# taz.de -- Widerstand gegen die Taliban: Eine unüberwindliche Kluft
       
       > In Afghanistans Provinz Pandschir formiert sich bewaffneter Widerstand
       > gegen die Taliban. Doch der könnte vom Streit um die Führung geschwächt
       > werden.
       
 (IMG) Bild: Bewaffnete afghanische Soldaten zusammen mit anderen Aufständischen im Pandschirtal, August 2021
       
       In Afghanistans Provinz Pandschir bildet sich eine bewaffnete Nationale
       Widerstandsfront gegen die Taliban. Sie besteht aus Soldaten der
       ehemaligen Regierungsarmee, die nach dem Taliban-Einmarsch in Kabul Sonntag
       vor einer Woche in das gleichnamige Tal geflüchtet waren, sowie lokalen
       Milizen und Freiwilligen.
       
       Das dünn und von afghanischen Tadschiken besiedelte Pandschirtal nördlich
       von Kabul ist die einzige Provinz, die die Taliban bisher nicht besetzten.
       Es war bereits eine Hochburg des Widerstands, erst gegen die sowjetischen
       Besetzer Afghanistans im Kampf gegen die Mudschaheddin von 1979 bis 1989,
       dann gegen die Taliban, nachdem diese 1996 zum ersten Mal die afghanische
       Hauptstadt Kabul eingenommen hatten.
       
       Es gibt auch personelle Kontinuität. An die Spitze der Bewegung setzte sich
       der 32-jährige Sohn des früheren antisowjetischen Mudschaheddinführers
       Ahmad Schah Massud, Ahmad Massud. Massud senior, 1992 bis 1996
       Verteidigungsminister einer Mudschaheddin-Regierung, war zwei Tage vor den
       Terroranschlägen des 11. September von zwei Al-Qaida-Agenten ermordet
       worden, die sich als Journalisten ausgegeben hatten.
       
       Sein an der britischen Militärakademie von Sandhurst ausgebildeter Sohn
       Ahmad hatte bereits seit mehreren Jahren versucht, die politische
       Opposition gegen den bisherigen Präsidenten Aschraf Ghani zu einigen. Er
       hatte auch bereits begonnen, lokale Freiwillige militärisch auszubilden.
       
       ## Alle Macht den Drogen
       
       Massud spricht sich für ein föderales Afghanistan aus. Seine Kämpfer
       verwenden die schwarz-weiß-grüne Flagge der früheren
       Mudschaheddinregierung, nicht die schwarz-rot-grüne Nationalflagge, unter
       der vor wenigen Tagen Jugendliche und Frauen in Kabul, Chost, Assadabad und
       Dschalalabad gegen die Taliban protestiert hatten.
       
       Aus dem Pandschir hatte sich Ahmad Massud am vorigen Mittwoch mit einem
       Gastbeitrag in der Washington Post zu Wort gemeldet und gesagt, er wolle
       „in die Fußstapfen meines Vaters“ treten und „es mit den
       Mudschaheddinkämpfern gegen die Taliban aufnehmen“. Er verfüge über 6.000
       Mann, darunter ehemalige Spezialkräfte, aber nicht ausreichend Waffen und
       Munition. Der Westen solle deshalb „ohne Verzögerung“ mehr davon senden.
       
       Unterdessen kam es in dem Pandschir benachbarten Andarab-Tal zu ersten
       Kämpfen gegen die Taliban. Ein als Sprachrohr der Massud-Kräfte betriebener
       Twitter-Account bezeichnet die neuen Aufständischen als Chesisch-e Melli
       (Nationaler Aufstand), ein Sammelbegriff für lokale Milizen unter der
       Regierung Ghani. Sie hätten sich gegen Hausdurchsuchungen durch die Taliban
       und deren Beschlagnahmung von Waffen gewehrt, diese sogar aus drei
       Distrikten vertrieben und 60 bis 100 Kämpfer getötet.
       
       Auch die Tadschiken des Andarab, in der Provinz Baghlan, sind als
       kämpferisch bekannt. Sie kämpfen aber auch um die Kontrolle über eine
       wichtige Drogenhandelsroute.
       
       ## Offene Verhandlungen
       
       Die Taliban setzten daraufhin Truppen in Marsch und behaupteten, sie hätten
       alle drei Distrikte – Banu, Deh Salah und Pul-e Hissar – wieder
       zurückerobert. Allerdings wurde am Montag zumindest in einem davon weiter
       gekämpft. Die Taliban schickten auch „Hunderte“ Kämpfer an die drei
       Eingänge des isolierten Pandschirtals.
       
       Massud teilte prompt mit, er habe die „Operation“ in Andarab nicht
       organisiert, denn er suche eine Gesprächslösung mit den Taliban. Offenbar
       hofft er, eine Art Autonomie für das Pandschir herausschlagen zu können.
       Tatsächlich blieb es zum Redaktionsschluss um das Pandschir ruhig. Auch die
       Taliban bestätigten, dass sie verhandeln wollen, Massud aber eine
       Botschaft, sich friedlich ihrem Regime anzuschließen, abgelehnt habe.
       
       Weiterer bewaffneter Widerstand gegen die Taliban wurde bereits vorigen
       Freitag aus dem Distrikt Chinjan (ebenfalls Baghlan) sowie dem
       Hasara-Distrikt Behsud südwestlich von Kabul gemeldet, aber weder
       bestätigten das unabhängige Quellen noch gab es seither Nachfolgeberichte.
       Eine ZDF-Journalistin tweetete gestern auch von Widerstand in der
       Nordprovinz Kundus, machte aber bisher keine weiteren Angaben.
       
       Im Pandschir sollen sich auch andere Schwergewichte der Pandschiri-Fraktion
       wie Ex-Vizepräsident Amrullah Saleh und Ex-Innenminister General Bismillah
       Muhammadi aufhalten. Saleh hatte sich nach der Flucht von Präsident Ghani
       am vorigen Dienstag per Tweet zum „legitimen amtierenden Präsidenten“ des
       Landes erklärt, da er sich weiter „auf afghanischem Boden“ befinde, und
       ebenfalls Widerstand angekündigt.
       
       ## Massud Junior traut man keine Einigung zu
       
       Der französische Afghanistan-Spezialist Gilles Dorronsoro von der Pariser
       Sorbonne wies gegenüber AFP auf Konflikte zwischen Saleh und Massud hin.
       Massud habe „wenig politischen Einfluss“, während Saleh eine
       „Schlüsselfigur“ in dem Machtspiel sei und als ehemaliger Geheimdienstchef
       über ein ausgedehntes Agentennetz verfüge.
       
       Neben beiden beansprucht ein halbes Dutzend weiterer Politiker in der
       notorisch zerstrittenen islamistischen Partei Dschamiat-i Islami, zu der
       die Pandschiri-Fraktion gehört, das Erbe Schah Massuds.
       
       Dazu gehören Junos Kanuni, ein weiterer Ex-Innenminister und früherer
       Stellvertreter Massuds, sowie zwei seiner Brüder, darunter ein weiterer
       früherer Vizepräsident, Ahmad Sia Massud, die in Pakistan sind, sowie der
       Sohn des verstorbenen Massud-Nachfolgers Kassim Fahim, Abed, der in Kabul
       mit dem Chef des Nationalen Versöhnungsrates und Ghani-Gegenspieler
       Abdullah Abdullah arbeitet. Massud junior scheint zu jung, um diese Klüfte
       zu überbrücken.
       
       Die Fraktionskriege zwischen den Parteien der Mudschaheddin in den 1990er
       Jahren waren auch Ursache für die Entstehung der Taliban, die diese
       Fraktionen zur Freude großer Bevölkerungsteile entwaffnete. Nach der
       Intervention 2001 sorgte ihre rabiate Machtpolitik an der Seite der USA
       gegenüber der großen paschtunischen Bevölkerungsgruppe maßgeblich für das
       Wiedererstarken der Taliban.
       
       Massuds neue Widerstandsbewegung könnte die ethnische Nord-Süd-Spaltung
       weiter vertiefen und zu einem weiteren Bürgerkrieg führen. Auch die jungen
       Leute aus den Flaggenprotesten sind für sie kaum einzubinden.
       
       23 Aug 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Ruttig
       
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