# taz.de -- Kunst in der Republik Moldau: Ein Hauch von Rebellion
       
       > Die Kulturszene der Republik Moldau befindet sich im postsowjetischen
       > Vakuum. Ein Besuch bei den wenigen Künstlern, die im Land geblieben sind.
       
 (IMG) Bild: Fotografie aus einer Ausstellung, die die Transformation der Hauptstadt Chisinau thematisiert
       
       CHISINAU taz |„Fuck away to your Germany! Quickly!“ steht an der
       unverputzten Wand, ein einziger Slogan in lateinischen Buchstaben zwischen
       vielen kyrillischen. Es ist ein Abschiedsgruß, den Freunde des Malers Juri
       Klementiev ihm in dessen Studio in Chisinau hinterlassen haben. In den
       1990er Jahren hatte sich dort, in einer kleinen Wohnung im 25. Stock eines
       gigantischen sozialistischen Wohnblocks, der künstlerische Underground
       Moldaus zum Malen, Diskutieren und Trinken getroffen. Klementiev war der
       Bekannteste von ihnen.
       
       Nach der Unabhängigkeit der ehemaligen Sowjetrepublik verließ der Künstler
       das Land – er wollte seiner Freundin nach Deutschland folgen, landete aber
       in der Ukraine, wo er bis heute lebt.
       
       Das Atelier ist seither ungenutzt. Nun soll es wiederbelebt werden. Bereits
       im Dezember gab es eine Präsentation von Videokunst auf der großen
       Dachterrasse zwischen rostigen Satellitenschüsseln und dampfenden
       Entlüftungsanlagen. Für viele war das ein großes Ereignis, denn Moldau ist
       das ärmste Land Europas, die meisten KünstlerInnen haben längst das Land
       verlassen – wie eben fast alle, die dazu eine Chance haben.
       
       Max Kuzmenko, Mitglied des Kunstkollektivs Izm, steht auf der Terrasse und
       wirft seine Zigarette in ein Loch – es führt die 25 Stockwerke hinab direkt
       in die Kanalisation. Der junge Mann arbeitet für das KSA:K – Zentrum für
       zeitgenössische Kunst in Chisinau, das 1996 gegründet wurde, um
       zeitgenössische Kunst sichtbar zu machen. Sein Sitz: eine winzige Wohnung,
       vollgestopft mit Büchern, eigentlich eine offene Bibliothek – nachgefragt
       ist die aber kaum. „Es gibt keine neue Generation, wo soll sie auch
       herkommen?“, fragt Kuzmenko.
       
       ## Straffe Hierarchien
       
       Die Gegenwartskunst hat es nicht leicht in Moldau. Es gibt dort ganz andere
       Probleme: Armut, Korruption, die politische Spaltung zwischen Russland und
       der EU, der schwelende Konflikt um die an die Ukraine grenzende abtrünnige
       Provinz Transnistrien. Bei den Wahlen im November setzte sich dann das
       proeuropäische Lager knapp durch. Es gibt kein Museum für zeitgenössische
       Kunst.
       
       Die Nationalgalerie zeigt Gemälde, Skulpturen, ein paar Grafiken.
       Fotografien, Installationen oder gar Videokunst sind dort nicht zu sehen.
       „Das Problem ist der staatliche Konservativismus. Wir sind nicht mehr in
       der UdSSR, aber die Eliten sind irgendwo da hängen geblieben“, sagt
       Kuzmenko. In der sowjetischen Zeit war der kulturelle Raum
       institutionalisiert. In jeder Ortschaft gab es eine Schule, ein Kulturhaus,
       eine Bibliothek, ein Kino. Nach 1989 schlossen die meisten.
       
       Es entstand ein Vakuum. Die straffen Hierarchien haben allerdings
       überdauert: Schon die jungen KünstlerInnen werden in die staatliche
       Ausbildungsmühle eingespannt: Kunstschule für die Kleinen, Kunstcollege für
       die 16- bis 19-Jährigen und Kunstakademie für Studierende. Der Lehrplan
       endet im frühen 20. Jahrhundert.
       
       „Wir haben die Fertigkeiten, aber kein Wissen darüber, wie wir sie
       anwenden“, sagt die Künstlerin Tatiana Fiodorova. Sie brauchte einige
       Auslandsreisen, um zu Performance und Fotografie zu kommen. Kunst ist für
       sie eine Möglichkeit, die Gesellschaft jenseits der verkrusteten Strukturen
       zu gestalten. Ohne staatliche Unterstützung aber ist das eine
       Sisyphusarbeit. „Es ist hart, hier Gegenwartskunst zu machen, denn die
       existiert in der Öffentlichkeit nicht“, sagt Fiodorova. Und so geht es vor
       allem darum, den MoldauerInnen zu zeigen, was Kunst sein kann.
       
       Zum Beispiel mit der von Fiodorova kuratierten Fotoausstellung im Museum
       Zemstvei im Stadtzentrum, einem Raum im Gebäudekomplex des Ethnografischen
       Museums. Das Parkett des schmucklosen Raums ächzt unter der Kälte, eine
       Heizung gibt es nicht. Das Thema der Ausstellung ist die Transformation in
       Chisinau – eine Replik auf den sowjetischen Film „The man follows the sun“
       von 1961, in dem ein Junge durch das neu erbaute Chisinau flaniert.
       
       Den Behörden war er zu avantgardistisch – auch dass der Protagonist dem
       Lauf der Sonne nach Westen folgte, missfiel ihnen. Die ausgestellten Fotos
       zeigen die widersprüchlichen Ebenen, die sich in der Stadt übereinander
       schieben, die Parallelwelten: In einer Serie sind die sozialistischen
       Kaufhausleichen neben den durch Armut belebten Straßenbasaren und kaum
       frequentierte Shoppingmalls zu sehen.
       
       Eine andere zeigt, wie selbst angelegte Gärten sich durch die maroden
       Wohnblocks fressen, die kaputte Infrastruktur durch selbst gebaute Bänke
       ersetzt wird – ein Hauch von Rebellion im regulierten öffentlichen Raum. Im
       Kontrast mit der simplen Präsentation zeigt sich, was sich viele
       KünstlerInnen von Gegenwartskunst versprechen: die Aneignung der sozialen
       Wirklichkeit jenseits eingeübter Muster.
       
       Zurzeit kooperiert das KSA:K mit dem Goethe-Institut. Das Museum Zemstvei
       ist eines von acht Projekten, die unter dem Titel „Kunsträume“ gefördert
       wurde: vier in der Hauptstadt und vier auf dem Land, eines davon in
       Tiraspol, Transnistrien. Entstanden sind Ausstellungsflächen und Räume für
       Konzerte, ein Open-Air-Kino, Vorarbeiten zu alternativen Stadtarchiven und
       Musikstudios.
       
       „Der öffentliche Raum wird als Zuständigkeitsbereich der Autorität
       angesehen“, sagt der Projektkoordinator Fabian Mühlthaler, darum sei es
       wichtig, neue Räume zugänglich zu machen. Die Nachfrage war groß: Fast 40
       Bewerbungen gab es innerhalb weniger Tage auf die Ausschreibung im
       November. Schon im Dezember mussten die Präsentationen stehen – eine
       ziemliche Hauruckaktion. Im Zuge der Ukrainekrise nämlich hatte das
       Auswärtige Amt kurzfristig Gelder frei gemacht.
       
       ## Jung und proeuropäisch
       
       Aber nicht nur Deutschland, auch andere Staaten haben in den vergangenen
       Monaten die moldauische Zivilgesellschaft entdeckt. Vor allem Frankreich
       und Polen finanzieren die nichtstaatliche Kulturszene – dahinter steckt ein
       dezidiert politisches Interesse, denn sie ist größtenteils jung, gut
       ausgebildet und proeuropäisch.
       
       Für die junge Kunstszene ist dies keine schlechte Ausgangslage. „Wir
       brauchen ein Gesetz, das zeitgenössische Kunst unterstützt“, ist Max
       Kuzmenko überzeugt. Eines, wie es zum Beispiel Estland hat. Seit 20 Jahren
       wird dort Kunst wieder über die Tabak- und Alkoholsteuer bezuschusst,
       Museen und Galerien schossen nur so aus dem Boden. Auch die proeuropäische
       Koalition in Moldau plante nach ihrem Regierungsantritt 2009 eine
       Finanzierung nach estnischem Modell – umgesetzt wurde es aber nie.
       
       Und so wird jeder neue Kulturraum gut angenommen. Zum Beispiel „Tipografia“
       in Chisinau, offene 300 Quadratmeter in der markanten Industriearchitektur
       der ehemaligen Staatsdruckerei. Ein wackliger Fahrstuhl bringt die
       BesucherInnen in den fünften Stock, vorbei an den Ebenen, auf denen noch
       immer die Druckmaschinen laufen. Mehrmals pro Woche finden unter den
       bröckelnden Betondecken und vor bodentiefen Fenstern Veranstaltungen statt:
       Es gibt Konzerte, Ausstellungen, Filmvorführungen, DJs.
       
       Mischa Tsurcanu, einer der BetreiberInnen, sitzt entspannt auf einem
       zerschlissenen Sofa im Flur. Drei Jahre war er zum Studium im Ausland
       gewesen, in Moskau, wie viele MoldauerInnen seiner Generation. Aber anders
       als die meisten kam er mit 30 doch wieder zurück. An den Kulturschock
       erinnert er sich noch gut: Chisinau war quasi tot. Also organisierte er
       zunächst selbst Ausstellungen und Konzerte, an wechselnden Orten, übers
       Internet.
       
       Dann begab er sich auf die Suche nach einem dauerhaften Ort – und fand die
       Druckerei. Aber mit eigenem Engagement gegen die Verknappung der Mittel für
       Kulturelles zu kämpfen, Freizeit, Geld und Kreativität zu opfern, ist
       ermüdend. Alle paar Monate, sagt Tsurcanu, sortiere er jene
       Facebook-Kontakte aus, die Moldau verlassen haben. „Jedes Jahr zieht ein
       Viertel meiner Bekannten weg“, sagt Tsurcanu. „Das Problem ist nicht das
       winzige Kulturangebot, sondern dass die potenziell Aktiven fehlen.“
       
       Dass es mit einer Annäherung an die EU besser werden wird, steht für die
       meisten außer Frage – die Kulturförderung aus dem Ausland ist ein
       Versprechen darauf. Die Frage ist nur, wer noch da ist, wenn es eingelöst
       wird.
       
       21 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sonja Vogel
       
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