# taz.de -- Wahlen in Frankreich: Mélenchon – der lachende Dritte?
       
       > Bei der Präsidentschaftswahl schied der linke Politiker Jean-Luc
       > Mélenchon in der ersten Runde aus. Nun will er die Parlamentswahlen im
       > Juni gewinnen.
       
 (IMG) Bild: Der Linke Mélenchon findet seine Wählerschaft auch bei den Social Media affinen jungen Franzosen
       
       PARIS taz | Dieser Mann provoziert ausgiebig und gerne bis an die
       Schmerzgrenze des Sagbaren. Ob Emmanuel Macron Präsident würde oder Marine
       Le Pen, das sei auch schon „fast egal“, ließ der 70-jährige Vorsitzende der
       radikallinken Partei La France insoumise (LFI), zu Deutsch „Das unbeugsame
       Frankreich“, kurz vor der Stichwahl am Sonntag noch verlauten. Denn wenn er
       erst mal nach den nun folgenden Parlamentswahlen Mitte Juni Premierminister
       einer von ihm angeführten Regierung sei und die Mehrheit in der Assemblée
       nationale habe, der ersten Kammer des Parlaments, dann sei sie möglich,
       „die andere Zukunft“, so das Motto seines Wahlprogramms. So einfach, wie
       Mélenchon, der eigentlich nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen
       angedeutet hatte, sich aus der Politik zurückzuziehen, seine Zukunft rosig
       und machtvoll sieht, ist die Chose aber nicht. 
       
       Im Gegenteil: [1][Der wiedergewählte Macron von der Mitte-rechts-Bewegung
       La République en Marche] (LREM) ernennt laut Verfassung den oder die
       Premier. Er ernennt auch die Minister:innen auf Vorschlag des Premiers.
       Nur wenn Mélenchon und die eher links stehenden Parteien – angefangen von
       den sich als uneinig präsentierenden Grünen über die Kommunisten und die
       Sozialisten, die jeweils unterirdische Ergebnisse in der ersten Runde
       einfuhren – zusammen eine absolute Mehrheit bei den Wahlen im Juni holen
       sollten, würde Macron sich wohl auf eine sogenannte Kohabitation einlassen
       müssen, eine Art politischer Zwangsehe.
       
       Jean-Luc Mélenchon weiß, auch wenn er das öffentlich nie zugeben würde,
       dass die Parlamentswahlen, die seit Montag hier das Medienthema Nummer eins
       sind, keinesfalls schon für ihn und seine sich euphorisch präsentierende
       LFI gewonnen sind. Derzeit hat seine Partei gerade mal 17 von 577
       Abgeordnetensitzen und noch nicht einmal Fraktionsstatus, den gibt es erst
       bei 30 Sitzen. „Eine andere Zukunft ist möglich“: Mélenchon erreicht mit
       Forderungen wie nach einer Rente ab 60 Jahren, einem monatlichen
       Mindestlohn von 1.800 Euro, staatlich gedeckelten Preisen bei Energie und
       Grundnahrungsmitteln und einem Ausstieg aus der Atomkraft eine durchaus
       heterogene linke Wählerschaft in Frankreich. Antifaschistische, sozial und
       emanzipativ eingestellte junge Menschen, besonders Studierende aus den
       Großstädten und sozial schwache Einwanderer mit französischem Pass aus den
       Vorstädten, aber auch Teile der Ex-Gelbwestenbewegung und der
       Arbeiterschaft folgen ihm. Durchaus kritisch aber wenig in der öffentlichen
       Debatte hörbar sieht ein Teil von Mélenchons Sympathisant:innen die
       von ihm rigoros vertretene Linie des Nato-Austritts. Für Frankreich sieht
       er andere Allianzen, etwa nach dem Vorbild der Bolivarianischen Allianz für
       Amerika, die einst Venezuela und Kuba gründete. Außerdem hatte er im
       Wahlkampf für einen Ausstieg aus den EU-Verträgen und die Abschaffung des
       EU-Haushaltes geworben.
       
       Stark polarisiert der stets mit persönlicher Verve und spürbar lustvoll
       aneckende Politiker, der herausragend redet und durchschlagende Züge eines
       Volkstribuns besitzt. Ein saftiges Zitat von Mélenchon: „Der Rest der
       Linken will jetzt aus mir einen Diktator machen, aber ich habe keine Zeit,
       diktatorisch zu sein.“ Viele links denkende Menschen, die für ihn im ersten
       Wahlgang am 10. April stimmten, taten dies statistisch belegt nicht aus
       Überzeugung, [2][sondern nur um die rechtsextreme Le Pen] auszubremsen und
       zu verhindern. Ob diese Wählerschaft seine Partei LFI im Juni wählt, ist
       keine ausgemachte Sache. Vielmehr sieht es derzeit nach einer relativ
       zersplitterten Nationalversammlung aus, die „die wahren politischen
       Kräfteverhältnisse in der französischen Gesellschaft nicht widerspiegeln
       wird“, wie der Leiter des Meinungsforschungsinstituts Ifop, Jérôme
       Fourquet, in Le Figaro zuletzt prophezeite. Und die das Regieren für
       Präsident wie Premier und Team höchst diffizil machen wird.
       
       ## Mit persönlicher Verve und spürbar lustvoll aneckend
       
       Mélenchon, dem nur rund 420.000 Stimmen fehlten, um in die Stichwahl gegen
       Macron zu gehen, und der 2008 aus dem PS, der sozialistischen Partei, unter
       viel Protest und Getöse ausgeschieden war, hat nun Bedingungen gestellt.
       Für ihn kommt eine linke Mehrheit in Zukunft nur zustande, wenn die anderen
       eher links stehenden Gruppierungen das politische Programm von LFI eins zu
       eins übernehmen. Und die traditionell 577 Abgeordnetenwahlkreise, so will
       es der sich als Königsmacher Gebende, sollen prozentual zu den jeweiligen
       Ergebnissen des ersten Präsidentschaftsdurchlaufs vergeben werden.
       Erwartbar stößt seine kompromisslose Haltung bis jetzt nur sporadisch auf
       Gegenliebe beim Rest der Linken. Wie umgehen mit Mélenchon und kann es
       unter diesen schwierigen Umständen eine gemeinsame linke Liste für die
       Parlamentswahlen im Juni geben? Mit dieser Frage schlagen sich seit Montag
       die Parteigremien von Kommunisten, Grünen und den Sozialisten herum.
       
       Eine sichere Bank für den stets Krawatte tragenden Granden der Ultralinken,
       der sich regelmäßig als „Albtraum der französischen Eliten“ bezeichnet,
       sind seine treuen und sehr jungen Fans auf den sozialen Medien. Mélenchon
       hat früh erkannt, welches Werbe- und Furorpotenzial zum Beispiel bei Tiktok
       liegt. Hier folgen ihm knapp zwei Millionen Follower, eine
       Dreiviertelmillion sind es auf Youtube. „Die dritte Runde der Wahlen in
       Frankreich hat begonnen“, so lautet nicht nur dort Mélenchons Losung. Auf
       Tiktok, wo er letztens als Manga-Hero unterwegs war, hat jetzt ein
       Siebensekundenspot von ihm in 24 Stunden drei Millionen Aufrufe erzielt.
       Mélenchon rappt dort sinngemäß zu der Zeile: „Wenn alle glauben, dass es
       vorbei ist, pah, dann lasse ich sie voll durchrasseln.“
       
       25 Apr 2022
       
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