# taz.de -- Werder Bremen gegen Rechts: Die Utopie im Stadion
       
       > Nachdem vor 20 Jahren noch rechte Hooligans den Ton angaben, haben
       > Werder-Ultras die Fankurve nazifrei gekämpft. Mit Rückendeckung des
       > Vereins.
       
 (IMG) Bild: Der erste Schritt soll nazifrei, der zweite Schritt diskriminierungsfrei sein
       
       Immer wenn es angesichts des gesellschaftlichen Rechtsrucks heißt, dass es
       eine wehrhafte Demokratie brauche, gibt es auch Forderungen nach einer
       lebendigen Zivilgesellschaft, die sich dem rechten Kulturkampf und der
       politischen Landnahme entgegenstellt. In Bremen, wo Fußball einen hohen
       Stellenwert hat, es aber auch eine wache und eher linke Stadtgesellschaft
       gibt, zeigt sich im Stadion, wie das konkret aussehen kann. Denn in der
       Ostkurve des Weserstadions von Werder Bremen, wo die Ultras stehen, haben
       engagierte junge Fans vorgemacht, [1][wie rechte Hegemonie gebrochen werden
       kann].
       
       Bis heute hat Werder eine aktive politische Fanszene, die sich zum Großteil
       als antirassistisch definiert. Gilt anderswo noch immer in vielen Kurven
       und Ultra-Gruppen das Gebot des vermeintlich Unpolitischen – was nichts
       anderes bedeutet als achselzuckendes Ertragen von Alltagsrassismus mit
       Das-wird-man-ja-noch-sagen-dürfen-Attitüde – erntet man in der Ostkurve
       Widerworte.
       
       Das letzte Mal, als bekannte Neonazis sich vor über fünf Jahren offen ins
       Weserstadion trauten, kam es zu einer [2][Massenschlägerei]. Seitdem wurden
       die Rechten bei Spielen nicht mehr gesehen – die Symbole und Fahnen der
       offiziell aufgelösten Neonazi-Fangruppen „Standarte“ und „Nordsturm“ sind
       eh im Stadion verboten. Praktisch geächtet sind rechte Fangruppen
       spätestens seit einem Auswärtsspiel in Bochum 2008, als rechte Hools im
       Auswärtsblock ihr Banner entrollten und dann unter Polizeischutz und
       [3][„Nazis raus“-Rufen die Kurve verlassen mussten]. Kim* ist Teil der
       aktiven Fanszene und hat sich bereit erklärt, mit der taz über das
       Selbstverständnis der Fans zu sprechen.
       
       Ein Schlüsselmoment sei damals der brutale Überfall von Neonazi-Hooligans
       auf eine Geburtstagsfeier der sich als links definierenden Ultragruppe
       Racaille Verte im Ostkurvensaal im Fanprojekt gewesen, sagt Kim. Der sei
       nach langem Einwirken der linken Ultras von Vereinsführung und
       Stadtgesellschaft eben nicht als unpolitische Auseinandersetzung zwischen
       Fußballfans abgetan worden, sondern als das, was er war: rechte Gewalt und
       hegemoniales Auftreten von Neonazis – mit dem Ziel, die jungen und
       politisch unliebsamen Ultras mundtot zu machen oder zu vertreiben.
       
       Doch der Angriff bewirkte das Gegenteil: „Es war ein Booster. Alle mussten
       sich entscheiden: Will man sich zurückziehen oder im Gegenteil die
       politischen Aktivitäten erst richtig hochfahren.“ Die meisten entschieden
       sich für Letzteres. Danach konnten die Neonazis im Stadion nie mehr so
       richtig Fuß fassen.
       
       ## Diskriminierungsfreie Kurve als zweiter Schritt
       
       Kim sagt aber auch: „Sich eine nazifreie Kurve zu erkämpfen, ist nur ein
       erster Schritt. Der zweite Schritt ist, an einer diskriminierungsfreien
       Kurve als Utopie zu arbeiten – eine Kurve, in der sich alle wohlfühlen.“
       Und das tun große Teile der Fanszene aus Sicht von Kim kontinuierlich und
       mit viel Engagement – vor allem auch von jüngeren Menschen, die auch nach
       der Pandemie verstärkt Teil der aktiven Fanszene geworden sind und dort
       einen sozialen Fixpunkt gefunden hätten.
       
       So haben Fans zusammen mit dem Verein ein Awareness-Konzept erarbeitet.
       Seither können Betroffene zum Beispiel bei sexualisierten Übergriffen im
       Stadion an allen Ständen oder beim Sicherheitspersonal mit dem Code „Kennst
       du Mika?“ niedrigschwellig nach Hilfe fragen. Ebenso gibt es mittlerweile
       eine selbst organisierte juristische Fanhilfe, die bei Repressionen und
       unverhältnismäßigen Polizeimaßnahmen aktiv wird und sich für Fanrechte
       einsetzt.
       
       In Bremen nennt sie sich in Anlehnung an die Rote Hilfe [4][„Grün-Weiße
       Hilfe“] und ist per Fantelefon zu erreichen. Sie klagt auch gegen illegale
       Maßnahmen wie zuletzt im August in Wolfsburg, wo Fans ohne Rechtsgrundlage
       für Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen im Polizeikessel
       festgehalten wurden. Die Aufarbeitung zwang Boris Pistorius, damals noch
       Niedersachsens Innenminister, zu einer [5][Entschuldigung].
       
       ## Klub um Dialog bemüht
       
       Aber was auch klar ist: Ohne Rückendeckung durch den Vorstand des Vereins
       und ein [6][langjähriges Engagement des Fanprojekts] wäre vieles wohl
       unmöglich gewesen. Und tatsächlich findet nicht nur der Vereinspräsident
       Hubertus Hess-Grunewald, dass es ein klarer Widerspruch sei,
       [7][gleichzeitig AfD zu wählen und Werder gut zu finden].
       
       Auch die Geschäftsführung ist um Dialog und einen Schulterschluss mit den
       Fans bemüht. Geschäftsführerin Anne-Kathrin Laufmann ist unter anderem für
       den Bereich Fankultur und Antidiskriminierung verantwortlich. Sie sagt der
       taz: „Wir stehen jedes Spiel über Fanbetreuer im direkten Kontakt mit den
       Fans und sprechen anlassbezogen auch direkt mit der Fanszene. Es ist
       wichtig für uns, einen Dialog zu führen, die Fans und ihre Argumente
       anzuhören. Auch wenn es vor allem bei den Themen Pyrotechnik und
       Kommerzialisierung durchaus viele Kontroversen gibt.“
       
       Laufmann findet, dass Fußballvereine eine gesellschaftspolitische
       Verantwortung haben. Mittlerweile schule man standardmäßig Mitarbeitende zu
       sexualisierten Grenzüberschreitungen, Awareness-Themen und einem
       diskriminierungsfreien Stadionbesuch – vieles davon auch nach Impulsen aus
       der Fanszene. Hier und überall gelte noch immer, was der ehemalige
       Präsident und Vereinslegende Klaus-Dieter Fischer mal gesagt hat: „Das SV
       in SV Werder Bremen steht für soziale Verantwortung.“
       
       14 May 2023
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [4] https://gruen-weisse-hilfe.de/
 (DIR) [5] https://www.spiegel.de/sport/fussball/vfl-wolfsburg-gegen-werder-bremen-boris-pistorius-entschuldigt-sich-fuer-fehler-der-polizei-a-367792de-273f-44f6-827c-711d0f69665c
 (DIR) [6] https://www.fanprojektbremen.de/%C3%BCber-uns-1/
 (DIR) [7] /Werder-Vorstand-Hubertus-Hess-Grunwald/!5534634
       
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