
       
       28 Jun 2024
       
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