# taz.de -- Kunstszene in Russland: Gefeiert und gefeuert
       
       > Ein Bestsellermaler ohne Geld für Leinwände und Kosaken, die
       > Ausstellungen überfallen: Impressionen aus der Moskauer Kunstszene unter
       > Putin.
       
 (IMG) Bild: Brave Polka Dots im Moskauer Museum Garage.
       
       „Ich bin nichts“, sagt David Ter-Oganyan.
       
       Der schmächtige Künstler drückt seine Zigarette in einem übervollen
       Aschenbecher aus, der auf einem mit Farbe beklecksten Tisch steht, in einer
       zum Gemeinschaftsstudio umgebauten Reifenfabrik am Rande Moskaus.
       
       „Ich bin ein Bestseller-Maler, aber ich weiß nicht, wo ich in dieser Nacht
       schlafen soll“, sagt er. Ter-Oganyan ist einer der interessantesten und
       bekanntesten KünstlerInnen der postsowjetischen Generation. In der Hand
       hält er seinen Werkkatalog, den das Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig
       Wien zu seiner Ausstellung 2012 herausgegeben hat.
       
       Auf dem Cover sind drei Figuren zu sehen, gemalt mit der Computermaus.
       Wegen der Neonfarben und den konturlosen Gesichtern erinnern sie an Pussy
       Riot in ihren Sturmhauben – im Erscheinungsjahr waren drei Mitglieder der
       feministischen Kunstgruppe zu Haftstrafen verurteilt worden.
       
       ## Homo-Propaganda
       
       Der Katalog ist in Russland verboten. Er fällt unter das 2013
       verabschiedete und beliebig dehnbare Gesetz gegen „homosexuelle
       Propaganda“. Zeitgenössische KünstlerInnen haben es nicht leicht in
       Russland – zwischen einer starken orthodoxen Kirche und einem repressiver
       werdenden Staat.
       
       Ter-Oganyan ist stolz auf den Katalog, nennt ihn „mein künstlerisches
       Gedächtnis“ und blättert durch die Seiten: „assasination of the president“,
       eine suprematistische Komposition, die erst auf den zweiten Blick den Plan
       für ein Attentat offenbart, Umrisse paradigmatischer Bilder von
       Protestzügen, U-Boote in Flammen, nackte Frauen und Männer. Fast alle
       Bilder sind am Computer entstanden und danach auf Leinwand gezogen.
       Postmodernes Agitprop.
       
       Der 33-Jährige ist ein Künstler der 2000er Jahre. Ein Kind der Ära Putin.
       Eine Hoffnung der zeitgenössischen russischen Szene – ganz anders als die
       letzte Sowjetgeneration, geboren in den Vierzigern und Fünfzigern, die in
       den Neunzigern ihre Kunst kaum weiterentwickelte.
       
       Oder die das Land verließen, wie Ter-Oganyans Vater Avdey, ein bekannter
       aktivistischer Künstler. 1998 zerhackte er im Rahmen einer Ausstellung
       Reproduktionen orthodoxer Ikonen und musste mit einer harten Strafe
       rechnen. In Tschechien bekam er politisches Asyl. Auch sein Sohn wurde im
       selben Jahr festgenommen, als er mit der Gruppe Radek für die Videoarbeit
       „Demonstration“ ahnungslose Menschenansammlungen mit Spruchbändern in
       Demonstrationen verwandelte.
       
       Seither hat sich einiges getan, Ter-Orgayan geht seinen eigenen Weg weiter.
       Es eine absurde Situation: Ter-Orgayan wird auch in etablierten Galerien
       ausgestellt, dennoch muss er Geld sammeln, um sich Leinwände kaufen zu
       können.
       
       ## Gratisdrinks von Beluga
       
       Etwa zur selben Zeit treffen sich Kunstszene und Highsociety der Hauptstadt
       zur Eröffnung der „Garage“ in Gorki Park. Auf der Dachterrasse schenkt die
       Luxuswodkamarke Beluga Gratisdrinks aus. Die Garage ist das erste Museum
       für zeitgenössische Kunst in Russland, gegründet von der Kunstsammlerin
       Daria Schukowa.
       
       Seit 2008 war die Galerie in einem abgelegenen Ex-Busdepot untergebracht.
       Mitte Juni dann zog sie ins Moskauer Stadtzentrum. Der Umzug in teuerste
       Lage ist vermutlich dem in den russischen Machtzirkeln bestens vernetzten
       Roman Abramowitsch zu verdanken, mit dem Schukowa liiert ist. Der
       Multimilliadär hatte die ehemalige sowjetische Kantine erworben, einen
       modernistischen Bau aus den Sechzigern.
       
       Der niederländische Stararchitekt Rem Koolhaas hat ihn neu entworfen: einen
       cleanen Kasten, überzogen mit einer schimmernden Hülle aus Polycarbonat.
       Die Substanz blieb weitgehend erhalten: im Innern ein beeindruckendes
       Wandmosaik, Klinkersteine, viel Beton. Ein Fassadenstück ist nach oben
       geschoben und gibt den Blick frei auf ein meterhohes Gemälde von Erik
       Bulatow.
       
       Auf den 4.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche ist der tschechische
       Konzeptkünstler Julius Koller mit einer Fotoschau vertreten, die japanische
       Künstlerin Yayoi Kusama mit den Installationen „Dots Obsession“ und
       „Infinity Theory“ und Katharina Grosse mit einem begehbaren Gemälde. Die
       Garage zeigt auch die weltweit größte Sammlung des kaum erforschten
       russischen Untergrunds seit den 50er Jahren – einen Eindruck bekommt man
       durch ein gutes Dutzend dadaistischer Fotos von George Kiesewalter. Die
       ursprüngliche Idee des Museums war es, internationale Kunst in Russland zu
       zeigen. Nun, nach der Wiedereröffnung, will man laut Selbstdarstellung die
       russische Kunst international etablieren. Ob das aber realistisch ist? Wohl
       eher nicht.
       
       Zu beliebig ist letztlich das Ausgestellte, zu gefällig die Präsentation.
       Und obgleich die Garage mit Exponaten des Untergrunds früher oder später
       von den neuen Zensurgesetzen betroffen sein wird: Hinter der Garage steht
       mit Abramowitsch einer der wichtigsten Oligarchen im System Putin.
       
       ## Sicherer Abstand zur Politik
       
       Sie hat eher einen symbolischen Charakter, zu Politik und Protest wird das
       Museum Abstand halten. „Es kann jede Kunst gezeigt werden“, betont indes
       Museumsdirektor Anton Below, das sei lediglich eine Frage der Präsentation.
       In der Garage hätten die KünstlerInnen bisher keine Problemen gehabt.
       
       Andrej Jerofejew sitzt unweit des Roten Platzes in einer Hotellobby, gießt
       sich schwarzen Tee aus einer großen Kanne ein. 2007 wurde Jerofejew als
       Kurator für Zeitgenössische Kunst an der staatlichen Tretjakow-Galerie
       gefeuert – er hatte aus Museen entfernte Kunstwerke ausgestellt, darunter
       welche von Soldaten beim Sex oder mit einer Micky Maus übermalte
       Heiligenbilder. Dem Kurator drohten mehrere Jahre Arbeitslager, er kam mit
       einer hohen Geldstrafe davon.
       
       Jerofejew ist skeptisch, was die Zukunft der zeitgenössischen Kunst in
       Russland angeht. Seit 20 Jahren arbeitet der Kurator am Aufbau eines
       Museums für moderne Kunst. Bisher vergeblich. „Der Staat hält es nicht für
       nötig, zeitgenössische Kunst zu unterstützen“, sagt Jerofejew „Sie soll
       sich von allein entwickeln.“ In den Museen regiert derweil weiter der
       Sozialistische Realismus. Zeitgenössische Kunst bleibt privat finanziert
       und entsprechend marginal.
       
       ## Angriffe auf Galerien
       
       Trotzdem wird sie immer häufiger zum Ziel von Angriffen. Jerofejew weiß von
       regelmäßigen Überfällen militanter Anhänger der orthodoxen Kirche und
       sogenannter Kosaken auf Galerien. „Alltag“ nennt er das. Und Alltag ist
       auch, dass selten die Angreifer vor Gericht landen, immer häufiger dafür
       die KünstlerInnen und KuratorInnen.
       
       Unter Putin wurde ein Netz fast beliebig interpretierbarer Gesetze
       erlassen, die den öffentliche Ausdruck regulieren – auf Versammlungen, in
       den Medien, aber auch in der Kunst. Obszöne Sprache ist seit 2014 verboten,
       „Homosexuellen-Propaganda“ seit 2013, und immer öfter wird mit der Floskel
       von der „Verletzung religiöser Gefühle“ operiert.
       
       Hinzu kommt die Möglichkeit, aus dem Ausland finanzierte NGOs zu
       „ausländischen Agenten“ zu erklären. Das betrifft zwar die Kunstszene nur
       am Rande, zeigt aber, wie schwierig es geworden ist, nicht mit dem
       Putin’schen Regime aneinanderzugeraten. Die Geiselnahme von Beslan 2004,
       der Kaukasuskrieg 2008, die Krim-Annexion 2014, der Mord an Boris Nemzow
       2015 – das alles hat den Druck noch verschärft. Mal eskaliert die russische
       Regierung, mal reagiert sie mit Repression.
       
       Wer kann den Aktiven da vorwerfen, die Kunst brav zu halten, auf der
       sicheren Seite zu bleiben, wenn sich die Schlinge zuzieht? Die
       zeitgenössische Kunst in Russland ist defensiv geworden – wie man es in der
       Garage sieht – und ohne Kontakt zur fragilen Zivilgesellschaft, die sich
       insbesondere nach den Protesten gegen die Wahlfälschungen 2011 und 2012
       entwickelt hat.
       
       Und so zeigt die Kunstszene wie unter dem Brennglas die Atmosphäre in der
       russischen Gesellschaft. Während Meinungsumfragen eine überwältigende
       Mehrheit – bis zu 80 Prozent – hinter Putin sehen, relativieren
       KritikerInnen die Statistiken. Ihr Argument: Niemand traue sich die
       Wahrheit über den eigenen Standpunkt zu sagen. Das System Putin indes
       bleibt stabil.
       
       22 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sonja Vogel
       
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