# taz.de -- Weihnachten mitten im Krieg: Aus Protest früher feiern
       
       > In Luzk feiert man Weihnachten so normal wie möglich – dafür am 25.
       > Dezember. Der frühere Termin ist auch Zeichen gegen die Tradition der
       > Besetzer.
       
 (IMG) Bild: Weihnachten in Kyjiw am 24. Dezember: Ein Mann zündet in einer Kirche eine Kerze an
       
       LUZK taz | In diesem Jahr haben wir Weihnachten zu Hause [1][am 25.
       Dezember] gefeiert. Nicht, dass ich mich besonders mit Kalendern und
       korrekten Daten auskenne. Ehrlich gesagt ist Weihnachten für mich vor allem
       die süße Getreidespeise Kutja, Familientraditionen, Verwandtschaft am
       Familientisch und ein gemütlicher Moment inmitten des Alltags.
       
       In den vergangenen Jahren haben wir am 25. Dezember höflich dem Papst in
       Rom zugehört, unseren katholischen Bekannten gratuliert und auf den 7.
       Januar gewartet. Aber jetzt wollen wir ausschließlich den 25. Dezember
       haben, um Weihnachten nicht am selben Tag zu feiern wie diejenigen, die
       davon träumen, uns zu zerstören. Während ich mich fertig mache und zum
       Gottesdienst in die Kirche gehe, lasse ich das Jahr 2022 Revue passieren.
       
       Ich erinnere mich an extrem helle Geschichten, die mich zu Tränen rührten:
       das Foto von einem kargen Weihnachtsessen bei Kerzenschein unserer Soldaten
       in der [2][Hölle bei Bachmut], direkt vor den Augen der Russen. Ein Video
       der britischen Regierung, in dem ein Mädchen aus London eine
       batteriebetriebene Girlande per Post an eine Gleichaltrige aus Kyjiw
       schickt, damit sie mit diesem Licht die Feiertage in der kalten Stadt
       überstehen kann. Herzliche Videogrüße aus Köln – von Ingo und Olesja,
       meinen Berliner Freunden. Sie haben das Video für alle Ukrainer*innen
       und Belaruss*innen aufgenommen, die sie kennen.
       
       Derweil gibt es Neuigkeiten von den Soziolog*innen: Waren vor der
       russischen Invasion 25 Prozent der Ukrainer*innen für die Umstellung des
       Kalenders, sind es jetzt schon 44 Prozent. Wenn ich meinen Facebook-Account
       angucke, bin ich ganz aufgeregt: Noch nie haben so viele am 25. Dezember
       gefeiert.
       
       Ein Weihnachtslied des Dichters Alexander Irvanets, der die biblische
       Geschichte mit den Realitäten des modernen Lebens in der Ukraine verbindet:
       „Herodes bombardiert Nazareth und Bethlehem immer wieder, ohne aufzuhören.
       Er sagt auch:,Wir treffen überhaupt keine Zivilist*innen …' Und die
       rettenden Hirten räumen immer noch die Trümmer beiseite. Was haben sie
       nicht alles gesehen, wen haben sie nicht alles herausgeholt.“
       
       Bombenalarm in der Kirche 
       
       Ich nähere mich dem Weihnachtsbaum im Zentrum von Luzk, der dieses Jahr
       nicht beleuchtet ist. Neben dem Dom spielt der Wind mit Engeln aus Pappe.
       Stille. Sind das Tränen auf meinen Wangen oder ist es nur nasser Schnee?
       
       Die orthodoxe Hauptkathedrale in Luzk ist voller Menschen. Die Priester
       erwähnen in diesem Jahr bewusst nicht die Neuerung, dass die [3][Gläubigen
       der Orthodoxen Kirche der Ukraine] selbst wählen dürfen, wann sie
       Weihnachten feiern. Niemand hat irgendjemanden zu etwas gezwungen, alles
       ist so natürlich wie möglich, außer dem Alarm auf dem Höhepunkt des
       Gottesdienstes und dann die Entwarnung wenige Augenblicke vor den ersten
       Weihnachtsliedern.
       
       Auf dem Heimweg denke ich: 2022 ist in Bezug auf die Tiefe der
       Veränderungen und ihre globalen Folgen für die Ukrainer*innen nur mit
       der Taufe der Rus zu vergleichen. Und das gilt nicht nur für den
       Kirchenkalender, sondern für alle Punkte, die für eine Nation wichtig sind
       und die wir bisher ignoriert haben. Schade, dass das alles einen so
       schrecklichen Preis hat. Aber Jesus wurde auch nicht in einer
       Entbindungsklinik geboren, sondern in einer Höhle. Er konnte dem Mörder
       entkommen. Und er besiegte Herodes.
       
       Aus dem Russischen: [4][Barbara Oertel] 
       
       [5][Finanziert] wird das Projekt von der taz Panter Stiftung. 
       
       Einen [6][Sammelband] mit den Tagebüchern hat der Verlag edition.fotoTAPETA
       im September herausgebracht.
       
       26 Dec 2022
       
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