# taz.de -- Kühne+Nagel mauert: Verwertung ohne „Relevanz“
       
       > Kühne+Nagel profitierte im „Dritten Reich“ nicht nur von der
       > Judenverfolgung, es „arisierte“ sich auch selbst. Von alldem will das
       > Unternehmen nach wie vor nichts wissen – sondern hält einen
       > „kulturpolitischen Zusammenhang“ für möglich.
       
 (IMG) Bild: Kamen im KZ um: Der Kühne+Nagel-Mitinhaber Adolf Maass und seine Frau Käthe
       
       BREMEN taz | Die große Sause, mit der der Logistik-Konzern Kühne + Nagel
       auf dem Bremer Marktplatz sein 125-jähriges Firmenjubiläum feierte, zieht
       zunehmend Kritik nach sich. Als „grenzwertig“ bezeichnete
       Bürgerschaftspräsident Christian Weber die weiträumige Absperrung auf dem
       Platz zugunsten eines von Sicherheitskräften bewachten Glaspavillons und
       Riesen-Trucks.
       
       Dort stellte das Unternehmen eine opulent bebilderte Firmengeschichte dar –
       doch seriöses History Marketing ist etwas anderes: Dort hat sich als
       Standard herauskristallisiert, NS-Verstrickungen deutlich anzusprechen, um
       glaubwürdig am Markt kommunizieren zu können.
       
       Das Unternehmen des Logistik-Milliardärs Klaus-Michael Kühne, als „Retter“
       von HSV und Hapag-Lloyd gefeiert und für sein Sponsoring der
       Elbphilharmonie vom Hamburger Senat zum Professor ernannt, beharrt jedoch
       darauf, den Wachstumsschub von Kühne + Nagel im „Dritten Reich“
       auszublenden: „Firmenintern gibt es keinerlei Dokumente zu der
       entsprechenden Zeitperiode“, schreibt das Unternehmen auf Anfrage der taz.
       Das gesamte Firmenarchiv sei 1944 verbrannt.
       
       Um das zu widerlegen, genügt ein Blick in das Verzeichnis der Deutschen
       Wirtschaftsarchive: Der Bestände der Kühne + Nagel AG & Co werden dort ab
       1902 mit zehn laufenden Metern angegeben: Urkunden, Akten, Protokolle,
       Geschäftsbücher – versehen mit dem Hinweis: „Benutzung nur mit Genehmigung
       der Geschäftsleitung“.
       
       Läge die vor, erführe man genauer, unter welchen Umständen Mitinhaber Adolf
       Maass die Firma verließ. Deren Chronik von 1965, „Streiflichter einer
       bewegten Zeit“, berichtet nur, dass Maass im April 1933 ausschied, „um als
       Teilhaber in eine Großhandelsfirma seiner Verwandtschaft einzutreten“. Die
       Erwähnung der „Verwandtschaft“ verweist immerhin indirekt auf den
       Hintergrund: Maass war Jude.
       
       Kühne + Nagel profitierte im „Dritten Reich“ also nicht nur durch
       Großaufträge im, Rahmen der „Verwertung“ jüdischen Eigentums, sondern auch
       durch „Arisierung“ im eigenen Haus. Maass war seit 1910 Teilhaber und baute
       unter anderem die Niederlassung Hamburg auf. Nach seinem Ausscheiden wurden
       die Brüder Alfred und Werner Kühne Alleininhaber.
       
       Als 2006 in Hamburg-Winterhude ein Stolperstein für das Ehepaar Maass
       verlegt wurde, hat Ulrike Sparr in diversen Archiven nach Unterlagen
       gesucht. Dabei stieß sie auf die Aussagen von Adolfs Sohn Gerhard, der die
       Kühne-Brüder als „einflussreiche Nazis“ charakterisierte, die seinen Vater
       aus der Firma gedrängt hätten. Nachweisbar ist, dass Werner Kühne direkt
       nach Maass’ Ausscheiden in die NSDAP eintrat – mit einem jüdischen
       Mitinhaber wäre ihm das nicht möglich gewesen. Das Ehepaar Maass starb in
       Auschwitz.
       
       Im NS-Staat ließ Kühne + Nagel seine Konkurrenten hinter sich, wobei ein
       direkter Draht zum Reichsfinanzminister half. Für Westeuropa erkämpfte sich
       die Firma ein Monopol: Fast 70.000 Wohnungseinrichtungen deportierter
       Familien aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden transportierte sie
       nach Deutschland zu den „Judenauktionen“.
       
       Es muss als wahrscheinlich gelten, dass Kühne + Nagel nicht „nur“ an der
       Verwertung von Möbeln und Alltagsgegenständen jeder Art beteiligt war,
       sondern auch an den Aktionen des „Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg“:
       Dieser hatte die Aufgabe, in den besetzten Ländern nach Kunstgegenständen
       und kostbaren Bibliotheken zu fahnden. Allein aus Paris gab es zwischen
       1941 und 1944 29 Kunsttransporte, als Hauptdepot in Deutschland diente
       Schloss Neuschwanstein.
       
       Dieser Kontext wird von der Firma wohl eher unfreiwillig angedeutet, in dem
       sie der taz erklärt: „Dass Kühne + Nagel in Möbeltransporte involviert war,
       ist unbestritten. Unklar ist jedoch, wer die Spedition beauftragt hatte, ob
       dies in einem kulturpolitischen Zusammenhang erfolgte und falls ja, ob die
       Durchführung wissentlich und willentlich geschah.“ Auf Nachfrage nach dem
       ins Spiel gebrachten „kulturpolitischen Zusammenhang“ heißt es, dieser
       bezöge sich auf die Möbel.
       
       Nicht aufgearbeitet sind auch die Aktivitäten in Osteuropa. Ein Verzeichnis
       des „Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft in Serbien“ aus den Jahren
       1943/44, das im Bundesarchiv Berlin liegt, listet Kühne + Nagel als
       „Lieferanten“. Was da an wen geliefert wurde, könnte in der Chronik zum
       125-jährigen Firmenjubiläum berichtet werden, an der das Unternehmen
       eigenem Bekunden zufolge derzeit arbeitet. Dem entgegen steht allerdings
       die Selbsteinschätzung, dass es „der Rolle von Kühne + Nagel in diesen
       Zeitperioden“ – gemeint sind der Erste und Zweite Weltkrieg – „an Relevanz
       mangelt“.
       
       6 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Henning Bleyl
       
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