# taz.de -- Aktuelle Nachrichten zu Afghanistan: Offizier kritisiert Bundesregierung
       
       > Der Vorsitzende des Ortskräfte-Vereins Grotian spricht von „mutwilligem
       > Versagen“ bei der Evakuierung aus Kabul. Die Versorgung mit medizinischen
       > Gütern wird knapp.
       
 (IMG) Bild: Marcus Grotian, Vorsitzender des Patenschaftsnetzwerks Afghanische Ortskräfte, am Dienstag
       
       ## Bundeswehr warnt vor Anschlägen des IS
       
       Die Bundeswehr sieht eine zunehmende Anschlagsgefahr durch IS-Terroristen
       in der afghanischen Hauptstadt Kabul. Man habe Signale aus amerikanischen
       Quellen, aber auch eigene Erkenntnisse, dass zunehmend potenzielle
       Selbstmordattentäter der Terrororganisation Islamischer Staat „in die Stadt
       einsickern“, sagte Generalinspekteur Eberhard Zorn am Montag in Berlin. Man
       habe von den Amerikanern bereits in der vergangenen Woche Hinweise darauf
       bekommen. „Das nimmt jetzt zu.“
       
       Die US-Regierung hatte am Sonntag erstmals öffentlich Sorgen vor einem
       IS-Anschlag am Flughafen oder in der Umgebung geäußert. „Die Bedrohung ist
       real, sie ist akut, sie ist anhaltend“, sagte der Nationale
       Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, im Sender
       CNN. Man nehme die Warnungen „absolut todernst“. Die
       militant-islamistischen Taliban und der regional aktive Zweig des IS sind
       verfeindet und haben in der Vergangenheit gegeneinander gekämpft. (dpa)
       
       ## Taliban lassen Sprengschutzwände in Kabul entfernen
       
       Die militant-islamistischen Taliban lassen in der afghanischen Hauptstadt
       Kabul die für das Stadtbild bislang typischen Sprengschutzwände abbauen.
       Das ist auf Videos und Fotos zu sehen, die am Dienstag in sozialen Medien
       kursierten.
       
       Die oft drei Meter hohen und einen halben Meter dicken grauen Betonwände
       sollten in der Vergangenheit die Auswirkungen von Autobomben oder anderen
       Explosionen vermindern. Sie standen bisher praktisch überall in der Stadt,
       vor allem rund um Regierungseinrichtungen wie Ministerien oder
       ausländischen Botschaften.
       
       Am Sonntag hatten die Taliban über die Facebook-Seite der Stadtverwaltung
       die Bürger der Stadt dazu aufgerufen, binnen einer Woche Sprengschutzwände
       rund um Privathäuser zu entfernen. Bürger, die keinen Platz hätten, könnten
       sich an die Stadtverwaltung wenden, die ihnen einen Deponieplatz zur
       Verfügung stelle.
       
       Vor allem in der Innenstadt sind Sprengschutzwände oft kilometerlang
       aneinandergereiht. Die grauen Ungetüme sind über die Jahre vielerorts von
       lokalen Künstlern bemalt worden. Die Bilder auf ihnen rufen etwa zu Bildung
       auf, dazu dass Menschen keine Drogen nehmen oder dass sie die Umwelt
       schützen sollen. Augenpaare mit dem Schriftzug „Wir sehen dich“ prangern
       die Korruption der Regierung an. (dpa)
       
       ## Ortskräfte: „Überwältigt und verbittert“
       
       Deutsche Unterstützer von afghanischen Ortskräften haben der
       Bundesregierung mutwilliges Versagen bei der Rettung der ehemaligen
       Mitarbeiter vorgeworfen. „Wir sind überwältigt und verbittert in einem
       Maße, das wir nicht in Worte fassen können“, sagte der Vorsitzende des
       Patenschaftsnetzwerks Afghanische Ortskräfte, der Bundeswehroffizier Marcus
       Grotian, am Dienstag in Berlin. „Wir sind von der eigenen Regierung
       moralisch verletzt, und das ist beschämend.“
       
       Grotians Verein setzt sich seit Jahren für einheimische Ortskräfte der
       Bundeswehr und anderer deutscher Stellen in Afghanistan ein. Der Offizier
       richtete eine Reihe von Vorwürfen an deutsche Regierungsstellen: Sie hätten
       Warnungen vor der drohenden Machtübernahme der Taliban zu lange ignoriert.
       Sie hätten durch übermäßige Bürokratie gezielt versucht, die Zahl der nach
       Deutschland ausreisenden Ortskräfte möglichst niedrig zu halten. Zudem
       gäben sie die Zahl der ausreiseberechtigten Ortskräfte viel zu niedrig an.
       
       Grotian warf den Regierungsstellen vor, „mit bürokratischen Tricks“ die
       Zahl der ausreiseberechtigten Afghanen „herunterreduziert“ zu haben. Die
       von der Bundesregierung genannten Zahlen von 2.500 ausreiseberechtigten
       Afghanen, von denen 1.900 schon in Deutschland seien, seien „mitnichten
       richtig“, sagte Grotian. Sein Verein gehe von 8.000 Ausreiseberechtigten
       aus – ehemalige Ortskräfte mitsamt Kernfamilien.
       
       In der Nacht sind weitere Schutzbedürftige aus Afghanistan ausgeflogen
       worden. Eine A400M ist um 22.29 Uhr (MESZ) in Kabul gestartet und nach
       Angaben der Bundeswehr um 23.48 Uhr (MESZ) mit 211 Menschen in Taschkent
       gelandet. Seit Beginn des Einsatzes seien [1][mehr als 3.650 Menschen durch
       die Bundeswehr] aus der afghanischen Hauptstadt ausgeflogen worden.
       
       Außenminister Heiko Maas (SPD) sprach am Dienstag im TV-Sender Bild von
       3.800 Evakuierten, darunter 351 deutsche Staatsbürger. Mit weiteren rund
       100 deutschen Familien, die noch vor Ort ausharrten, stehe man in Kontakt,
       deren Standorte seien bekannt, sagte Maas. (dpa/afp/rtr)
       
       ## Sorge um medizinische Situation
       
       Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verfügt nach eigenen Angaben nur noch
       über medizinische Vorräte für eine Woche. Mehr als 500 Tonnen solcher Güter
       wie OP-Ausrüstungen oder Mittel zur Versorgung von Unterernährten gelangten
       wegen der Einschränkungen am Kabuler Flughafen derzeit nicht ins Land, sagt
       ein WHO-Vertreter. Auch werde ein Anstieg der Coronainfektionen befürchtet,
       weil die Zahl der durchgeführten Tests in der vergangenen Woche um 77
       Prozent gesunken sei.
       
       Dagegen hielten 95 Prozent der medizinischen Einrichtungen ihren Betrieb
       aufrecht. Allerdings seien mehrere weibliche Angestellte nicht mehr zum
       Dienst erschienen und einige Patientinnen wagten nicht, ihre Häuser zu
       verlassen und zum Arzt zu gehen.
       
       Auch die Situation der Lebensmittelversorgung sei kritisch, so das
       UN-Welternährungsprogramm (WFP), das die internationale Gemeinschaft zu
       Lebensmittelspenden im Wert von 200 Millionen Dollar auffordert. Die
       Bereitstellung von Lebensmitteln sei dringend, da sie nach Beginn des
       Winters nicht mehr in entlegene Teile Afghanistans gebracht werden könnten,
       sagt die für das Land zuständige WFP-Managerin Anthea Webb. „Sobald es
       anfängt zu schneien, ist es schlicht zu spät.“ Staaten, die nach der
       Machtübernahme der Taliban einen Flüchtlingsansturm aus Afghanistan
       befürchten, sollten Hilfseinsätze für die im Land verbleibenden Menschen
       unterstützen, mahnt Webb. (rtr)
       
       ## Berichte über Gruppenhinrichtungen
       
       Den Vereinten Nationen (UN) liegen nach eigenen Angaben glaubhafte Berichte
       über gravierende Menschenrechtsverletzungen wie Gruppenexekutionen von
       Zivilisten vor. Auch würden die Rechte von Frauen eingeschränkt und
       Proteste gegen die Talibanherrschaft unterbunden, sagt die Hohe Kommissarin
       für Menschenrechte, Michelle Bachelet.
       
       Das Vorgehen der Taliban müsse systematisch und engmaschig beobachtet
       werden, fordert sie bei einer Dringlichkeitssitzung des
       UN-Menschenrechtsrats in Genf. „Eine grundsätzliche rote Linie wird sein,
       wie die Taliban Frauen und Mädchen behandeln.“ Die Sitzung wurde auf Antrag
       von Pakistan und der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC)
       einberufen. (rtr)
       
       USA entscheiden über Verlängerung 
       
       US-Präsident Joe Biden will einem Insider zufolge binnen 24 Stunden über
       eine Verlängerung der Abzugsfrist entscheiden. Biden wolle dem
       Verteidigungsministerium Zeit zur Vorbereitung einräumen, sagt ein
       Regierungsbeamter der Nachrichtenagentur Reuters. Die Frist läuft am 31.
       August aus.
       
       Der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des US-Repräsentantenhauses,
       Adam Schiff, geht nicht von einem Abschluss der Evakuierungen bis zum 31.
       August aus. „Ich halte es zwar für möglich, aber angesichts der Zahl der
       Amerikaner, die noch evakuiert werden müssen, für sehr unwahrscheinlich“,
       sagt Schiff nach einem Briefing von Geheimdienstmitarbeitern zu Reportern.
       
       Vor dem [2][Krisengipfel der G7 zu Afghanistan] am Dienstag ist der Druck
       auf Washington, den Einsatz zur Rettung Zehntausender Menschen aus Kabul
       über August hinaus zu verlängern, gestiegen. Großbritanniens
       Premierminister Boris Johnson will nach Angaben seines
       Verteidigungsministers Ben Wallace bei den virtuellen Beratungen am
       Dienstag für eine Verlängerung des US-Evakuierungseinsatzes werben.
       (afp/rtr)
       
       24 Aug 2021
       
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