# taz.de -- Wahlsieg der Sozialisten in Portugal: Von Costa lernen
       
       > In Portugal hat António Costa die Wahlen gewonnen – mit
       > sozialdemokratischer Politik. Davon können die deutschen Genossen nur
       > träumen.
       
 (IMG) Bild: Wahlgewinner António Costa am 6. Oktober
       
       Egal wo man hinschaut, ob nach Deutschland, nach Frankreich, nach
       Österreich, nach Griechenland … in ganz Europa steckt die Sozialdemokratie
       in einer tiefen Krise.
       
       Nein, nicht in ganz Europa. Ein kleines Land ganz im Südwesten der Union
       macht vor, dass es auch anders geht. In Portugal hat die Sozialistische
       Partei (PS) unter Premierminister António Costa bei den Parlamentswahlen am
       Sonntag die [1][absolute Mehrheit nur knapp verfehlt]. Der 58-jährige
       Jurist wird leicht einen Partner auf seiner Linken finden, um bequem
       weitere vier Jahre regieren zu können.
       
       Dabei stand vor nur wenigen Jahren auch seine PS vor dem Abgrund. Nichts
       deutete daraufhin, dass die portugiesischen Sozialdemokraten, die ebenso
       wie ihre griechischen Genossen die Sparpolitik im Auftrag der EU und des
       Internationalen Währungsfonds (IWF) akzeptierten und mit umgesetzt hatten,
       dem Untergang entgehen könnten. Doch dann kam mit Costa der Wechsel an der
       Parteispitze und mit ihm der Wechsel in der Politik. Als die Konservativen
       vor vier Jahren trotz Wahlsieg an der Regierungsbildung scheiterten, nutzte
       Costa die Chance und bildete das, was bis dahin nicht nur in Portugal
       verschrien war: ein Bündnis mit linken Parteien.
       
       Er handelte mit der Kommunistischen Partei und dem linksalternativen Bloco
       de Esquerda (Linksblock) ein Regierungsprogramm aus. Diese duldeten ihn.
       Costa brachte im Gegenzug soziale Maßnahmen ein und nahm wichtige Teile des
       Sparprogramms seiner konservativen und auch sozialistischen Vorgänger
       zurück. So erhöhte er zum Beispiel den Mindestlohn, strich die
       Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst, hob die Renten an und senkte die
       Steuern für Geringverdienende, während er sie für die Reichern erhöhte.
       [2][Und all das gegen die Warnungen aus Brüssel.]
       
       ## Mit Finanz- und Sozialpolitik zur Volkspartei
       
       Costa und mit ihm sein Finanzminister Mário Centeno lagen richtig. Die
       Binnennachfrage erholte sich. Die Arbeitslosigkeit ging zurück, die
       Steuereinnahmen stiegen. Trotz oder gerade wegen weniger Austerität zahlte
       Costa die Kredite der EU und des IWF schneller ab, als geplant. Das
       Haushaltsdefizit sank, ebenso wie die Staatsverschuldung.
       
       Die PS ist mit der Mischung aus finanzpolitischer Realpolitik und sozialem
       Programm zur portugiesischen Volkspartei Nummer eins aufgestiegen. Die
       Konservativen, die weiter Sparpolitik predigen, liegen am Boden. Eine
       rechtsextreme Formation, vergleichbar mit der deutschen AfD oder der Vox im
       benachbarten Spanien, gibt es in Portugal nicht.
       
       Portugal zeigt, dass eine sozialdemokratische Partei mit
       sozialdemokratischer Politik durchaus gesellschaftliche Akzeptanz genießen
       kann. Und genau hier scheitern die großen Schwesterparteien, wie etwa die
       SPD: Die deutsche Sozialdemokratie verabschiedete sich unter Kanzler
       Gerhard Schröder von einer Sozialpolitik, die diesen Namen verdient.
       Wettbewerb und Finanzpolitik standen für ihn – ebenso wie für die CDU/ CSU
       – im Vordergrund.
       
       Als die SPD dann 2005 erstmals in die Große Koalition einstieg, gab sie
       endgültig ihre sozialdemokratische Line auf. Und das obwohl rein
       rechnerisch ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis mit einem anderen
       Politikansatz möglich gewesen wäre. Etwas, was sich 2013 wiederholen
       sollte. Da war es eindeutig die SPD, die nicht den Mut besaß, das Steuer
       herumzureißen und eine neue Ära einzuläuten.
       
       2017 dann, mit dem schlechten Abschneiden der SPD, dem Wiedereinzug der FDP
       und vor allem mit der AfD als neue Kraft im Bundestag, gab es keine
       Alternative zur [3][Großen Koalition] mehr. Seither geht es mit jeder
       Landtagswahl weiter bergab.
       
       In der Großen Koalition ist die SPD zum kleinen Partner verkommen. Eine
       kohärente sozialdemokratische Politik ist damit so gut wie unmöglich.
       Anstatt Politik zu gestalten, sind es einzelne kleine, soziale Tüpfelchen,
       die die SPD dem Bild der konservativen und wirtschaftsliberalen Politik der
       Großen Koalition hinzufügt. Das begeistert niemanden.
       
       ## Die neoliberale Doktrin verinnerlicht
       
       Es ist nur allzu deutlich: Die Sozialdemokraten haben die neoliberale
       Doktrin, die weitgehend die Politik in Europa bestimmt, längst
       verinnerlicht. Die fehlende Empathie angesichts der katastrophalen Folgen
       der Sparpolitik, der die Menschen in Griechenland und Portugal ausgesetzt
       waren und sind, zeigt dies. Wo war der Aufschrei der Sozialdemokratie, als
       die [4][Rettung der Banken wichtiger war] als die der Menschen?
       
       Jetzt ist guter Rat teuer, denn im sozial stärker denn je aufgesplitterten
       Deutschland haben sich die Themen, die WählerInnen bewegen, verschoben. Die
       Umfragen, bei denen die Grünen mittlerweile gleichauf mit der CDU/CSU
       liegen und die SPD endgültig in die Bedeutungslosigkeit absackt, zeigen
       dies.
       
       Die Möglichkeit einer rot-rot-grünen Bundesregierung wird es kaum mehr
       geben. Wenn überhaupt, werden wir von Grün-Rot-Rot sprechen. Die SPD wäre
       dann einmal mehr der kleinere Partner. Sie wird einmal mehr ihre Tüpfelchen
       auf das Gemälde anderer setzten. Nur dass das dann noch schwieriger wird:
       Denn das wenige, was noch von sozialdemokratischer Politik übrig ist, haben
       auch die Grünen in ihr politisches Programm aufgenommen.
       
       Ein Blick nach Portugal zeigt, wohin der Zug für die SPD abgefahren ist.
       „Es ist – oder besser gesagt: es war – die Sozialpolitik, Dummkopf“, ist
       man verleitet, den ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton zu
       paraphrasieren.
       
       7 Oct 2019
       
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