# taz.de -- Homosexualität in Italien: Was ein echter Mann ist > In Italien fordern Faschisten „wilde Männer“ statt „hysterische > Schwuchteln“. Auslöser ist ein Schulroman mit einer homoerotischen Szene. (IMG) Bild: Ihr Auftreten ist in der italienischen Gesellschaft noch lange keine Normalität. ROM taz | Einige Dutzend richtige Kerle zogen am letzten Dienstag vor dem Liceo Giulio Cesare auf, einem der renommiertesten altsprachlichen Gymnasien Roms, gelegen im bürgerlichen Viertel Trieste. Bewaffnet waren die Jungmänner mit faschistischen Bannern, mit einer roten Fahne, in deren Mitte auf weißem Grund das Keltenkreuz prangte, dazu gelbe Flaggen der Lotta studentesca, der Schülerorganisation der Radikalfaschisten von Forza Nuova. Vor allem aber trugen sie ein großes Spruchband mit dem Slogan „Wilde Männer! Nicht hysterische Schwuchteln!“. Eines Buches wegen reagierten die wildgewordenen Jungmänner voller Hass eines Romans wegen, der in zwei 10. Klassen des Giulio Cesare Unterrichtslektüre war: „Sei come sei“, „Du bist so, wie du bist“. Melania Mazzucco erzählt da die Geschichte eines elfjährigen Mädchens, Tochter zweier schwuler Väter. „Homo-Wahn!“, donnerten daraufhin die Faschoschüler vor dem Schultor: „Es ist absurd, dass im Namen des Kampfes gegen die Schwulenfeindlichkeit jetzt pornografisches Material an Minderjährige verteilt wird. Diese Indoktrinierungsmaßnahmen, getarnt als Sensibilisierungskampagnen, werden nie unsere Unterstützung und erst recht nicht unser Schweigen finden!“ Wenigstens in einem Punkt haben die um die gesunde Entwicklung der Nachkommen Julius Cäsars (wie hielt der es eigentlich mit dem Homo-Sex?) und Benito Mussolinis Besorgten recht: Bisweilen geht es in Mazzuccos Roman richtig zur Sache. So beschreibt sie auf zehn Zeilen eine Oralsexszene zwischen zwei 16-jährigen Jungs, in der Sportumkleide ihrer Schule: „Er kniete nieder und tat so, als suche er den Bademantel in der Sporttasche, und dann schnellte sein Kopf in einer blitzartigen Bewegung, mit einer Selbstverständlichkeit, die er sich nie zugetraut hätte, zwischen Marianis Beine, und er nahm seinen Schwanz in den Mund.“ Zu viel für die Fascho-Sensibelchen, die solches Zeug nicht lesen mögen – die aber auch in diesem Fall bloß die lärmende Vorhut grundanständiger katholischer Kreise bilden. Den „Skandal“ hatten nämlich ganz andere aufs Tapet gebracht, mit einer Strafanzeige gegen die Schulleiterin und die beiden Lehrerinnen, die die Schmuddellektüre angeordnet hatten: der Verein „Juristen für das Leben“. Und sie fanden sofort Beifall bei Abgeordneten aus dem Berlusconi-Lager, die gleich mit mehreren parlamentarischen Anfragen wissen wollen, „ob die Gender-Sexualerziehung durch Lektüre pornografischer Seiten zum Lehrstoff der Oberschulen“ gehöre. ## Sorge um die Moral Natürlich hat keiner der Aufgeregten das Buch wirklich gelesen, anders als die Schüler des Giulio Cesare. Nicht von ihrer Schule seien die Protestierer vor dem Tor, die sich da „über zehn Zeilen aufregen“, gaben einige von ihnen kund, Mazzuccos Roman hätten sie mit Gewinn als Geschichte über die Normalität der Homosexualität genauso wie über deren rüde Diskriminierung gelesen: Nicht umsonst zitiere keiner der Klerikalkonservativen und ihrer faschistischen Verbündeten etwa die Stelle, als einer der jungen Protagonisten von eifrigen Schwulenfeinden auf der Diskotoilette zusammengetreten wird. Und überhaupt: Die Sorge um die moralische Gesundheit der 15-jährigen Gymnasiasten sei einigermaßen albern. „Glauben die, wir wüssten nichts über Gay-Sex?“, zitiert der Corriere della Sera eine Schülerin – eine berechtigte Frage in Smartphone-Zeiten, in denen schon 12–13-Jährige so ziemlich alles gesehen haben. Etwas grundsätzlicher legt dann im Corriere noch ein anderer Schüler nach. „Demnächst lesen wir im Lateinunterricht Catull“, bemerkt er spitz, „da geht es doch ganz anders zur Sache als bei der Mazzucco!“ Und der wahre Skandal sei es doch, „diese homophoben Spruchbänder vor unserer Schule zu sehen, ausgerollt von Leuten, die wir nicht kennen. Wir sind die Ersten, die diese Schule und unsere Lehrerinnen verteidigen!“ 1 May 2014 ## AUTOREN (DIR) Michael Braun ## TAGS (DIR) Italien (DIR) Homosexualität (DIR) Schule (DIR) Faschisten (DIR) Homophobie (DIR) Sexualerziehung (DIR) Schwerpunkt Gender und Sexualitäten (DIR) Italien (DIR) Schwerpunkt Gender und Sexualitäten (DIR) Italien (DIR) Homophobie (DIR) Enrico Letta (DIR) Schwerpunkt Fußball-EM 2021 2024 ## ARTIKEL ZUM THEMA (DIR) Homosexualität in Italien: Ein Ei und zwei Pinguine Elton John und Venedigs Bürgermeister waren nur der Anfang. Nun meldet sich in der italienischen Homo-Debatte auch der Vatikan zu Wort. (DIR) Bürgermeister verbietet Bücher und Kunst: Venedig sehen und zensieren Kinderbücher, die Homosexualität thematisieren, passen Venedigs Bürgermeister nicht. Kritische Kunst genauso wenig. Deshalb: weg damit! (DIR) Kommentar Homophobie in Italien: Gegen das imaginierte Sündenbabel Vater-Mutter-Kind. Nur dies ist eine Familie – und dafür demonstrieren in Rom die Massen. Zum Glück ist das aber nicht mehr die Mehrheitsmeinung. (DIR) Rechtsextremismus in Italien: Razzia unter Terroristen Bei einer landesweiten Polizeiaktion wurden 14 Anhänger einer neofaschistischen Gruppe festgenommen. Sie hatten unter anderem Anschläge geplant. (DIR) Kommentar Barilla: Mittelmäßig schwule Nudel Guido Barilla möchte für seine Discounternudeln nicht mit schwulen Paaren werben. Damit spricht er für die Mitte der italienischen Gesellschaft. (DIR) Homophobe Berlusconi-Vertraute: „Italien ist ein katholisches Land“ Eine Gleichstellungsbeauftragte, die homophobe Theorien verbreitet? Bitteschön: Michaela Biancofiore. Am Samstag zog Italiens Premier Letta die Notbremse. (DIR) Cassanos schwulenfeindliche Aussagen: „Eine Schande“ Italiens Nationalspieler Antonio Cassano macht sich mit schwulenfeindlichen Äußerungen unbeliebt. Schwulen-Vertreter fordern, dass der Milan-Star nach Hause geschickt wird. (DIR) Gerichtsentscheidung in Italien: Gleiche Rechte für Homopaare Das italienische Kassationsgericht verpflichtet das Parlament, homosexuelle Paare rechtlich gleichzustellen. Ein Paar, das in den Niederlanden heiratete, hatte geklagt.