# taz.de -- Vorwurf der Wokeness: Zwischen den Stühlen
       
       > Fynn Kliemann schimpft angriffslustig über die „woke Szene“. Damit ist er
       > nicht allein. Aber was meint er eigentlich?
       
 (IMG) Bild: Traurig, weil nicht alle seine Entschuldigung akzeptieren? Influencer Fynn Kliemann
       
       Im Streit mit Springer-Chef Mathias Döpfner, der einen „transskeptischen“
       (im Sinne von „wahrheitsskeptischen“) [1][Artikel in der Welt] überraschend
       klar verurteilt, hat Bild-Redakteurin Judith Sevinç Basad bei ihrem
       Herzensblatt gekündigt. Die Bild-Zeitung ist ihr nun zu links, so wie es ja
       auch Menschen gibt, denen Wasser zu trocken ist. Man verweigere ihr, wofür
       sie „seit Jahren mit vollem Idealismus kämpfe: vor den Gefahren des woken
       Aktivismus zu warnen“.
       
       Das „Woke“, so legt der Kontext nah, ist per se ein Übel, das mit offenem
       Visier und heißem Herzen bekämpft werden muss. So beklagt auch der
       [2][Influencer Fynn Kliemann], dass ein „Teil der linken, woken Szene“
       seine Entschuldigung für Unregelmäßigkeiten bei einem Maskendeal nicht
       ausreichend akzeptiere, während d[3][er Frankfurter Fußballprofi Martin
       Hinteregger], wegen eines rechtsextremen Unterstützers des von ihm
       organisierten Fußballturniers in die Kritik geraten, von einer „medialen
       Hetzjagd“ spricht: Wokigall, ick hör dir trapsen.
       
       Doch was ist eigentlich dieses „Woke“, von dem nun alle reden? Der Puls der
       Zeit schlägt oft sehr leise. Deshalb hat auch der Autor dieser Zeilen das
       Wort eine Spur zu lange strapaziert. Dabei war es da schon vergiftet als
       höhnischer Kampfbegriff von liberal bis rechts, eine negative
       Bedeutungsentwicklung ähnlich der des „Gutmenschen“. Dabei bedeutet
       [4][„woke“ laut Duden] nur: „In hohem Maß politisch wach und engagiert
       gegen (insbesondere rassistische, sexistische, soziale) Diskriminierung.“
       
       ## Lieber bloke als woke
       
       Doch die Kritisierenden sehen sich offenbar lieber als verschnarchte
       Schlechtmenschen. Mit der Attitüde 15-jähriger Bushäuschenentglaser lehnen
       sie Rücksicht und („aaahh, nicht das Wort!“) „Achtsamkeit“ als irgendwie
       weich, wessihaft, verlogen, unmaskulin etc. ab. Man fühlt sich einfach
       wohler bei den Coolen in der Raucherecke. Bewusstsein ist doch für
       Langweiler, lieber bloke als woke.
       
       Ich hätte es eher merken müssen; spätestens, als der Klang des Wortes auch
       in meinem Kopf anfing, in leicht ironischem Unterton zu schwingen, denn für
       mein Alter bin ich zwar, was korrekte Sprache betrifft, noch ansatzweise
       gutwillig unterwegs, und doch fühle ich mich oft wie zwischen den Stühlen
       sitzend: Hier die alternden Peers mit ihrer durchschaubaren männlichen
       Grundgekränktheit, bei denen ich mir oft wünschte, dass sie sich über
       wichtige Themen, von denen sie sich persönlich weniger betroffen fühlen,
       quantitativ und qualitativ ähnlich echauffieren könnten wie zum Beispiel
       über Gendersprache.
       
       Oder dort die Leute von FFF Hannover, die wie schlecht entnazifizierte
       Lateinlehrer in den 1960er-Jahren einer Frau mit Dreadlocks empfehlen, sich
       erst mal die Haare zu schneiden, bevor sie wieder zum Unterricht erscheinen
       darf.
       
       ## Ein Traum von Marschmusik
       
       Es gibt noch viele Beispiele mehr. Doch die anzuführen bringt nichts, weil
       die Grenze zwischen (vermeintlichem) Auswuchs und berechtigter Sensibilität
       sowieso jede für sich selbst ziehen muss. Und da spielt so viel eine Rolle:
       Geschmack, Sozialisation, Alter, Blödheit. Eine pauschale Verdammung
       diskriminierungskritischer und emanzipativer Denkweisen und Diskurse
       aufgrund als absurd empfundener Extrempositionen ist dennoch hochmütiger
       und bequemer Scheiß.
       
       „Eine der extremen Auswüchse (des Kulturkampfs; d. A.) wird ‚Woke‘
       genannt“, schreibt Esther Bockwyt in ihrem Gastkommentar „Woke-Kultur –
       eine zwanghafte Einengung“ in der rechtskonservativen NZZ. Demnach gibt es
       also keine Auswüchse „woker“ Denkweisen, sondern das „Woke“ an sich ist
       bereits der Auswuchs. Bald spielt sicher wieder überall Marschmusik.
       
       20 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
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