# taz.de -- Zusammensetzung des neuen Bundestags: Jünger, weiblicher, akademischer
       
       > Mit 735 Abgeordneten ist der neue Bundestag größer als je zuvor. Er ist
       > auch ein wenig weiblicher und etwas migrantischer.
       
 (IMG) Bild: Kritischer Blick: Der Bundestag ist noch größer geworden, dabei weiblicher und diverser
       
       BERLIN taz | Wenn man die Zusammensetzung des neuen Bundestags mit der
       Bevölkerung vergleicht, springt ein Unterschied ins Auge: das
       Bildungsniveau. Mehr als 88 Prozent der Abgeordneten haben ein
       abgeschlossenes Hochschulstudium – 6 Prozent mehr als im letzten Bundestag.
       Nichtakademiker sind eine kleine Minderheit. Dieses Bild verhält sich
       spiegelverkehrt zu dem der Gesellschaft. Denn weniger als 20 Prozent der
       erwachsenen Deutschen haben ein Universitätsstudium beendet.
       
       Diese Differenz ist nicht neu. Der FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff
       witzelte schon vor Jahrzehnten: „Der Bundestag ist mal voller und mal
       leerer, aber immer voller Lehrer.“ Im Parlament geben schon immer männliche
       Akademiker den Ton an. Der Bundestag ist, was Bildung, Geschlecht und
       Migrationshintergrund angeht, alles andere als repräsentativ. Bei der
       Bildung ist der Trend bei den alt- und neubürgerlichen Milieuparteien
       besonders drastisch – FDP und Grünen. In der neuen FDP-Fraktion haben 93,5
       Prozent einen Hochschulabschluss, bei den Grünen 93,2 Prozent. In der
       grünen Fraktion gibt es nur eine Arbeiterin, Tina Winklmann, aber 23
       Abgeordnete mit Doktortitel. Die wenigsten Doktortitel finden sich bei der
       SPD (12 Prozent), der AfD (14 Prozent) und der Linksfraktion (15,4
       Prozent).
       
       Kurzum: Ohne Universitätsstudium ist die Chance, es in den Bundestag zu
       schaffen, gering. Das hat eine gewisse Rationalität. Die Arbeit in
       Ausschüssen und an Gesetzestexten ist selbst akademisch. Allerdings hat die
       im neuen Bundestag nun noch ausgeprägtere Herrschaft der Bildungselite
       Schattenseiten. Der Soziologe Armin Schäfer, der die Zusammensetzung des
       Bundestag seit Jahren kritisch analysiert, sagt: „Bestimmte Berufe tauchen
       im Bundestag gar nicht mehr auf.“ Damit fehlen eben auch Erfahrungen,
       Lebenswelten und Perspektiven ganzer Gruppen.
       
       Ist der neue Bundestag noch mehr Closed Shop als früher? Noch mehr von
       Engführungen geprägt, von eingefrästen Selektionsmechanismen, die unter der
       Hand Machtverhältnisse spiegeln und wiederum verstärken? Ganz so stimmt das
       nicht. Wenn man neben Bildung andere Kriterien betrachtet, fällt das Bild
       differenziert aus. Etwa bei Geschlecht und Alter.
       
       So ist der neue Bundestag deutlich weiblicher als der alte. Der
       Frauenanteil ist um 4 Prozent auf knapp 35 gestiegen. Nur einmal war der
       Anteil von Parlamentarierinnen in der Geschichte etwas höher. Das hat
       mehrere Gründe. Der Wichtigste ist der Wahlerfolg der Grünen, die
       traditionell quotiert sind, und wesentlich stärker als 2017. Die
       Unionsfraktion, traditionell eine Männerdomäne, ist nach der Wahlniederlage
       ziemlich geschrumpft. Außerdem ist der Anteil von Frauen in der CDU/CSU
       Fraktion sogar ein wenig gestiegen – von gut 20 auf gut 23 Prozent. Der Gƒ:
       Die CDU hat massiv Direktmandate verloren. Die sind traditionell ein
       Revier, bei dem sich die Platzhirsche durchsetzen. Bei den
       Listenaufstellungen hingegen bemühten sich die CDU-Führungen in den Ländern
       doch um mehr Parität.
       
       In Sachen Geschlecht herrscht im neuen Bundestag noch immer die alte Regel:
       Rechts ist männlich, links weiblich. So haben in den Fraktionen von Grünen
       (58 Prozent) und Linkspartei (54 Prozent ) die Frauen die Mehrheit. In der
       SPD Fraktion sind knapp 42 Prozent weiblich. Bei Union (23 Prozent) und FDP
       (24 Prozent) sind die Politikerinnen hingegen krass in der Minderheit, in
       der AfD (13 Prozent) sowieso. FDP-Frau Ria Schröder hat es 2021 in den
       Bundestag und die männerdominierte FDP-Bundestagsfraktion geschafft. Für
       eine Frauenquote kann sie sich gleichwohl nicht erwärmen.
       
       Wie sieht es bei Migration aus? Etwa 26,7 Prozent der Bevölkerung in
       Deutschland hat einen Migrationshintergrund. Im neuen Bundestag gilt dies
       nur für gut 11 Prozent. Auch bei der Herkunft gibt es eine klare Teilung in
       das Rechts-links-Schema. Das wurde zwar schon oft beerdigt, verfügt aber
       offenbar noch immer über einige Prägekraft. Die eher linken Parteien sind
       weit offener für MigrantInnen als die eher rechten. So haben in der
       Linksfraktion fast 29 Prozent Migrationshintergrund, in der SPD sind es 17
       Prozent, bei den Grünen gut 14. In der FDP hingegen sind PolitikerInnen mit
       Migrationshintergrund mit 5 Prozent eine Seltenheit. Ähnlich sieht es in
       der Unionsfraktion mit 4 und AfD mit 7 Prozent aus.
       
       Allerdings ist – ganz anders als bei den Nichtakademikern – bei der
       Herkunft der ParlamentarierInnen ein klarer Trend zu mehr Repräsentativität
       zu erkennen. 2013 hatten nur 6 Prozent der ParlamentarierInnen migrantische
       Wurzeln, 2017 waren es schon mehr als 8. Nun sind es 11.
       
       Diese Zahl hat der Mediendienst Integration erhoben. Ihm zufolge gibt es
       noch eine positive Veränderung. So gibt es nun, neben dem Hallenser
       SPD-Mann Karamba Diaby, noch zwei afrodeutsche PolitikerInnen im Bundestag,
       den Frankfurter SPD-Mann Armand Zorn und die Nordhessin Awet Tesfaiesus,
       die für die Grünen in den Bundestag einzieht. Und es gibt mehr
       Türkei-stämmige PolitikerInnen als bisher. Damit bildet sich langsam, aber
       deutlich auch im Parlament ab, dass Deutschland eine
       Einwanderungsgesellschaft ist. Allerdings wächst damit nicht automatisch
       der Einfluss postmigrantischer PolitikerInnen, wie zuletzt die
       Zusammensetzung der Ampel-Sondierungsteams zeigte.
       
       Die vielleicht unauffällige Veränderung des neuen Parlaments ist gleichwohl
       bedeutsam: Der Bundestag wird jünger. Das Durchschnittsalter liegt seit
       Langem um die 50 Jahre, nun sind es nur noch gut 47. So jung war das
       Parlament seit 1990 nicht. Das ist in einer alternden Gesellschaft auf den
       ersten Blick eine überraschende Wendung.
       
       Auf den zweiten nicht. Die Klimabewegung Fridays for Future hat viele
       Jüngere politisiert, die in den Bundestag drängten und auch mit offene
       Armen empfangen wurden. Nicht nur, aber vor allem von den Grünen. Rund 40
       Prozent der Grünen-Fraktion ist jünger als 40 Jahre. Das Durchschnittsalter
       liegt bei 42 Jahren. Auch die beiden jüngsten MdBs sind Grüne: Emilia
       Johanna Fester aus Hamburg und Niklas Wagener aus Aschaffenburg, beide 23.
       
       Der zweite Grund für die Verjüngung des Bundestages ist die SPD. Die Jusos,
       alle SozialdemokratInnen unter 35 Jahren, haben ein Viertel der Sitze in
       der SPD-Fraktion erobert und damit für einen Schub gesorgt. Einen so hohen
       Anteil von Jüngeren gab es in der SPD-Bundestagsfraktion noch nie. Bei AfD,
       Union und FDP ist hingegen bei der Altersstruktur alles beim Alten
       geblieben: wenig Junge, viele Ältere.
       
       Den typischen Links-rechts-Graben gibt es beim Alter allerdings nicht so
       klar wie bei Geschlecht und Herkunft. Denn in der Linksfraktion ist von
       Verjüngung nichts zu spüren. Sie ist nun die zweitälteste Fraktion, hinter
       der AfD.
       
       Das Bild insgesamt ist vermischt. Bei Alter, Herkunft und Geschlecht gibt
       es einen Trend in die richtige Richtung, bei Bildung und
       Klassenzugehörigkeit nicht. Und es gibt im Bundestag noch immer zu wenige,
       die aus dem Rahmen fallen. So wie zum Beispiel der FDP-Mann Muhanad
       Al-Halak. 31 Jahre. Er floh 2001 mit seiner Familie aus dem Irak. Al-Hanak
       ist in dieser Hinsicht noch eine Ausnahme im Bundestag. Er hat nicht
       studiert und arbeitet als Abwassermeister. Migrant und kein Akademiker –
       eine doppelte Seltenheit. 
       
       Mitarbeit: Sabine am Orde, Marilena Piesker 
       
       Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version hieß es: „Rund 25 Prozent
       der Deutschen haben einen Migrationshintergrund.“ Diese Aussage ist nicht
       korrekt und wurde korrigiert. Wir bitten um Entschuldigung.
       
       26 Oct 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jasmin Kalarickal
 (DIR) Stefan Reinecke
       
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